Früher Englisch & Sport am Gymnasium - Jetzt nur noch Tango!

Guter Tango-Unterricht am Beispiel Ocho cortado

Nach­dem sich mir ein­fach nicht erschlie­ßen will, war­um „der Lea­der“ bzw. „der Füh­ren­de“ bes­ser, „sen­si­bler“ bzw. „gerech­ter“ sein soll als „der Mann“ blei­be ich bis auf Wei­te­res bei ihm.

Du bist männ­li­cher Tan­go-Anfän­ger und lernst in einem nor­ma­len Kurs- bzw. Grup­pen­un­ter­richt? Dann ist die Wahr­schein­lich­keit ziem­lich groß, dass du immer wie­der (bzw. stän­dig) frus­triert bist, weil du dich über­for­dert fühlst und nicht weißt, wie du eigent­lich die Frau füh­ren (und viel­leicht auch noch auf die Musik ach­ten) sollst, wenn du noch nicht mal dei­ne eige­nen Schrit­te ver­stan­den bzw. gelernt / geübt hast.

Im Fol­gen­den geht es aus­schließ­lich um das Ler­nen neu­er Schrit­te bzw. Figu­ren. Mit ande­ren Aspek­ten guten bzw. schlech­ten Unter­richts (wie z.B. zu wenig Wie­der­ho­lung, zu wenig Zeit zum Üben etc) habe ich mich bereits in einem frü­he­ren Bei­trag beschäftigt. 

Im Nor­mal­fall zei­gen dein(e) Leh­rer die neue Figur ein paar Mal, erklä­ren viel­leicht ein biss­chen und dann sollst du sie sofort mit dei­ner Part­ne­rin „aus­pro­bie­ren“ bzw. „nach­t­an­zen“ (oft sogar noch in enger Tanz­hal­tung). Du hast nicht die gerings­te Vor­stel­lung, was du sel­ber machen sollst (bei dem Gewu­sel der ver­schie­de­nen Bei­ne hast du über­haupt nichts ver­stan­den), geschwei­ge denn, was die Frau macht oder wie du das Gan­ze füh­ren sollst.

Wenn du schon mal Standard/Latein oder Folk­lo­re gelernt hast, hast du dich wahr­schein­lich schon mal gefragt, war­um beim Tan­go meis­tens so unglaub­lich schlecht durch rei­nes Vor- und Nach­ma­chen unter­rich­tet wird. Dafür gibt es vor allem zwei Grün­de: Ers­tens ist „Tan­go­leh­rer“ nicht geschützt, jede® kann also unter­rich­ten ohne irgend­ei­ne Aus­bil­dung absol­viert bzw. Prü­fung abge­legt zu haben. Das hat zur Fol­ge, dass vie­le Tan­go­leh­rer selbst von den ele­men­tars­ten tanz­di­dak­ti­schen Grund­sät­ze kei­ne Ahnung haben. So zum Bei­spiel, dass man kom­ple­xe Bewe­gun­gen erst­mal in ihre Bestand­tei­le „zer­legt“, um sie spä­ter wie­der „zusam­men­zu­set­zen“. Dass man sich im Nor­mal­fall nur auf eine Sache kon­zen­trie­ren kann. Oder dass es viel ein­fa­cher ist, eine Bewe­gung nach­zu­ma­chen, wenn man den­je­ni­gen von hin­ten sieht, als wenn er einem gegen­über­steht (weil man dann erst­mal alles im Kopf „umdre­hen“ muss). Der zwei­te Grund ist, dass die meis­ten Tan­go­leh­rer in Argen­ti­ni­en oder von Argen­ti­ni­ern gelernt haben und die haben es auch nur durch Vor- und Nach­ma­chen gelernt, so dass die­se „Metho­de“ immer wie­der wei­ter­ge­ge­ben wird. 

Im Fol­gen­den beschrei­be ich am Bei­spiel des Ocho cor­ta­do eine ver­nünf­ti­ge „metho­di­sche Rei­he“, also wie man neue Bewe­gun­gen in wel­cher Rei­hen­fol­ge am bes­ten unter­rich­tet bzw. lernt. Dabei beschrän­ke ich mich der Ein­fach­heit hal­ber auf den Mann.

Am Anfang soll­te immer die Prä­sen­ta­ti­on der Gesamt-/Ziel­fi­gur ste­hen, man soll­te also einen Ein­druck bekom­men, was am Ende „her­aus­kom­men“ soll. Völ­lig falsch ist es des­halb, gleich mit irgend­wel­chen Details (z.B. dem Ein­kreu­zen der Frau) zu begin­nen, wenn die Schü­ler noch gar nicht wis­sen, wel­che „Funk­ti­on“ die­se Bewe­gung im „Gesamt­ab­lauf“ hat.

Als nächs­tes soll­te das zen­tra­le tech­ni­sche Ele­ment wie­der­holt bzw. gelernt wer­den, hier Rebound-Schrit­te („Rebo­tes“ bzw. im Video „check steps“) und zwar jeder für sich. Wir kon­zen­trie­ren uns am Anfang aus­schließ­lich auf das „Zurück­pral­len“, üben es aber gleich auf bei­den Sei­ten nach vor­ne und zur Seite.

Falls Zeit und Talent es zulas­sen, üben wir auch gleich den Rebound nach hin­ten, damit wir uns anschlie­ßend (in aller gebo­te­nen Kür­ze) mit den Schrit­ten der Frau befas­sen kön­nen, um zumin­dest eine gro­be Vor­stel­lung davon zu bekom­men, was sie eigent­lich macht bzw. was der Mann füh­ren soll. 

Als nächs­tes üben wir immer noch „tro­cken“ (= ohne Musik) eine klei­ne Fol­ge: Der lin­ke Fuß geht nach vor­ne, der rech­te wird am Ort belas­tet und links schließt mit Gewicht. Das­sel­be wie­der­ho­len wir mit dem rech­ten Fuß. Bei­de Sei­ten noch­mal, also ins­ge­samt zwei Ach­ter­phra­sen. Dann die sel­be Fol­ge zur Sei­te und alles wie­der von vor­ne. Als nächs­tes rhyth­mi­sie­ren wir die­se Fol­ge z.B. mit „quick – quick – slow“ bzw. „kurz – kurz – lang“. Abschlie­ßend üben wir die­se Fol­ge zu einer nicht zu schnel­len Musik, bei der man die Phra­sen gut hört (wie z.B. El Adi­os).

Als nächs­tes üben wir (immer noch allei­ne) den kom­plet­ten Ocho cor­ta­do, beson­ders kon­zen­trie­ren wir uns dabei auf das „Zurück­dre­hen“ nach dem seit­li­chen Rebound (das spä­ter zum Ein­kreu­zen der Frau füh­ren soll). Damit das Gan­ze zur Musik (bzw. Phra­se) passt, tan­zen wir vier nor­ma­le Schritt an der Stel­le und anschlie­ßend den Ocho cor­ta­do (und mer­ken neben­bei, dass das abschlie­ßen­de Kreuz wun­der­bar zum Ende der 16er-Phra­se passt).

Jetzt feh­len nur noch ein paar Details: Das Dre­hen des Ober­kör­pers nach dem Rebound und dass der lin­ke Fuß nach hin­ten geht (und nicht nur neben rechts schließt). Wie vor­her üben wir das Gan­ze wie­der pas­send zu Musik.

Jetzt erst kommt unse­re Part­ne­rin dazu! Wir üben / tan­zen natür­lich erst­mal in offe­ner Hal­tung, damit wir mehr Platz haben und kei­ne Angst haben müs­sen, der Frau auf die Füße zu lat­schen. Zunächst ein­mal wie bis­her die vier vor­an­ge­hen­den Schrit­te am Ort, dann im Gehen vor­wärts. Wir üben die­se Fol­ge solan­ge bis sie sich „leicht“ anfühlt und „fließt“.

Bei sol­chen Übun­gen tanzt die Frau meis­tens auf „Auto­pi­lot“, d.h. sie macht alles „von allei­ne“, weil sie ja weiß, was kommt. Des­we­gen lösen wir uns jetzt von unse­rer fes­ten Fol­ge und bau­en den Ocho cor­ta­do in unser bis­he­ri­ges Reper­toire ein. Erst jetzt sehen wir, ob wir ihn wirk­lich füh­ren können. 

Und erst nach viel Üben und nur wenn bis­her alles geklappt hat, tan­zen wir unse­re neue Figur in enger Tanzhaltung! 

Wenn er auch in enger Fas­sung stress­frei gelingt, kön­nen wir uns vom übli­chen quick – quick – slow lösen und ande­re rhyth­mi­sche Mus­ter aus­pro­bie­ren. Außer­dem kön­nen wir die Figur sel­ber ver­än­dern und die Frau nicht gleich wie­der ins Kreuz füh­ren, son­dern sie z.B. auf ihrem lin­ken Bein abset­zen, eine klei­ne Pau­se machen und erst dann wie­der ins Kreuz füh­ren. Und man kann den Ocho cor­ta­do natür­lich auch mal auf der offe­nen Sei­te probieren.

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  1. Hal­lo Jochen, inter­es­sant: der Füh­ren­de lernt sei­ne Schrit­te aus­we­nig und dann kommt auch noch „eine Part­ne­rin dazu“. Und die Frau­en müs­sen dann anhand der Bewe­gun­gen des Part­ners ihre eige­nen Schrit­te her­aus­tüf­teln? Du erklärst nicht einen Füh­rungs­an­satz. (So unter­rich­tet man in Deutsch­land Stan­dard­tän­ze. Nur dass dabei auch die Schrit­te der Part­ne­rin ver­mit­telt wer­den. Wenn Du so unter­rich­test, glau­ben die Män­ner selbst­ver­ständ­lich, dass sie allein über ihre Schrit­te führen.)
    Eigent­lich geht es im impro­vi­sier­ten Tan­go bei ler­nen­den Tän­zern erst­mal um die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Part­nern, weil Schritt­se­quen­zen auch mal abge­än­dert wer­den kön­nen. Füh­rung und Reak­ti­on dar­auf sind die Vor­aus­set­zung um Tan­go zu tan­zen. Ohne Kom­mu­ni­ka­ti­on und ohne Bewe­gungs­ver­ständ­nis für die Part­ne­rin, kein Tan­go, weil jede Bewe­gung nur zusam­men einen Sinn erge­ben. Mei­ne Schü­ler ler­nen von Beginn an die­se Kommunikation.
    Sind bei Dei­nen Ein­zel­stun­den eigent­lich die Par­te­rin­nen der Schü­ler auch anwe­send, oder tanzt Du die­se Rol­le? Oder steht die Part­ne­rin bei der gan­zen Vor­be­rei­tung des Man­nes nur her­um? Spä­tes­tens beim Rebound soll­te die Frau doch spü­ren, dass sie auch einen machen soll, ver­mit­telst Du den nicht die­se ent­schei­den­de Komponente?
    In einem Inter­view mit Chicho Frum­bo­li bei Pepa Pala­zon geht er auf die­se Pro­ble­ma­tik ein. Er sagt, dass Tan­go­leh­rer sehr oft nur die die Bewe­gun­gen der Män­ner solo unter­rich­ten, wie er die Füße set­zen soll, wie er sich Hal­tung orga­ni­sie­ren soll. Er meint jedoch, dass die Bewe­gun­gen nur als Paar im Bezug zum Part­ner Sinn machen. Das ist der ent­schei­den­de Ansatz. Wobei er nicht leu­net, dass der Füh­ren­de sei­ne eige­ne Bewe­gung ver­bes­sern kann. Aber nur im Kon­text der der gemein­sa­men Bewe­gung zur Musik, nicht im ähste­ti­schen Sinne.
    Mit freund­li­chen Grüßen
    Klaus Wendel

    • > Und die Frau­en müs­sen dann anhand der Bewe­gun­gen des Part­ners ihre eige­nen Schrit­te heraustüfteln?

      Was genau ver­stehst du nicht an dem Satz: „Dabei beschrän­ke ich mich der Ein­fach­heit hal­ber auf den Mann.“?

      > Du erklärst nicht einen Führungsansatz.

      Was genau ver­stehst du nicht in der Pas­sa­ge: „[…] beson­ders kon­zen­trie­ren wir uns dabei auf das „Zurück­dre­hen“ nach dem seit­li­chen Rebound (das spä­ter zum Ein­kreu­zen der Frau füh­ren soll)“?

      > Eigent­lich geht es im impro­vi­sier­ten Tango […]

      Du meinst den „impro­vi­sier­ten“ Tan­go, der z.B. auf Encuen­tros so gepflegt wird? Der inter­es­siert mei­ne Kli­en­ten komi­scher­wei­se nicht die Boh­ne. Die wol­len einen stink­nor­ma­len Ocho cor­ta­do ler­nen, damit sie am Sonn­tag nach­mit­tag im „Tan­go Cafe“ bei Kaf­fee und Kuchen zur immer glei­chen, ange­nehm lang­wei­li­gen Musik ein biss­chen Spaß haben. 

      > Sind bei Dei­nen Ein­zel­stun­den eigent­lich die Par­te­rin­nen der Schü­ler auch anwesend

      Hängt davon ab, ob sie zusam­men Unter­richt haben wol­len oder jeder ein­zeln (und sie nur in bestimm­ten Abstän­den mit­ein­an­der tan­zen). Die meis­ten Paa­re ent­schei­den sich sinn­vol­ler­wei­se für die zwei­te Vari­an­te. Die Frau muss nicht x‑mal das­sel­be machen, nur weil es der Mann immer noch nicht kann, d.h. sie lernt viel schnel­ler. Und der Mann kann in Ruhe üben und wird nicht durch „Jetzt stell dich doch nicht so an, das ist doch ganz ein­fach“ Kom­men­ta­re genervt.

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