Primero la musica con su compas y melodia, segundo el sentimiento, tercero la elegancia, por ultimo las figuras. Asì se baila el Tango!
(Zuerst die Musik mit ihrem Rhythmus und ihrer Melodie, als zweites das Gefühl, als drittes die Eleganz, als letztes die Figuren. So tanzt man Tango!)
Carlos Gavito
Mein tänzerischer Hintergrund ist internationale Folklore, Standard / Latein, Aerobic und Bachata – alles habe ich vor Tango jahrelang unterrichtet. Bulgarische Volkstänze haben oft extrem komplizierte Rhythmen (wie dieser in 15/16) und es ist ganz normal, dass man oft Jahre braucht, bis man sie richtig „hören“ und tanzen kann. Aber jemand, der es noch nicht kann, käme nie auf die Idee zu behaupten, er könne „bulgarisch tanzen“. Und der Rumba-Rhythmus ist (richtig getanzt) nicht ganz einfach, aber andererseits auch nicht sooo furchtbar schwer. Wer da immer wieder „aus der Musik rausfliegt“, ist sich dessen im Normalfall bewusst und schwingt keine großen Reden über seine Tanzkünste. Und wer sich beim Aerobic bzw. Bachata „off beat“ (= neben dem Beat / „Puls“) der Musik bewegt, gilt als absolute Niete.
Beim Tango mit seinen vergleichsweise primitiven 4/4 (Tango), 3/4 (Vals) und 2/4 Takt (Milonga) gehen Selbstwahrnehmung und Realität hingegen oft absurd auseinander. Da haben viele Männer noch nie etwas von der „großen 1“ oder von Phrasen gehört, treffen kaum mal einen betonten Taktschlag, latschen gnadenlos über Pausen drüber und schwurbeln trotzdem munter darüber, wie sie die Musik in einem „kreativ-künstlerischen Prozess interpretieren“.
In keinem der Studios, in denen ich gelernt habe, wurden selbst die einfachsten Grundlagen von musikalischem Tanzen vermittelt, nur ganz selten haben wir zur Musik getanzt, meistens haben wir irgendwas geübt, während Musik im Hintergrund gedudelt hat, um die man sich aber nicht weiter gekümmert hat. Die meisten der so beliebten Workshops zu „Musikalität“ könnte man sich sparen, wenn zumindest die Grundlagen musikalischen Tanzens von Anfang an fester Bestandteil des Unterrichts wären.
Im Folgenden beschreibe ich, was ich unter „musikalisch tanzen“ für Hobby-TänzerInnen verstehe und wie ich das unterrichte. Alles Folgende bezieht sich auschließlich auf „normale“ Tango-Musik, also Stücke, die einen klaren, (weitgehend) gleich bleibenden Rhythmus und eine (halbwegs) regelmäßige Phrasenstruktur aufweisen (also NICHT für Troilo, Pugliese, Piazzolla etc).
Ich war bzw. bin immer wieder verblüfft bzw. entsetzt, wie oft im Unterricht irgendeine völlig beliebige (bzw. unpassende, weil viel zu komplizierte) Musik spielt. Wie soll ein Anfänger musikalisches Tanzen lernen, wenn er zu kaum akzentuierter Musik, vielleicht auch noch mit Tempowechseln bzw. wechselnder Dynamik tanzen soll? Gerade Neo- bwz. Non-Tangos mit ihrem gleichmäßigen Tempo und ihrer klaren Phrasenstruktur könn(t)en den Lernprozess deutlich fördern. Alles Folgende gilt sinngemäß genauso für Vals und Milonga.
Musikalität unterrichte ich in verschiedenen „Ebenen“, die zunehmend anspruchsvoller werden.
Den „Puls“ erkennen und tanzen
Bevor wir einen einzigen Schritt tanzen, machen wir uns erstmal mit typischer Tango-Musik vertraut und hören uns El Once an. Wir erkennen, dass wir eine starke Betonung (= „Puls“) auf den ungeraden Taktschlägen (1, 3, 5 und 7) haben (beim Vals entsprechend auf der 1) und dass wir im „normalen“ Tempo jeweils unsere Schritte auf diese betonten bzw. „starken“ Taktschläge (strong beats) setzen.
Für das Folgende solltest du die wichtigsten Notenwerte kennen, sonst verstehst du nichts.
Basis-Rhythmus variieren
Wenn wir „normal“ gehen, tanzen wir „halbe“ Noten. Wenn wir „langsam“ bzw. im „halben“ Tempo gehen, setzen wir unsere Schritte auf die 1 und die 5, das entspricht einer „ganzen“ Note. Und wenn wir „schnell“ bzw. im „doppelten“ Tempo gehen, tanzen wir „Viertel“-Noten. Den Basis-Rhythmus können wir nun mit verschiedenen eigenen rhythmischen Mustern variieren (z.B. zwei langsame und vier normale Schritte, zwei normale und vier schnelle, usw.).
Phrasen erkennen
Phrasen sind kleinere „Sinneinheiten“ innerhalb einer Melodie. Zwei Takte, also acht Taktschläge (beats) bilden die kleinste musikalische Einheit, die sog. (8er) Phrase. Zwei 8er Phrasen (= vier Takte) bilden die wichtigste musikalische Einheit (16er Phrase). In diesen 4 Takten haben wir 8 Betonungen (counts/strong beats), die unseren Tanz strukturieren. Vier 8er Phrasen bilden den sog. „Melodiebogen“ (32er Phrase):
Phrasing is an important part of Tango. Most Tango music is phrased to 16 or 32 beats of music. Tango music is like a story. It contains paragraphs (Major phrases); sentences (Minor phrases); and the period at the end of the sentence is the Tango close.
Quelle
Gut hört man die Phrasen zum Beispiel bei El Adios.
Zwei Melodiebögen bilden einen Teil (section) und ein typischer Tango besteht aus fünf Teilen (ABABA bzw. ABABC). Am Beispiel von „Cara Sucia“ wird das in diesem Video erklärt. Die einzelnen Teile von „Bahia Blanca“ kann man sich hier anhören.
Einleitung abwarten
Wir hören uns wieder den Anfang von El Adios an und erkennen, dass wir einen Melodiebogen (= vier (8er) Phrasen) abwarten sollten, bevor wir mit dem Tanzen beginnen. Wenn uns die (4x8) Einleitung in „Fleisch und Blut“ übergegangen ist, analysieren wir den Beginn von Invierno und stellen fest, dass wir zwar nach vier Phrasen anfangen könnten, es aber besser wäre, auch noch die 5. und 6. Phrase abzuwarten, weil es erst dann richtig „losgeht“. Dagegen sollte man bei Viento Norte schon nach zwei Phrasen mit dem Tanzen beginnen. Wir üben auch immer wieder, wann man mit dem Tanzen beginnen könnte, wenn man den „richtigen“ Beginn verpasst hat.
Ende gestalten
Mit ein bisschen Übung kann man bei den meisten Stücken das Ende erkennen / antizipieren und den Tanz mit einer einfachen Schlusspose schön beenden.
In Phrasen tanzen
Jetzt wird es anspruchsvoller, denn wir versuchen in Phrasen zu tanzen. Wie das geht, wird in diesem Video (z.T. leider etwas geschwätzig) erklärt.
Wir lernen / üben immer erstmal die „Standard-Version“ (also z.B. beim Ocho cortado 2x kurz-kurz-lang) und danach weitere rhythmische Variationen, die ebenfalls zur Musik bzw. Phrase passen.
Tempo und Dynamik variieren
Auf fortgeschrittenem Niveau lernen wir unsere Figuren dem Tempo und Charakter der Musik anzupassen. Durch Verdoppelungen können wir Schritte bzw. Figuren beschleunigen bzw. durch halbes Tempo und Pausen verlangsamen. Wir tanzen z.B. das Sandwich zunächst zu „normaler“ Tango-Musik, danach zu einem Vals, dann zu langsamer Musik und am Ende zu einer flotten Milonga. Und jedes Mal versuchen wir, die Eigenarten der Musik (z.B. das Fließende eines Vals oder das Staccato eines d’Arienzo Tangos) in passende Bewegung umzusetzen.
Die Musik tanzen
Die anspruchsvollste Art „musikalisch“ zu tanzen, ist das zu tanzen, was die Musik „vorgibt“ bzw. „vorschlägt“. Dafür braucht man ein gutes Gehör und jahrelange Übung.
Am einfachsten ist es noch bei Pausen. Bei Love Yourself ist auf dem 7. und 8. Taktschlag eine Pause in der Musik, entsprechend sollte man keinen Schritt in dieses musikalische „Nichts“ setzen, sondern nach drei Schritten stehen bleiben. Meistens muss man Stücke öfter gehört bzw. getanzt haben, um Pausen antizipieren zu können. Wenn man z.B. Hotel Victoria nicht gut kennt, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit in die Pause bei 1:25 reinstolpern.
Mit etwas Übung kann man auch lernen, melodische (= legato) und rhythmische (= staccato) Passagen herauszuhören und seinen Tanz (z.B. das Gehen) entsprechend anzupassen. Ein schönes Beispiel gibt es hier. Gut hört man den Unterschied auch bei A la gran muneca.
Deutlich anspruchsvoller ist es, zum Beispiel Verdoppelungen (bzw. halbes Tempo) spontan zu tanzen, weil die Musik das „vorschlägt“. Wie das aussehen kann, erklärt Rui Barroso in diesem Video.
Viele Beispiele von perfektem musikalischem Tanzen findet man bei Dario Moffa (wie hier) und in den meisten Profi-Auftritten (wie hier).
Um deine Musikalität zu verbessern, solltest du so oft wie möglich deine Lieblings-Tangos (bzw. Valses / Milongas) zuhause spielen und dazu improvisieren. Hier ein Beispiel, wie so etwas in Perfektion aussieht.
„Why musicality is hard to teach, but not impossible“ ist der Titel eines ausgezeichneten Essays von Veronica Toumanova. Diesen Text gibt es auch auf Deutsch.
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