Hel­ge Schütt hat sein Ver­ständ­nis von Tan­go-Musik visua­li­siert und ich den­ke, die gro­ße Mehr­heit der Tän­ze­rIn­nen hät­te das wohl so ähn­lich gemacht. 

Erfreu­lich ist, dass „Cover-Ver­sio­nen“ in sei­ner Gra­fik immer­hin im zwei­ten Ring nach der (angeb­lich) „wah­ren“ Musik erschei­nen und dass er ihnen sogar beschei­nigt, dass sie manch­mal „viel inten­si­ver und emo­tio­na­ler“ sind als das Original. 

Für die meis­ten Leu­te hat „Cover­ver­si­on“ im Zusam­men­hang mit Tan­go jedoch einen ein­deu­tig nega­ti­ven Bei­geschmack: „Kommt bei wei­tem nicht an das Ori­gi­nal ran“, „min­der­wer­tig“, „die spie­len ledig­lich 1:1 die alten Titel nach“ usw. Klar gibt es (vor allem älte­re) Grup­pen, die die tra­di­tio­nel­len Stü­cke ein­fach nur „nach­spie­len“. Aber neue­re, jün­ge­re Grup­pen wie Solo Tan­go Orques­ta und Ban­do­ne­gro bie­ten oft neue Inter­pre­ta­tio­nen wie z.B. die­se mit­rei­ßen­de Cum­par­si­ta. Auch die brand­neue Ver­si­on von Ban­do­ne­gro ist groß­ar­tig und viel inter­es­san­ter als die meis­ten, lang­wei­li­gen EdO Ver­sio­nen. Oder noch bes­ser, weil ori­gi­nell und lus­tig die Cum­par­si­ta als Vals.

Aber die Fra­ge wie „künst­le­risch wert­voll“ bzw. „ori­gi­nell“ eine Cover­ver­si­on ist, ist ja eigent­lich völ­lig neben­säch­lich. Die ent­schei­den­de Fra­ge ist doch, ob sie schö­ner ist als das Ori­gi­nal. Machen wir doch ein­fach mal ein klei­nes Gedan­ken­ex­pe­ri­ment. Stell dir vor, du hast noch nie „tra­di­tio­nel­le“ (= his­to­ri­sche) Tan­go-Musik gehört und weißt auch über­haupt nichts über die „gro­ßen Orches­ter“ und deren „Maes­tros“. Du sollst jetzt ein­fach „aus dem Bauch“ (bzw. dem Ohr) her­aus ent­schei­den, wel­che Musik dir bes­ser gefällt, wel­che du schö­ner fin­dest und zu wel­cher du lie­ber tan­zen würdest. 

„Des­de el alma“ in die­ser oder in die­ser Version? 

„Feli­cia“ in die­ser oder in die­ser Version?

Und „Paci­en­cia“ lie­ber so oder so?

Du magst den Schel­lack Sound, das Rau­schen, Knis­tern, Kna­cken, das häu­fig schlep­pen­de Tem­po, den oft jau­li­gen Sound und den schreck­li­chen Gesang? Wun­der­bar, du kannst zwi­schen unzäh­li­gen Milon­gas wäh­len, auf denen aus­schließ­lich „dei­ne“ Musik gespielt wird. 

Wenn ich mir aller­dings anschaue wie laut bzw. wie lan­ge auf „tra­di­tio­nel­len“ Milon­gas gequatscht wird, bekom­me ich gro­ße Zwei­fel dar­an, dass die Leu­te die Musik respek­tie­ren geschwei­ge denn „mögen“. Auf die­sem Encuen­tro quat­schen eini­ge Paa­re län­ger als eine Minu­te und das bei einer Musik­län­ge von gera­de mal 2:56 Minu­ten. Im Folk­lo­re bzw. Stan­dard-/La­tein­tanz ist so ein Ver­hal­ten völ­lig undenk­bar. Sobald die Musik anfängt, kann man noch sei­nen letz­ten Satz been­den, danach gilt „Halt die Klap­pe und tanz“.

Du fin­dest die moder­ne­ren Ver­sio­nen schö­ner? Dann hast du ein gewal­ti­ges Pro­blem, denn die­se Musik wird so gut wie über­haupt nicht gespielt. Das muss aber nicht so blei­ben, aber damit sich etwas ändert, musst DU (und mög­lichst vie­le dei­ner Freun­de, Bekann­ten etc) aktiv werden. 

Edo-Fun­da­men­ta­lis­ten ner­ven Neo-DJs ja ger­ne mit der Fra­ge: „Und wann spielst du end­lich rich­ti­gen Tan­go?“ Man braucht jetzt nur den Spieß umdre­hen und den EdO-DJ freund­lich (!) zu fra­gen: „Könn­test du nicht zur Abwechs­lung mal schö­ne Musik zum Bei­spiel von [Namen der Lieb­lings­grup­pe ein­set­zen] spie­len?“ Je mehr Leu­te die­se Fra­ge in regel­mä­ßi­gen Abstän­den stel­len, des­to eher wer­den DJs (bzw. Ver­an­stal­ter) ihr musi­ka­li­sches Kon­zept umstellen. 

Für Milon­gas gilt das Gesetz von (ver­meint­li­cher) Nach­fra­ge und dem dar­aus resul­tie­ren­den Ange­bot. Auf der Nach­fra­ge-Sei­te haben sich in den letz­ten Jah­ren rela­tiv weni­ge, dafür laut­star­ke und aggres­si­ve Edois­ten durch­ge­setzt. Es soll ja „tra­di­tio­nel­le“ DJs geben, die ger­ne auch mal was ande­res spie­len wür­den, aber Angst vor einem mitt­le­ren Shit­s­torm und dem Ver­lust ihrer Gigs haben. Es ist höchs­te Zeit, dass die bis­lang still dul­den­de Mehr­heit end­lich mal den Mund auf­macht („Wir sind das zah­len­de Tan­go-Volk“) und klar macht, dass ihr das alte Zeug ein­fach zu den Ohren raushängt. 

Natür­lich hat Hel­ge recht, wenn er fest­stellt, dass man die his­to­ri­sche Musik „ken­nen“ soll­te. Aber „ken­nen“ ist halt was ande­res als stän­dig dazu tan­zen zu müs­sen. Der ein­zi­ge akzep­ta­ble Grund zu die­ser musea­len Uralt-Musik zu tan­zen wäre, dass sie den mei­sen Tän­ze­rIn­nen bes­ser gefällt als moder­ne Auf­nah­men. Wenn sie das aber nicht tut, soll­te sich das schleu­nigst ändern. 

War­um war denn der Tan­go in den 1970ern und 80ern selbst in Argen­ti­ni­en so gut wie tot? Klar, es gab ver­schie­de­ne Grün­de, aber der Haupt­grund war doch wohl, dass vor allem jün­ge­re Leu­te kei­ne Lust mehr hat­ten, zu die­sem Rent­ner­ge­schram­mel zu tan­zen. Wie stel­len wir uns denn die Zukunft des Tan­go in Deutsch­land vor? Glaubt irgend­je­mand ernst­haft, dass wir jun­ge Leu­te mit die­sem lang­wei­li­gen Sound für „unse­ren“ Tanz begeis­tern kön­nen? (Sie­he dazu auch „Dino-Tan­go – Schon am Aus­ster­ben oder noch quick­le­ben­dig?“ in der Tan­go­dan­za)

Und war­um wird heu­te wie­der über­all die­ses öde Zeug gespielt? Es war / ist mei­ner Mei­nung nach ein­fach eine Reak­ti­on auf den gro­ßen Erfolg des Elec­tro­tan­go in den Nuller- und Zeh­ner­jah­ren. Damals gab es Neo­lon­gas, auf denen fast den gan­zen Abend lang nur Gotan Pro­ject, Otros Aires, Nar­co­tan­go & Co. gespielt wur­den. Ver­ständ­li­cher­wei­se moch­ten das vie­le Leu­te ent­we­der von Anfang an nicht oder hat­ten nach kur­zer Zeit die Ohren voll davon. Die Stü­cke sind musi­ka­lisch oft lang­wei­lig, häu­fig viel zu mono­ton und „see­len­los“ und es gibt kaum lang­sa­me, roman­ti­sche Stü­cke zum „Kuscheln“ bzw. Eng-Tan­zen. Und nach­dem es kei­ne Alter­na­ti­ven gab (bzw. sie kei­ner spiel­te) lan­de­te man halt wie­der beim alten Kram. 

Tem­po­ra mutan­tur und vor allem ändert sich auch die Musik. Beim Latein-Tanz gibt es sicher auch noch Leu­te, die Cha-Cha am liebs­ten zur Musik von Cate­ri­na Valen­te oder gleich EdO-mäßig auf einem Instru­ment von 1930 gespielt, tan­zen wür­den. Aber die Mehr­heit hat halt kei­ne Lust zu die­sem Sound zu tan­zen, sie tan­zen zu zeit­ge­nös­si­schen Auf­nah­men in guter Qua­li­tät und es ist ihnen wurscht, dass vie­les davon Cover­ver­sio­nen sind. 

Wer ger­ne auf Geron­to­lon­gas zu bald hun­dert Jah­re alter Musik im Kreis mar­schiert (bzw. an der Stel­le dreht), soll das auch in Zukunft ger­ne machen dür­fen. Aber für alle ande­ren gilt: Es gibt viel wun­der­ba­re Musik zu ent­de­cken, die Rei­se könn­te hier begin­nen. Und wegen des ein­sa­men Non-Tan­go Wölk­chens in Hel­ges Gra­fik eine letz­te Fra­ge: Die­ser Vals oder doch lie­ber der hier? 😉

Wünscht du dir auch, dass sich etwas an der Tra­di-Tris­tesse auf Milon­gas ändert? Dann tei­le die­sen Text mit dei­nen Tango-Bekannt:innen (und bit­te sie ihn wie­der­um zu tei­len) und ver­lin­ke ihn auf dei­nen Social Media Kanälen.