Warum wollen so viele TänzerInnen ausschließlich zur bald 100 Jahre alten Musik der „Epoca de Oro“ (EdO) der 1930er und 40er Jahre tanzen, wo es doch von den meisten Stücken moderne Einspielungen in hervorragender Tonqualität gibt? Immer wieder wird mir diese Frage gestellt und bis heute habe ich keine gute Antwort darauf. Auf der Suche nach Erklärungen habe ich interessante Anregungen in dem Buch Wut und Wertung – Warum wir über Geschmack streiten gefunden.
Inhalt
Schönheit vs. Qualität
Man möchte meinen, dass es beim Tanzen in erster Linie um „schöne“ Musik bzw. „schönen“ Klang geht. Nehmen wir als Beispiel „Felicia“, einmal von Osvaldo Fresedo und vom Solo Tango Orquestra. Auf die Frage, welche Version einfach nur „schöner“ ist, nehmen fast alle die moderne Version. Noch nie hat jemand gesagt: „Mir gefällt die schlechte Klangqualität, das Rauschen und Knistern und der jaulige Sound – ich mag einfach keinen ’sauberen‘ Klang wie bei modernen Aufnahmen.“
Wenn aber EdOlogen, also Leute, die die EdO Musik zur Ideologie erheben und alle „moderne“ Musik verachten, begründen, warum sie ausschließlich zu historischer Musik tanzen wollen, tun sie das merkwürdigerweise so gut wie nie mit dem eigentlichen einfachsten und naheliegendsten Argument: „Ich finde diese Musik schön.“ An Stelle von „Schönheit“ wird fast immer mit der Qualität der Musik argumentiert (alle Zitate aus Kommentaren der letzten Zeit): Die EdO Musik sei „einzigartig“, nur bei ihr gäbe es „genaue Intonation der Instrumente und die unglaubliche Musikalität der alten Aufnahmen“, „feine Phrasierungen“ und „unerreichte Virtuosität“. Im Umkehrschluss heißt das natürlich, dass es in modernen Einspielungen keine „genaue Intonation“ gibt, die Musiker also schlichtweg falsch spielen.
Schauen wir uns mal die musikalischen Biografien des Solo Tango Orquesta an. Diese Musiker musizieren seit frühester Kindheit, haben in renommierten Akademien studiert, sind bei unzähligen Festivals aufgetreten und haben diverse Preise bekommen. Und da sollen sie „nicht genau intonieren“ und ihr Musizieren soll qualitativ minderwertig sein? Zum einen ist es schon mal lächerlich und vermessen sich als Laie, der keine Ahnung von Musiktheorie und ‑geschichte bzw. Gehörbildung hat, überhaupt derartige Behauptungen anzumaßen. Zum zweiten ist es aufgrund der völlig unterschiedlichen Aufnahmetechniken heute nahezu unmöglich zu sagen, wie die Musik damals wirklich geklungen hat.
Ästhetische Intoleranz und Überlegenheit
Musikgeschmack hat eine in hohem Maße identitätsstiftende Funktion. Fehlende Sachkompetenz wird deshalb oft mit einer ausgeprägten „ästhetische Intoleranz“ kompensiert. Da heißt es dann zum Beispiel, dass zeitgenössische Orchester „einfach flach, faltenlos, glattgeschliffen“ und „emotional ziemlich steril“ klingen und seit 70 Jahren habe sich „nichts qualitativ Vergleichbares“ mehr entwickelt. Gerade weil ihr Musikgeschmack permanent in Frage gestellt wird („Wie kann man so ein Geschrammel mögen?“), stehen EdOlogen unter ständigem Rechtfertigungsdruck und können sich nur durch Ablehnung und Abwertung anderer Geschmacksäußerungen selber aufwerten. Sie postulieren eine „ästhetische Überlegenheit“: Wer die EdO Musik nicht schätzt, ist musikalisch nicht gebildet genug, um ihre Qualitäten zu würdigen.
Selbstbetrug
Dass das Narrativ des EdO Musikkenners und ‑liebhabers für die meisten TänzerInnen ein grotesker Selbstbetrug ist, erkennt man sofort, wenn man sich Videos von Milongas bzw. Encuentros anschaut. Man erwartet zwar nicht gleich die im Bereich der klassischen Musik übliche Ehrfurcht, aber doch zumindest Respekt vor der Musik. Genau das Gegenteil ist jedoch oft der Fall: Die Musik ist völlig unwichtig. Sehr oft wird erstmal ausgiebig gequatscht, bevor es irgendwann mal losgeht (die letzten fangen im Video nach ca. 50 Sekunden an zu tanzen!). Es ist absurd, eine bestimmte Musik einerseits in den höchsten Tönen zu loben und sie gleichzeitig völlig zu ignorieren. Und es sind ja nicht nur einzelne Ignoranten, es quatschen fast alle. Dabei sind bis zu 30 Sekunden absolut üblich (bei einer Länge von 2:30 also rund einem Fünftel). Angesichts der vielen Dinge, die bei Milongas und Encuentros verboten sind (siehe zum Beispiel diese Liste), wäre es ja ein Leichtes einen weiteren Punkt „No talking on the dancefloor“ hinzufügen. Aber es ist eben bezeichnend, dass es keine entsprechenden Vorschriften gibt, während fast alles Andere bis ins kleinste Detail reguliert wird. Die Musik wird nicht nur nicht respektiert und wertgeschätzt, sie spielt keine Rolle, ist bestenfalls eine Art Hintergrundrauschen.
Dass die Selbstinszenierung als EdO Musikkenner reine Fiktion und Selbsttäuschung ist, erkennt man darüberhinaus auch an der Tatsache, dass die meisten Paare sich komplett neben der Musik / dem Takt bewegen und eher zufällig mal einen betonten Taktschlag „treffen“. Es ist lächerlich, wenn Leute, die behaupten „feinste Phrasierungen“ herauszuhören und zu goutieren, nicht mal den primitiven Grundschlag / „Puls“ von gewöhnlichen Tangos hören bzw. ihn nicht in Bewegung umsetzen können.
EdOlogen antizipieren von sich aus oft den Vorwurf, dass ihre Musik „langweilig und eintönig“ sei. Verstärkt wird dieser Vorwurf noch dadurch, dass es ja nur ein paar Hundert Stücke sind (die Zahlen bewegen sich zwischen 400 und ca. 1000), die in ermüdender Eintönigkeit wieder und wieder gespielt werden. Dieser Tatsache wird häufig entgegnet, dass diese öden Wiederholungen für Zuhörer natürlich langweilig, aber für Tänzer besonders reizvoll seien, weil sie immer wieder musikalische Raffinessen entdecken würden, die sie „vertanzen“ könnten. Wieder wird suggeriert, dass sich Tänzer auf feinste Details der Musik konzentrieren könnten, während in Wirklichkeit die Akustik oft schlecht ist, es laute Umgebungsgeräusche gibt und Tänzer in erster Linie mit der Navigation auf beengter Tanzfläche beschäftigt sind.
Ästhetische Autoritäten
Der eigene Musikgeschmack wird zwar oft erbittert verteidigt, er ist gleichzeitig aber auch sehr anfällig für Suggestion bzw. Manipulation durch ästhethische „Autoritäten“. Man hat zum Beispiel Testteilnehmern zweimal das exakt selbe klassische Musikstück vorgespielt. Beim ersten Mal sagte man ihnen, es würde von einem drittrangigen Provinzorchester gespielt, beim zweiten Mal vom weltberühmten Orchester X unter Leitung von Maestro Y. Prompt hörten die Teilnehmer beim ersten Mal falsche Töne, fehlenden Takt etc., während sie beim zweiten Mal die brilliante Interpretation, die überragende Virtuosität etc. lobten. Ebenso könnte man eine moderne Tango Einspielung nehmen und sie am Computer mit Hilfe von diversen Filtern zu einem typischen, verrauschten EdO Stück machen. Garantiert würden die selbsternannten Kenner wieder die „einzigartige Qualität und Virtuosität“ loben und die „minderwertige“ Originalversion kritisieren. Was im Bereich der klassischen Musik vor dem Konzert der Konzertführer und nach dem Konzert der Musikkritiker in der Zeitung ist, sind beim Tango anerkannte Fachleute wie Michael Lavocah oder die „Tango Music Tutorials“ von Richard. Ein zunächst nichtssagendes und langweiliges Stück wird durch entsprechende Expertise „geadelt“, so dass man glaubt plötzlich Dinge zu hören, die man vorher nicht gehört hat.
Gewöhnung, Peer Pressure und Biographie
Wenn es gar nicht die „Qualität“ ist, woher kommt diese merkwürdige Fixierung auf die historischen Aufnahmen? Der Hauptgrund ist m.E. schlicht und einfach Gewöhnung, auf Neu-Deutsch der sog. „Mere-Exposure-Effekt“. Selbst wenn man anfangs einem Musikstil ablehnend oder neutral gegenübersteht, gewöhnt man sich irgendwann an ihn, wenn man ihm nur häufig genug „ausgesetzt“ ist. Es ist (zumindest in München) praktisch unmöglich Tango nicht zu EdO Musik zu lernen. Die meisten finden den Sound am Anfang befremdlich und langweilig, gewöhnen sich im Lauf der „musikalischen Erziehung“ aber daran. Sie hören sowohl im Unterricht als auch auf Milongas nie andere Musik, so dass sich im Gehirn die Gleichung „Tango = antiquierte Musik“ festsetzt.
Außerdem wirkt auch ein erheblicher Gruppendruck: Man möchte vor der „Peer Group“ der anderen Kursteilnehmer nicht als Banause dastehen und verkneift sich deshalb jede Kritik an der Musikauswahl. Im Lauf der Zeit und durch die Macht der Gewohnheit sieht man sich immer mehr als Teil einer „Elite“ bzw. „In-Group“, die einen besonders „wertvollen“ musikalischen Geschmack hat, den Außenstehende nicht würdigen können. Es entsteht eine kollektive „Geschmacksidentität“, die vor allem auf der ästhetischen Verachtung moderner Tango-Einspielungen basiert.
Ein weiterer Grund ist, dass vor allem bei Leute, die schon länger tanzen, die alte Musik eine „biographische“ Bedeutung bekommen hat und dadurch ein Teil der Identität geworden ist. Man verbindet mit der Musik schöne Erinnerungen an Milongas mit positive Erlebnissen. Bekanntlich wird nichts so erbittert verteidigt wie die Musik der eigenen Jugend, weil sie mit intensiven Gefühlen assoziiert wird.
Ausblick
Man kann sich jedoch leicht vorstellen, wie schnell sich alles ändern könnte. Es könnte mit einem Artikel von Michael Lavocah beginnen. Darin beschreibt er, dass er sich viele Jahre ausschließlich für die EdO Musik interessiert hat. Vor kurzem hat jedoch er jedoch das Solo Tango Orquesta (oder ein anderes zeitgenössisches Ensemble) live erlebt und war völlig begeistert. Es folgt das übliche Loblied auf technische Brillianz, unerhörte Musikalität und Virtuosität, großartige Interpretation usw. Dieser Artikel verbreitet sich schnell in der Tango-Szene und in der nächsten Ausgabe der Tangodanza wird darüber berichtet. Nach einiger Zeit springen auch EdO Gurus wie Cassiel auf den Zug auf und dann geht alles ganz schnell. Überall wollen die Leute jetzt zu diesen „wunderbaren neuen Klängen“ tanzen. Die Tanzschulen passen sich an und nachdem auf EdO Milongas immer häufiger Leute fragen, wann denn endlich „richtiger“ Tango gespielt wird, ändert sich auch hier die Musik sehr bald. Nach wenigen Jahren spottet man (wie in Argentinien in den 70er und 80er Jahren) über die antiquierte „Musik der Toten“, die früher gespielt wurde und will nur noch zu schöner Musik tanzen:
Gerhard Riedl
Lieber Kollege,
eine wirklich beachtliche Analyse! Ich habe mir erlaubt, den Text auf Facebook zu empfehlen.
Beste Grüße!
Helge Schütt
Lieber Jochen,
Du erwähnst in Deinem Artikel mehrfach Michael Lavocah. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Du Dich noch nie persönlich mit ihm getroffen hast.
Ich habe Michael als äußerst hilfsbereiten Menschen kennengelernt, der sein phänomenales Wissen über die traditionellen Orchester gerne mit anderen Leuten teilt. Dabei benimmt er sich nicht wie ein allwissender Guru, sondern er sucht und genießt den fachlichen Diskurs. Weil er auf genau diese Art auch selber immer weiter dazulernt.
Darum folgender Vorschlag: Warum besprichst Du nicht deine Thesen mit ihm und unterbreitest ihm den Vorschlag mit einem Artikel zum Solo Tango Orquesta? Ich bin sehr gespannt auf seine Reaktion und es wäre wundervoll, wenn Du uns allen das Ergebnis Eurer Diskussion mitteilen könntest.
Liebe Grüße,
Helge
Jochen Lüders
> Du erwähnst in Deinem Artikel mehrfach Michael Lavocah.
Ich erwähne ihn genau ZWEImal.
> Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Du Dich noch nie persönlich mit ihm getroffen hast.
Stimmt, wozu sollte ich das auch tun? Ich habe sein Buch gelesen, bzw. genauer gesagt, ich habe es angefangen und nach ca. einem Drittel gelangweilt weggelegt.
> Warum besprichst Du nicht […] Diskussion mitteilen könntest.
Ernsthaft? Ich soll einfach mal so auf eigene Kosten nach England reisen, um mit jemand zu „diskutieren“, dessen Ansicht ich bereits kenne und nicht teile? Die „Diskussion“ wäre sehr kurz: Wir würden feststellen, dass wir einen unterschiedlichen Musikgeschmack haben. Dann erzählt er mir noch was von „feinen Phrasierungen“, „technischer Brillianz“ und „unerreichter Virtuosität“ und das war’s dann.
Helge Schütt
Wer sagt denn, dass Du nach England reisen musst? Michael ist regelmäßig in Deutschland. So war er zum Beispiel am 22. Oktober 2024 in München, siehe https://www.facebook.com/events/309393135580609/
Aber gut: Ich verstehe, dass Du lieber Monografien im Internet veröffentlichen möchtest und an einem echten fachlichen Dialog nicht interessiert bist. Sehr schade!
Jochen Lüders
> Ich verstehe, dass Du lieber Monografien im Internet veröffentlichen möchtest
Offenbar weißt du nicht, was eine Monografie ist. Sehr schade!
„Als Monografie […] bezeichnet man eine umfassende, in sich geschlossene schriftliche Abhandlung über einen einzelnen Gegenstand, also ein einzelnes Werk oder ein spezielles Problem. […] Die häufigste Form der Monografie ist in der Literatur die Biografie, die auch das Gesamtwerk bzw. die Bedeutung und allgemeine Bewertung eines Künstlers, Schriftstellers oder einer sonstigen für die Öffentlichkeit meist bedeutenden Person behandelt.“ (Wikipedia)
Helge Schütt
Stimmt. Ich meinte Monologe und nicht Monographien.
Carsten
Danke für diesen Artikel , dem ich weitestgehend zustimmen kann. Vor allem dem Absatz „Selbstbetrug“ – die Respektlosigkeit, die ich auf einigen EdO-Milongas (nicht allen!) ggü. der Musik erlebe, ist oft schwer entspannt zu ertragen.
Ein paar abweichende Gedanken mag ich trotzdem kommentieren:
1.) „Es ist (zumindest in München) praktisch unmöglich Tango nicht zu EdO Musik zu lernen.“
In Darmstadt verwenden 3 von 5 Unterichtsangebote auch moderne Tangos für den Tango-Unterricht.
2.) Ich selbst lege auch als Tango DJ auf (sowohl klass., als auch modern und auch non) und schätze _auch_ die klassischen Aufnahmen aus drei Gründen:
a) Es gibt inzwischen schon viele „gereinigte“ Versionen, die ohne das Rauschen und Knistern sind, die auch mir einige klassische Stücke eher verleiden, als sie attraktiv zu machen.
b) Die klassischen Orquester entfalten zum Teil aufgrund ihrer schieren Größe eine Dynamik, die moderne Bands meistens nicht mitbringen (können). Vor allem bei Troilo und Pugliese, die für mich absolute musikalische Höhepunkte von Milongas sein können. Gegenteil: Jede Aufnahme von „La Juan D’Arienzo“ die ich kenne.
c) Von vielen Stücke gibt es (meines Wissens) eben dann doch noch keine moderne Version – wie z.B. von DiSarli oder Pugliese
3.) Was mir in deiner Anlyse fehlt, sind drei Aspekte:
a) (Alters-) Konservativismus: Natürlich ist es bequemer, wenn ich mich weiter zu bekannten Stücken bewegen kann. Dann fällt auch nicht so auf, dass ich gar nicht improvisiere, sondern auswendig tanze.
b) Marktmacht: Mit der exklusiven Marke „EdO“ läßt sich zumindest derzeit noch mehr Geld verdienen, sodass auch ehemals junge Wilde (wie Chicho) inzwischen zu EdO zeigen und unterrichten.
c) Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen EdO und Neo (von beiden Seiten!), der dazu führt, dass modernere Tangos (vom späten Pugliese, Eduardo Rovira und Piazzolla über die vielen Jazz-inspirierten Interpretationen (z.B. José Colangelo, Pablo Aslan) bis hin zu aktuellen Tango-Kompositionen (z.B. von Cachivache, Beltango, BandoNegro)) praktisch auf fast keinen Milongas gespielt werden.
Soweit ein paar Gedanken von mir dazu.
Jochen Lüders
> Natürlich ist es bequemer […] sondern auswendig tanze.
Da das Thema meines Artikels der (EdO) Musikgeschmack ist, gehört dieser Aspekt nicht hierin.
Was soll an „auswendigem“ Tanzen schlecht sein? Der Mann hat ein bestimmtes Repertoire an Schritten/Figuren (auswendig) gelernt und das tanzt er halt. Ich wäre ja schon froh, wenn überhaupt noch „getanzt“ und nicht nur an der Stelle gedreht werden würde: https://jochenlueders.de/?p=17121
Abgesehen davon dürfen die Leute doch gerne weiterhin zu „bekannten“ Stücken tanzen, nur halt in klanglich „schönen“ Versionen.
Anja
Lieber Jochen,
lieber Helge,
liebe Tango-Community,
zunächst einmal herzlichen Dank für den sehr inhaltsreichen Beitrag.
> Ich meinte Monologe
Literaturwissenschaftlich handelt es sich bei einem Monolog um ein Gespräch mit sich selbst, insbesondere im Drama.
Gewöhnlich schreiben Blogger keine Dialoge. Von einem Dialog könnte man allenfalls bei einem Interview sprechen. Jochen führt dennoch keine „Selbstgespräche“, sondern richtet sich an seine Leser. Ein Drama vermag ich auch nicht zu erkennen. Zudem wäre die Kommentarfunktion obsolet, wenn Jochen nicht an einem fachlichen Diskurs interessiert wäre. Der Vorwurf des Monologs ist folglich genauso sinnentleert, wie der der Monographie.
Wenn ich mir Deine Beiträge anschaue (wie z.B.
https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/07/wohin-fliet-die-energie.html)
kann ich ebenfalls leider beim besten Willen keinen Dialog erkennen. Und
wenn ich mir die Kommentar-Diskussion durchlese, sehe ich bei Dir
kein Interesse an einem echten fachlichen Dialog. Wirklich schade!
Und sorry, wenn ich das so direkt schreibe aber der Hinweis auf die „Autorität“ Michael Lavocah (der Name fällt bei dem Artikel erst beim „Ausblick“ am Schluss), ist ein reines Autoritätsargument, also ein rhetorisches Mittel. Ich kenne ihn nicht und werde mir daher kein Urteil über ihn erlauben. Aber warum sollte jemand die Diskussion mit ihm suchen (wobei ich keinesfalls behaupten möchte, dass eine solche Diskussion nicht interessant sein könnte), wenn es um den Musikgeschmack „der Massen“ geht?
Als Tangoeinsteigerin, die eigentlich Musikliebhaberin ist, bin ich teilweise erschüttert, welche Musik sich manche Menschen freiwillig in ihrer Freizeit antun. Ich mag Traditionen (wobei man den Discofox auch nicht jahrzehntelang zu ein und denselben Stücken tanzen muss) und ich mag klassische Musik, aber ich möchte Musik fühlen (sowohl beim selbst Musizieren, Hören als auch beim Tanzen) und das kann ich nur, wenn mich die Musik berührt.
Das ist auch keine Frage des Alters. Ich glaube nicht, dass mich diese „Schrammelmusik“ in 20 oder 25 Jahren berühren wird.
Ich gehöre offenbar auch zu den Exoten, deren Musikgeschmack sich „einen Dreck“ um die jeweilige Peer-Group oder einer „Pseudo-Elite“ schert. Dafür bin ich in der Lage während eines Konzerts NACH den Sätzen oder auch zum Takt zu klatschen, womit einige „Musikliebhaber“ schon gnadenlos überfordert sind.
Und zum Abschluss noch eine kurze Anmerkung zum Tangotanzen (man verzeihe mir den Exkurs, da es in dem Beitrag um Musik geht):
Als Tango-Neuling weiß ich es wirklich zu schätzen, wenn mich ein versierter Herr auf einer Practica auffordert.
Allerdings bin ich zum Teil entsetzt, wie wenig der (geführte)Tanz mit der Musik zu tun hat. Als Anfängerin in der Rolle der Folgenden gerate ich somit regelmäßig in einen Konflikt, den ich nicht aufzulösen vermag (eventuell mit Ohropax in den Ohren, weil ich die Musik einfach nicht ignorieren kann?) Vielleicht würde es auch den langjährigen Tänzern leichter fallen, auf modernere Stücke zu tanzen?
Wolfgang Balzer
„Schön“ nur auf die technische Qualität von Musik zu beziehen weist auf einen ziemlichen Mangel an Wahrnehmungstiefe hin. Ich würde das mal mit Licht vergleichen. Wenn ich ein zeitgenössische Stück höre, ist das wie kaltes, hartes Xenon- oder Leuchtstoffröhren-Licht. Eine Edo-Aufnahme, bei allen technischen Defiziten, wirkt dagegen wie warmweißes, angenehme Beleuchtung. Mit anderen Worten, es geht um die emotionale Wahrnehmung. Ob das nun daher kommt, daß ein 20-Mann-Orchester einfach mehr Komplexität hinbekommt als drei oder vier Musiker, ob die emotionale Energie beim Spielen irgendwie anders war und über die ganze Transferkette doch irgendwie bei den Tänzern ankommt, ob es am „Instrument“ menschliche Stimme liegt, oder was auch immer – letzten Endes egal. Es ist eine Ende-zu-Ende-Bewertung. Und ja, selbstverständlich volkommen subjektiv. Daher ist es auch ziemlich sinnlos, diese Bewertung irgendwie mit dem Aufzählen von Plus-Argumente für X oder Minus-Argumente für Y herbeidiskutieren zu wollen, oder mit dem Unterstellen irgendwelcher Defizite. Tänzer treffen Entscheidungen, und wenn man diese auf Basis irgendeiner Theorie nicht versteht, taugt die Theorie nichts. Da hilft auch keine Tänzerbeschimpfung.