Barren, Badminton, Basketball: Sport soll zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung von Schülern beitragen. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Hat sich der Schulsport in den vergangenen Jahren modernisiert – oder ist er nicht mehr zeitgemäß?
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N. Aunyn
Schon deprimierend, wie wenig sich in den letzten Jahrzehnten geändert hat, außer daß es im Kurssystem Sportarten gibt, die damals noch nicht gängig waren.
Carsten
Analog zu einem Managercoach oder Unternehmensberater würde ich – vielleicht etwas vorschnell – sagen: Vergesst es, motivieren zu wollen, aber hört endlich auf, zu demotivieren. Das Problem daran ist, was demotiviert SuS eigentlich? Das hängt leider vom Einzelnen ab. Ich gehe davon aus, dass die, die körperlich im Nachteil sind, sei es entwicklungsbedingt, sei es durch frühe Fehlernährung oder was auch immer, allein schon durch Wettbewerb (schneller, höher, weiter etc.?) demotiviert werden, während Wettbewerb für „gesunde“ Kinder eher einen Ansporn darstellt. Bei der Wahl der Mannschaften für irgendwelche Mannschaftssportarten als letzter gewählt zu werden (nimmst du den Blinden, dann nehm ich den Lahmen?), ist schon erniedrigend genug,
Das wichtigste Ziel für mich am Sportunterricht wäre doch eigentlich, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper aufzubauen, egal wie er beschaffen ist und wie leistungsfähig er ist. Spaß an Bewegung zu erreichen, und wenn es hoch kommt, auch daran, sich auszupowern. Vielleicht auch noch zu erkennen, welcher Art von Bewegungstyp man ist: eher Konditionssportler oder Schnelligkeits- oder Kraftsportler. Erst gegen Ende meiner Schulzeit kristallisierte sich heraus, dass – wenn überhaupt – die Langstrecke mein Ding war. Und erst das Leben zeigte, dass es Bewegungsarten gab, die mich tatsächlich oder überhaupt reizten, und zwar nicht, wegen des Gewinns an Fitness oder dergleichen: Bewegung zu Musik, sprich Tanzen, oder Bewegung, um etwas zu sehen, also Radfahren oder Joggen, oder die teilweise Entlastung von der Schwerkraft beim Schwimmen. Selbst beim Tanzen waren es tendenziell die Tänze, bei denen man sich durch den Saal bewegte und weniger die, bei denen man mehr oder weniger an der Stelle blieb. Seinen Körper positiv wahrzunehmen, sowohl im Ruhezustand als auch in der Aktion oder danach in der Erschöpfung, das wäre für mich das Wichtigste, egal ob fett, mager, groß oder klein.
Auch verschiedene Körperzustände zu erreichen und sie positiv wahrzunehmen wie z.B. Körperspannung an verschiedenen Stellen aufzubauen oder sie wahrzunehmen, wären für mich erstrebenswerte Ziele des Sportunterrichts. Wie man das erreicht mit einer Klasse von knapp 30 SuS, die von Körperkaspern bis hin zu Leistungssportlern reicht, weiß ich zwar auch nicht, aber diese Differenzierung muss ich ja auch nicht leisten.
Persönlichkeitsentwicklung? Ja, die wurde erreicht: Ich habe im Sportunterricht gelernt zu ertragen, ständig der Unterlegene zu sein, Dinge einfach zu tun, ohne Ahnung davon zu haben, mich (im Völkerball) erfolgreich vor dem Ball wegzuducken. Herausforderungen anzunehmen, meine Kenntnisse zu erweitern, daran zu arbeiten besser als andere zu sein oder andere positive Dinge habe ich eher im Leben gelernt, nicht im Sportunterricht.
Jochen Lüders
> hört endlich auf, zu demotivieren.
Was heißt das genau?
Nehmen wir dein Beispiel Völkerball. Du warst völlig passiv und hast dich „weggeduckt“. Wenn du die „Herausforderung angenommen“ hättest und eine Zeitlang konsequent Werfen und Fangen geübt hättest, hättest du wahrscheinlich sehr schnell Erfolgserlebnisse gehabt und Völkerball wäre plötzlich ein cooles Spiel gewesen.
So warst du aber „demotiviert“ und es wäre dir vermutlich am liebsten gewesen, wenn du dich einfach an die Seite hättest setzen können. Dieses Recht hätte natürlich auch für alle anderen gelten müssen, die keinen Bock auf Völkerball gehabt hätten. Also wäre ein Drittel (?) / die Hälfte (?) einfach rumgesessen. Die Hallen meiner Schule waren / sind so klein, dass es keinen Platz gibt neben Völkerball noch was Anderes zu machen. Aber selbst wenn es eine große Dreifachsporthalle wäre: Was hättest du und die anderen in der Zeit gemacht? Selbstständig irgendwas geübt? Ziemlich unwahrscheinlich …
Dir hat die Langstrecke Spaß gemacht. Für die meisten Schüler sind bereits die 1.000 m eine Qual und entsprechend sind sie „demotiviert“. Was bedeutet das jetzt für den Lehrer? Nur die, die Lust haben, laufen z.B. 1.500 m oder 3.000 m? Wärest du in der 9ten Klasse freiwillig 3.000 m gelaufen? Ziemlich unwahrscheinlich …
Dir hat Tanzen Spaß gemacht. Ich habe mit meinen Schülern Aerobic gemacht (vgl. https://jochenlueders.de/?p=882). Und ja doch, falls nötig, habe ich sie dazu gezwungen und – ganz bääh – durch Noten Druck gemacht. Und natürlich fanden es am Anfang die meisten „demotivierend“, ganz einfach weil sie es noch nie gemacht hatten und man, wie immer, erstmal ein bisschen üben muss. Aber nach kurzer Zeit fanden es die meisten ganz ok und einigen hat es sogar Spaß gemacht und Jahre später haben sie mir erzählt, dass diese Stunden ihr Einstieg ins Tanzen war.
Hast du inzwischen selber Kinder? Dann weißt du, wie schnell sie „frustriert“ und „demotiviert“ sind, egal ob im Sport, in der Schule oder ob sie ein Instrument lernen wollen/sollen. (Lediglich bei Computerspielen zeigen sie eine unglaubliche Ausdauer und Frustrationstoleranz.) Wenn du sofort gleich mit „Dann halt nicht“ reagierst, werden deine Kinder nie „resilient“ werden.
Carsten
>Du warst völlig passiv und hast dich „weggeduckt“.
Da hab ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt: ich bin aktiv gewesen und war sehr geschickt im wegducken, sodass ich oft der letzte im Feld war, das war mein Erfolgserlebnis. Fangen und Werfen war dafür nicht nötig.
>Völkerball wäre plötzlich ein cooles Spiel gewesen.
Aus dem o.g. Grund war genau Völkerball das coolste Spiel, das leider in den höheren Klassen an Stellenwert verlor. Rumsitzen wäre genau bei Völkerball keine Option gewesen, eher in allen anderen Ballsportarten.
>Wärest du in der 9ten Klasse freiwillig 3.000 m gelaufen? Ziemlich unwahrscheinlich …
Ich habe irgendwann festgestellt (ca. 9. oder 10.), dass selbst 1000 mir noch zu kurz waren, weniger Tempo, dafür noch länger, das war mein Ding. Aber ich habe ja geschrieben: ich weiß, dass die Differenzierung erst recht in Sport eine Quadratur des Kreises darstellt.
>Ich habe mit meinen Schülern Aerobic gemacht
Aerobic war mir schon wieder viel zu „sportlich“ zu sehr auf den einzelnen fixiert und roch wieder zu sehr nach „Sport als Selbstzweck“. Die Paarinteraktion hatte für mich mehr Reiz. Aber wenn Aerobic andere zum Tanzen hinführt, ist das doch schön. Man kann es nie alle recht machen.
> Hast du inzwischen selber Kinder?
Nein, aber Schüler, und ich kenne natürlich das Problem mit der (De-)Motivation und dem Frust aus meinen Fächern genauso. Ich stimme dir da voll zu, schließlich habe ich auch einiges an Lebenserfahrung. Selbstüberwindung ist enorm wichtig, um weiterzukommen. Übrigens arbeiten die meisten Computerspiele mit dem Belohnungssystem des Gehirns und nutzen dies weitaus klüger als die meisten Pädagogen (mich eingeschlossen), und das sorgt im positiven Falle für mehr Durchhaltevermögen, im negativen Falle für Suchtverhalten.
Ich kenne ja die pädagogischen Ziele des Sportunterrichts nicht und weiß nicht, was die Kumis dafür vorgesehen haben. Ich wollte nur mal dazu sagen, was für mich ein wichtiges Ziel wäre.
Jochen Lüders
> […] Differenzierung erst recht in Sport eine Quadratur des Kreises darstellt.
Stimmt, aber das Entscheidende ist für mich, dass inzwischen bei immer Leuten die Vorstellung vorherrscht, dass der Sportunterricht ausschließlich „Spaß machen“ soll und keinesfalls frustrieren / demotivieren dürfe. Und dass man Kinder entsprechend vor Misserfolgserlebnisse bewahren sollte. Das heißt im Umkehrschluss, dass alle nur noch das machen, was sie eh schon kennen bzw. können und vor allen Zumutungen verschont bleiben. Sportunterricht als „safe space“. Und gleichzeitig fordern die selben Leute, dass der Sportunterricht Frustrationstoleranz und „Resilienz“ vermitteln soll. Was denn nun?