… sind ein besonders Problem im kommunikativen Sprachenunterricht. Wieviel aktive Mitarbeit darf man von Schülern erwarten und wie reagiert man – vor allem wenn es um Mitarbeitsnoten geht – wenn Schüler von sich aus wenig oder auch gar nichts sagen? Claudia Boerger hat sich Gedanken zu diesem Thema gemacht.
Autonomes Lernen und mündliche Beteiligung
In der Literatur werden viele Vorteile selbstverantwortlichen Lernens genannt (Motivation, Erziehung zur Selbstständigkeit, Vorbereitung auf das Berufsleben, Zurücktreten des Lehrers, Individualisierung, Binnendifferenzierung, usw.). Mir persönlich ist ein bisher eher unberücksichtigt gebliebener Aspekt aufgefallen, der den Einsatz autonomer Lernformen für mich nicht nur rechtfertigt, sondern geradezu notwendig macht.
Während der Hauptphase von Projektarbeiten merke ich deutlich, dass hier gerade die stilleren, scheuen, introvertierten Schüler ihr Potential nicht nur zeigen können, sondern dieses auch wollen. Manche blühen in diesen Phasen gar richtig auf. Ich habe einige Schüler gezielt darauf angesprochen und jene haben mir bestätigt, wie angenehm sie die projektartige Lernform fanden.
Die Tatsache, dass das Ausmaß mündlicher Mitarbeit im Plenum für den Lehrer am bequemsten zu ermitteln ist, darf nicht dazu führen, dass diese fast ausschließlich als „nicht-schriftliche“ Note herangezogen wird. Leider geschieht jedoch genau dies sehr häufig in der Praxis. Wenn dies z.B. aufgrund der Unterrichtsinhalte unvermeidbar ist, plädiere ich im übrigen ausdrücklich für eine sehr subjektive Benotung, soll heißen positiv einbezogen wird auch der vom Lehrer empfundene Grad des „inneren Schweinehund-Überwindens“. Auf diese Weise kann die Ungerechtigkeit ausgeglichen werden, welche entsteht, wenn Zensierung auch Wesensart mit einbezieht. Natürlich kann sich ein extrovertierter Schüler häufig im Unterricht beteiligen. Einem scheuen und gehemmten Schüler ist dies – wenn überhaupt – nur ungleich schwerer möglich. Dass er sich jedoch dann und wann überwindet, muss bemerkt und honoriert werden.
Auch wenn z.B. Gruppenarbeit Eingang in den Unterricht gefunden hat, wird die mündliche Note häufig in Bezug auf frontal-unterrichtliche Situationen ermittelt. Zunächst ist es zumindest hinterfragungswürdig, ob Beredsamkeit per se und immer einen größeren Wert und damit eine förderungswürdigere Kompetenz darstellt als Zurückhaltung. Wie gesagt, ich spreche hier nicht über den zwischenmenschlichen Diskurs oder team-interne Kommunikation, sondern davon, sich innerhalb der Klasse, d.h. vor einer großen Gruppe zu äußern. Gibt es beispielsweise Untersuchungen, die belegen, dass Sprachgewalt im großen Plenum zu beruflichem Erfolg oder zu persönlicher Zufriedenheit führt und somit eine Basiskompetenz darstellt, der daher auch schulisch eine derart große Rolle zugesprochen werden muss?
Ungeachtet der vorangegangenen Überlegungen müssen wir als Lehrer aber so oder so allen Schülerpersönlichkeiten gerecht werden und ihnen würdevolle Möglichkeiten der Mitarbeit bieten. Auch wenn bei der mündlichen Bewertung allgemein zwischen Qualität und Quantität differenziert wird, muss man sich bewusst sein, dass nicht wenige Schüler immense Schwierigkeiten haben, sich überhaupt vor einer großen Gruppe zu artikulieren. Anstatt nun bei jeder Notenbesprechung – wenn überhaupt – kurz und formelhaft zu bemerken, dass Max ein toller Schüler sei, um dann aber gleich sorgenvoll nachzusetzen „aber leider viel zu still“, sollten wir anfangen mehr darüber nachzudenken, wie der scheue Max sein Potential zeigen kann, ohne dabei ständig von außen gezwungen zu werden, gegen sein eigenes Wesen ankämpfen zu müssen.
An dieser Stelle sollte man zudem bedenken, wie leichtfertig bei Notenbesprechungen und Elternsprechtagen Lehrer ihre Schüler kränken und geradezu respektlos behandeln, indem die zurückhaltende Wesensart als „nicht gewollt“ abgelehnt wird und schier Unmögliches verlangt wird, nämlich diese zu ändern, um anerkannt, d.h. besser benotet zu werden. Ich halte es hier für immens wichtig, das Schülerverhalten nicht als defizitär, sondern positiv oder zumindest nüchtern als charakteristisch für den Schüler zu würdigen („Max, ich merke, dass du gerne durch Beobachten und Zuhören lernst.“).
Neben all den hier nicht genannten Vorteilen, sind autonome Lernformen ein Schlüssel dazu, scheue und befangene Schüler ihrer Art angemessen und damit respektvoll zu fördern. Da sie sich in kleinen und nicht lehrer-kontrollierten Gruppen relativ stressfrei einbringen können, sind projektartige Arbeitsformen besonders dazu geeignet das Selbstbewusstsein introvertierter und befangener Schüler zu entwickeln.
Robert Kübler
Hallo,
>Gibt es beispielsweise Untersuchungen, die belegen, dass Sprachgewalt im großen >Plenum zu beruflichem Erfolg oder zu persönlicher Zufriedenheit führt und somit >eine Basiskompetenz darstellt, der daher auch schulisch eine derart große Rolle >zugesprochen werden muss?
Es scheint so zu sein. Vor Kurzem war in der Time ein sehr interessanter Artikel, der intuitives auch wissenschaftliches zu bestätigen scheint
(http://www.time.com/time/health/article/0,8599,1878358,00.html):
Consistently, the group members who spoke up the most were rated the highest for such qualities as „general intelligence“ and „dependable and self-disciplined.“ The ones who didn’t speak as much tended to score higher for less desirable traits, including „conventional and uncreative.“
Leide scheint dabei, die Kompetenz überhaupt keine Rolle zu spielen:
„When the work was finished, the people who spoke up more were again likelier to be described by peers as leaders and likelier to be rated as math whizzes. What’s more, any speaking up at all seemed to do. Participants earned recognition for being the first to call out an answer, but also for being the second or third — even if all they did was agree with what someone else had said. Merely providing some scrap of information relevant to solving the problem counted too, as long as they did so often enough and confidently enough.
When Anderson and Kilduff checked the participants‘ work, however, a lot of pretenders were exposed. Repeatedly, the ones who emerged as leaders and were rated the highest in competence were not the ones who offered the greatest number of correct answers. Nor were they the ones whose SAT scores suggested they’d even be able to. What they did do was offer the most answers — period.
„Dominant individuals behaved in ways that made them appear competent,“ the researchers write, „above and beyond their actual competence.“ Troublingly, group members seemed only too willing to follow these underqualified bosses. An overwhelming 94% of the time, the teams used the first answer anyone shouted out — often giving only perfunctory consideration to others that were offered.
Die Antwort auf deine obige Frage scheint also ganz klar „JA“ zu sein.
Die Frage ist nur, sollen wir diese „Ungerechtigkeit in der Schule ausgleichen? Oder die Ss „knallhart“ auf die Lebensrealität vorbereiten?
Ich neige eher zu deiner Sicht:
>Ungeachtet der vorangegangenen Überlegungen müssen wir als Lehrer aber so oder so >allen Schülerpersönlichkeiten gerecht werden und ihnen würdevolle Möglichkeiten >der Mitarbeit bieten.
Aber zum Nachdenken bringt mich der Artikel in der Time schon.
Robert
Lena
Schön finde ich die Betonung der „würdevollen“ Beteiligungsmöglichkeit und des „respektvollen“ Umgangs durch den Lehrer / die Lehrerin.
eisbärin
Toller Artikel!
Das ist eines derer Themen, die mir schon lange am Herzen liegen. Besonders stark wird mir das jedes halbe Jahr aufs Neue bewusst, wenn ich sehe, wie sehr sich einige dieser scheuen Schüler abrackern, sich im (meist frontalen) Unterricht zu beteiligen, am Ende aber einen Kommentar zur Zeugnisnote in dieser Art ernten „Du hast ja immer gut aufgepasst und 2–3 mal etwas gesagt, aber in deinen Kopf schauen kann ich nicht! Du musst dich einfach mehr beteiligen!Besser als 3–4 kann ich dir mündlich einfach nicht geben.“ Da hat sich der Schüler nun angestrengt, dem Lehrer zu gefallen, hat sich in aller Regel besser auf den Unterricht vorbereitet, hat die Hausaufgaben meist gründlicher erledigt als die Mitschüler, ist einige Male über seinen Schatten gesprungen und das ganze wird noch nicht einmal gewürdigt. 🙁
Habe gerade meinen Berufswunsch gefunden: Ich werde mal Kultusministerin und schaffe mündliche Noten ab. Und das wo ich Politiker nicht riechen kann.…
Philipp
@ Robert: Ich habe neulich auch etwqs gelesen, was einen ähnlichen Tenor hatte. Ich weiß die Quelle nicht mehr, aber als Ergebnis einer Studie hieß es sinngemäß: Der Chef ist in der Regel auch nicht klüger als der gewöhnliche Mitarbeiter, er erscheint aber kompetenter, weil er sich mehr zu allen relevanten Themen einbringt. Also im Umkehrschluss: Der extrovertierte Mensch, der sich zu allem äußert, hat größere Aufstiegschancen in der Berufswelt. Dies entspricht ziemlich genau den Inhalten der im Time Magazine zitierten Studie.
Allgemein kann ich Claudia nur voll zustimmen, dass die stilleren Schüler nicht zu schlecht wegkommen dürfen. Es ist sicherlich auch sehr klug zu versuchen, diese durch offenere Unetrrichtsformen aus der Reserve zu locken, was aber sicher nur bei manchen gelingt. Ich bin allerdings der Meinung, dass es die von Claudia vorgeschlagenen „subjektiven Bewertungen“ gar nicht unbedingt braucht. Wenn man versucht wirklich Qualität und zu bewerten und sich von purer Quantität von Beiträgen möglichst wenig „blenden“ zu lassen, kann man m.E. eigentlich ganz gut hinkommen. Leute, die schüchtern sind, aber (vielleicht auch nur manchmal) intelligente Sachen sagen, können doch auch trotzdem gute mündliche Noten bekommen. Schließlich gibt es ja genau deswegen separate Mitarbeitsnoten, die im Zeugnis verbal ausgedrückt werden. Dort darf so jemand dann schon schlechter wegkommen, aber in den Fachnoten doch wohl nicht…
Claudia Boerger
@ Philipp
„Wenn man versucht wirklich Qualität und zu bewerten und sich von purer Quantität von Beiträgen möglichst wenig “blenden” zu lassen“
Dies klingt so ein wenig für mich nach diesem unsäglichen Stille-Wasser-sind-tief-Klischee demzufolge, die, die wenig sagen, stets unglaublich tiefschürfende – wenn auch größtenteils geheime – Gedanken in sich tragen, während alle die, die sich oft zu Wort melden, nur dumpfen Unsinn von sich geben (um eine Lehrerparallele zu ziehen: genauso wie die schlechtesten Studienabgänger landläufig oft zu naturbegabten Pädagogen avancieren und Einser-Lehramtsabsolventen sich gemeinplätzig ausschließlich aus unsensiblen Fachidioten rekrutieren).
Die Realität hält aber nicht nur zwei Möglichkeiten sondern derer mindestens vier parat. Um bei den Schülern zu bleiben: Es gibt neben den Genannten zudem hochintelligente, den Unterricht ungemein voranbringende „Vielschnacker“ sowie auch Schüler, deren geringe Beredsamkeit durchaus schlichtweg daraus resultiert, dass sie dem Unterricht nicht zu folgen vermögen.
Claudia Boerger
@Robert
Danke fuer den interessanten und lehrreichen Input.
Im Grunde stimme ich deinem abschliessenden Resümee zu, wenn du sagst „Die Frage ist nur, sollen wir diese “Ungerechtigkeit in der Schule ausgleichen? Oder die Ss “knallhart” auf die Lebensrealität vorbereiten?“
Ich wuerde nur einen anderen Akzent setzen, denn ich spreche ja auch von persoenlicher Zufriedenheit, und die steht ja auf einem anderen Blatt. Auch bedeutet beruflicher Erfolg ja nicht unbedingt das in dem Artikel Geschilderte Blendertum; da haette ich, genau wie du auch, andere paedagogische Ansprueche an beruflicher Lebensvorbereitung – auch da spielt ja innere Zufriedenheit eine große Rolle.
Maik Riecken
Meine Gedanken dazu (schon etwas älter):
http://riecken.de/index.php/2008/12/living-in-perfect-harmony/
“Die Frage ist nur, sollen wir diese “Ungerechtigkeit in der Schule ausgleichen? Oder die Ss ‚knallhart‘ auf die Lebensrealität vorbereiten?”
Der Lebensraum der Wirtschaft dringt m.E. knallhart in den Schutzraum der Schule ein. Die Probleme um die mündlichen Leistung erfahren eine externe Verschärfung, da z.B. kommunikative Kompetenzen mehr in mehr in den Kerncurricula verankert werden. Es wird dezidiert gefordert, dass sich jemand vor die Klasse stellt und Beiräge bringt (Gesprächsleitung, Gedichtvorträge, Präsentationen etc.). Das Ganze verkauft man dann als Kompetenzerweiterung ohne zu sehen, dass man den Druck auf die zurückhaltenderen Naturen dadurch immens verschärft und bestimmten Persönlichkeitstypen (familiäres Umfeld!) genau den von euch postulierten Vorteil bringt.
Ich muss eigentlich gar keine Noten geben – die Forderung ein Lernmoderator zu sein, verträgt sich für mich übrigens auch nicht mit dem Notenzwang. Gutachten reichen mir völlig aus und ich versuche, den SuS Entwicklungen zu zeigen: Dabei kann herauskommen, dass die stille Tina mit ihren zwei Beiträgen in einer Stunde mehr erreicht als der quirlige Johannes mit seinen zehn. Wir bewerten immer die Persönlichkeit von SuS ex- oder implizit mit.
Gruß,
Maik
Jean-Pol Martin
Ich erteile grundsätzlich keine mündliche Note aus den von Claudia Boerger genannten Gründen. Jede Woche wird eine sehr anspruchsvolle Hausaufgabe aufgegeben (11.Klasse), die ich korrigiere und benote. Die mündliche Gesamtnote bilde ich aus dem Durchschnitt der Noten der Hausaufgaben. Begründung: wer sich zu Hause gut vorbereitet hat, liefert gute Unterrichtsbeiträge oder könnte gute Unterrichtsbeiträge liefern, wenn er im Unterricht das Wort ergreifen würde. :-)))
Maik Riecken
Das wäre mir im Prinzip auch am liebsten, ist aber mit dem Prädikat „umfangreich“ für 8+ Lerngruppen = ca. 210 SuS (volle Stelle) zeitlich fast nicht durchführbar (wenn wir pro SoS einmal lächerliche 10 Minuten Korrekturzeit veranschlagen, sind wir da dann schon bei rund 35 Korrekturstunden pro Woche), es sei denn, ich gehe auf Tests mit Multiple-Choice-Aufgaben, die wiederum nur totes Wissen abfragen o.ä. … Ich sach‘ ja – ich brauche einen Assistenten – seufz…
Claudia Boerger
@Jean-Pol Martin
„Jede Woche wird eine sehr anspruchsvolle Hausaufgabe aufgegeben (11.Klasse), die ich korrigiere und benote.“
Abgesehen von Maiks absolut berechtigtem Zeitaufwand-Argument kann ich nicht nachvollziehen, warum die ausschließliche Bewertung von schriftlichen Hausaufgaben als besonders gerecht zu verstehen ist. Was ist denn daran noch eine „mündliche“ Leistung? (Da du von „korrigieren“ sprichst, nehme ich an, dass du von einer schriftlichen Hausaufgabe sprichst?).
Eher ist dein Vorgehen ja noch ungerechter als die von mir angesprochenen problematischen Fälle, da fremdsprachliches Schreiben im allgemeinen bedeutend schwieriger ist als das Sprechen: somit sind ja die (meisten!) Schüler, die sich mündlich durchaus gut verständlich machen könn(t)en, sich aber schriftlich mehr oder weniger schwer tun, nunmehr benachteiligt. Ich habe durchaus Schüler, die sich schriftlich im 3 Punkte Bereich bewegen (Produzenten kaum verständlicher Texte), die mündlich aber im guten Bereich zu finden sind (verständlich, kreativ, selbstständig denkend, den Unterricht vorantreibend usw.). Inwieweit werden denn bei dir die sprechfleißigen Schüler dafür belohnt, dass sie den Unterricht durch ihre Beiträge weitgehend tragen?
In meinem Modell werden (mündlich starke) Schüler ja nicht schlechter, sondern andere (mündlich gehemmtere) Schüler nur besser bewertet; keiner wird benachteiligt. Wenn ich dich richtig verstehe, kann erstere Gruppe nur durch Schriftliches ausgleichen, das wäre aber doch höchst ungerecht und (zumal bei einem fremdsprachlichen Fach) geradezu absurd.
Zwei Fragen noch: (1) Ist dies denn auch justitiabel und gestattet dies euer Schulgesetz? (2) Wie funktioniert die Bewertung in der Mittelstufe, wo man noch viel weniger von gelungenen schriftlichen Hausaufgaben ausgehen kann?
Ich nehme fast irgendwie an, dass ich dich missverstanden habe und du deine Benotung nicht ausschließlich auf Verschriftlichtes (Hausaufgaben & Klausuren) basierst. Klärst du mich auf, falls dem so ist?
Jean-Pol Martin
@Claudia
Ja, ich war etwas faul und habe mein Vorgehen nicht genau genug erläutert:
„(…)warum die ausschließliche Bewertung von schriftlichen Hausaufgaben als besonders gerecht zu verstehen ist.(…)“
– Die Bewertung schriftlicher Leistungen ist nicht ausschließlich. Es ist die „Sockelnote“. Wer mündlich den Unterricht besonders trägt, wird notenmäßig nach oben gehoben. Wer also 3 schriftlich erzielt und besonders aktiv im Unterricht ist, erhält am Ende 2. Wer keinen Ton von sich im Unterricht gibt, aber schriftlich 3 erzielt, wird nicht nach unten gezogen, sondern behält seine 3. Man kann sich also verbessern, aber nicht verschlechtern.
„Zwei Fragen noch: (1) Ist dies denn auch justitiabel und gestattet dies euer Schulgesetz?“
– Nein, das Schulgesetzt gestattet es nicht. Ich halte mich aber nur an meinen eigenen pädagogischen Erkenntnissen und habe mir diese Freiheit erkämpft.
„(2) Wie funktioniert die Bewertung in der Mittelstufe, wo man noch viel weniger von gelungenen schriftlichen Hausaufgaben ausgehen kann?“
– Wie in der Oberstufe: wer nichts sagt, kann nicht unter die Ergebnisse der schriftlichen Test abrutschen, wer den Unterricht trägt, wird von mir nach oben gehievt.
„Ich nehme fast irgendwie an, dass ich dich missverstanden habe und du deine Benotung nicht ausschließlich auf Verschriftlichtes (Hausaufgaben & Klausuren) basierst. Klärst du mich auf, falls dem so ist?“
– Ich hoffe, das ist jetzt ein bisschen klarer.
Claudia Boerger
@Jean-Pol
Danke, so macht es fuer mich auch Sinn.
Jean-Pol Martin
@Claudia
Schön. Mein Verfahren erleichtert die schüchternen Schüler sehr. Auf diese Weise fühlen sie sich nicht unter Druck gesetzt und sprechen mehr, als wenn ihre Beiträge bewertet würden. Aber grundsätzlich halte ich den Unterrichtsdiskurs völlig frei von Noten. Und das ist für alle Beteiligten, vor allem auch für mich, viel entspannender und fruchtbarer. Stelle dir vor: KEINE NOTEN im Unterricht vergeben müssen! Ist doch toll, oder?
Claudia Boerger
@Jean-Pol
„Stelle dir vor: KEINE NOTEN im Unterricht vergeben müssen! Ist doch toll, oder?“
Das faende ich auch absolut wuenschenswert und sinnvoll auch im Hinblick auf die (gerechtfertigte wie ich meine) Festschreibung der Kompetenzorientierung in den neuen Bildungsplaenen. Wenn ich als Lehrerin, wozu ich ja nunmehr mehr oder weniger verpflichtet bin, nach eingehender Diagnose den Schuelern differenzierte Aufgaben gebe, kann ich ja eigentlich gar nicht mehr mit den traditionellen Noten bewerten, denn ich muss ja schon den individuellen Leistungszuwachs der Schueler im Auge haben. Wenn ich aber einem Schueler der das untere Niveau 1 erreicht hat, ein „sehr gut“ gebe, einem weiteren Schueler aber, der das hoehere Niveau 3 erledigt habe genauso bewerte, wird es fuer keinen mehr nachvollziehbar und damit auch unbefriedigend.
Jean-Pol Martin
@Claudia
Ja, so ist es.
Johannes Wiele
Schöne Beiträge auf dieser Seite – ich hab gerade zum Thema recherchiert, weil ich für die Schulzeitung meiner Ex-Schule einen Beitrag zum Thema schreiben will.
Mein Hintergrund: Ich war mal so ein Stiller, den das ewige Gedrängel („Ich kann nicht in Deinen Kopf sehen“, „Du stellst Dein Licht unter den Scheffel“) so lange hart an einen Nervenzusammenbruch manövriert hat, bis mir mein ganz normaler Hausarzt gesagt hat, ich solle Schule und Lehrer gefälligst nicht mehr so ernst nehmen, oder er würde für einen Abgang meinerseits vom Gymnasium plädieren.
Interessant war dann, wie meine „Schwäche“ in der gänzlich anderen Kommunikationssituation von erst Universität und dann Berufsleben einfach irrelevant wurde – ich habe jetzt gerade 10 Jahre als Journalist mit Interveiws und internationalen Moderatoren- und Vortragseinsätzen hinter mir und wurde nicht zuletzt wegen eines frei gehaltenen Vortrags (kein Powerpoint, nur ein Zettel) in eine recht hoch angesiedelte Stelle als Berater zu einem Sicherheitsunternehmen abgeworben. Ich habe mich aber kein bisschen geänert, höre immer noch mehr zu als dass ich rede – aber tue es tatsächlich, ganz ohne Nervosität und Probleme. Inzwischen glaube ich, dass die Schule tatsächlich eine einzigartige Kommunikationssituation erzeugt, mit der einfach nicht jeder klarkommt, die aber nur begrenzte Schlüsse auf das Verhalten in späteren Berufssituationen zulässt. Deshalb finde ich es hervorragend, wenn Schüler primär nach Äußerungsformen beurteilt werden, mit denen sie sich wohl fühlen. Sie durch Abwertung in Bereichen, die sie nicht mögen, auf das „wahre Leben“ vorzubereiten, zeugt vielleicht von einer Überschätzung des Modellcharakters der schulischen Situations.
Viele Grüße an alle,
Johannes
Claudia Boerger
Lieber Johannes, vielen Dank fuer deine interessante und fuer mich auch auch anruehrende Rueckmeldung, die mich natuerlich in meinem Weg bestaerkt. Hast du Lust mir deinen fertigen Artikel zuzusenden? Ich wuerde ihn sehr gerne lesen.
Jean-Pol Martin
@Claudia
Beim Vorbeischauen: die Kommunikation zwischen uns (und anderen) wäre viel leichter, wenn du einen account bei Twitter hättest!.-))) So muss ich dich überall suchen!
Jochen
> die Kommunikation zwischen uns (und anderen) wäre viel leichter, wenn du einen account bei Twitter hättest!.-)))
Wieso das denn? Dann hätte Johannes seinen Beitrag ja wohl auf 140 Zeichen kürzen müssen. Außerdem wäre er leicht unter diversen Banalitäten à la „Liege gerade auf dem Sofa“ verloren gegangen.
Claudia Boerger
@Jean-Pol, du meinst zum Kontaktieren, oder? Warum geht das denn nicht per Mail?
@Jochen: „Dann hätte Johannes seinen Beitrag ja wohl auf 140 Zeichen kürzen müssen“ Gemeint ist glaube ich zur Kontaktaufnahme. Hast du einen Twitteraccount? Warum (nicht)?
Jochen
> Hast du einen Twitteraccount? Warum (nicht)?
Ich habe keinen Account. Die üblichen „Status“ Informationen („Sitze gerade am PC“) finde ich banal und langweilig und für längere Beiträge sind mir 140 Zeichen zu wenig.
Jean-Pol Martin
@Weil es per mail viel langsamer und verborgen verläuft. Per twitter kann gleich alexander, spannagel oder XY einsteigen… Aber jetzt muss ich weg.
Johannes Wiele
@claudia
Das mache ich glatt – es dauert aber bestimmt noch bis Ende Mai, bis er fertig ist!
Viele Grüße,
Johannes
Christian
„Das wäre mir im Prinzip auch am liebsten, ist aber mit dem Prädikat “umfangreich” für 8+ Lerngruppen = ca. 210 SuS (volle Stelle) zeitlich fast nicht durchführbar“
Kann man, um von den Korrekturen nicht überfordert zu werden, nicht auch den umgekehrten Weg von Jean-Pol gehen?: Die SuS, die sich mündlich verbessern wollen, geben regelmäßig eine schriftliche Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsthema ab. D.h., jemand der nix abgibt verschlechtert seine mündliche Note nicht und jemand der regelmäßig etwas abgibt, kann seine Note aufbessern.
Jean-Pol Martin
@Christian
Das könnte gehen, aber mit meiner wöchentlichen Hausaufgabe will ich in erster Linie die Schüler zwingen, alle recht intensiv zu arbeiten und ein hohes Niveau zu erreichen (auch was die Inhalte betrifft). Und damit sie motiviert sind, sammle ich alle Arbeiten ein und benote sie als Grundlage für die mündliche Note. Wer nichts abgibt, erhält 6. Aber da ich pro Jahr etwa 30 Arbeiten korrigiere, wirkt sich eine 6 nicht so dramatisch aus bei der Bildung des Schnittes.
Matthias Heil
In reifen höheren Klassen ist es vielleicht möglich, in Kombination z.B. mit Moodle Schülerinnen und Schüler gegenseitig Rückmeldungen geben zu lassen, welche die Korrektur evtl. erleichtern können? Das erfordert aber ein recht straffes Zeitmanagement; ist vielleicht bei 14-tägiger „SuperAufgabe“ besser durchführbar… – sehr interessante Ideen (blöd ist nur das mit dem Schulrecht…-)
Maik Riecken
„In reifen höheren Klassen ist es vielleicht möglich, in Kombination z.B. mit Moodle Schülerinnen und Schüler gegenseitig Rückmeldungen geben zu lassen, welche die Korrektur evtl. erleichtern können?“
Davon bin ich überhaupt kein Freund. Moodle als Instrument bietet für mich zu
wenig aktive Interaktionsmöglichkeiten für SuS. Mit dem Workshopmodul ließe
sich aber so etwas ebentuell realisieren. Ich finde das mündlich im Unterricht Peer-to-Peer ok, aber das auch nur entfernt mit als Ausgangspunkt für meine Bewertung zu nehmen, finde ich sehr schwer und ich halte es für eine Scheinsicherheit. Die Bewertung ist unsere Aufgabe. Ein eventuelles Harmoniebedürfnis darf dem nicht im Wege stehen. Ich muss mich notfalls auch „zum Feind“ machen. Das geschieht gerade partiell in meine Kurs:
Schüler a) hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten von 5 auf 8 Punkte gesteigert. Das ist eine Leistung, die ich lobend sehr herausgestellt habe.
Schüler b) erreicht grundsätzlich immer zweitstellige Bereiche und wird von mir nicht in dem Maße gelobt.
Schüler a) sagt jetzt: „Aber mich loben Sie viel mehr als b) und trotzdem bekomme ich nicht die Note von b).“ Supi.
Das bis zu einem gewissen Alter nicht zu vermitteln. Schüler bleiben – bedingt durch das System – auf Noten fixiert. Relative Zahlen interessieren da oft nur sehr wenig. Das Absolute steht auf dem Testat, was einen Meilenstein auf dem Weg zur Uni darstellt.
Solange es Noten gibt, sehe ich keinen Ausweg. Solange ich im Unterricht alleine bin, sehe ich keinen Ausweg. Konfliktfrei ist das m.E. nicht zu lösen.
Florian
Endlich sagt es mal jemand. Die stilleren werden sonst immer nur runtergemacht! Wunderbarer Artikel!
jess
für mich ist das derzeitige system mehr als diskriminierend.
beispiele:
deutsch
geschrieben: 11 punkte, 11 punkte.
zeugnisnote: 9 punkte.
philosophie
geschrieben: 14 punkte
zeugnisnote: 6 punkte
ich besuche ein abendgymnasium für berufstätige, habe zwei sozialpädagogische ausbildung hinter mir. ergo: man braucht mich nicht „pädagogisieren“ bzw. wie einige ja meinen: „motivieren“. ergebnis ist vielmehr: wozu mir noch mühe geben, wenn doch die noten am ende eh beschissen sind?
fehlzeiten habe ich kaum.. höchstens 1–2 stunden in den jeweiligen fächern. war immer da, hörte immer zu, kam nur nicht zum reden weil immer die gleichen 5 arme oben waren u dann ging erstmal eine viertel stunde dafür drauf. und bis dahin hab ich vergessen, was ich sagen wollte, weil ich ja zugehört habe.
würde man als introvertierte person nicht derart abgewertet, läge mein gesamtschnitt um ca 1 note (3 punkte) besser.
und in philo sinds genau 8 punke. von 1 auf 4 runter, weil ich verbal nicht so gut bin. das macht mich echt fertig..
jean-pol martin
Ja, das sehe ich genauso. Daher habe ich zwei Jahrzehnte lang meinen Schülern mündlich die Note gegeben, die sie schriftlich hatten. Allerdings konnten sie sich durch mündliche Beiträge noch verbessern. Aber nicht verschlechtern:
http://www.ldl.de/material/aufsatz/becker.pdf