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Der Müll, das Zimmer und der Lehrer

Die Ver­schmut­zung bzw. Ver­mül­lung von Klas­sen­zim­mern hat an man­chen Schu­len teil­wei­se der­art zuge­nom­men, dass das Rei­ni­gungs­per­so­nal sich wei­gert die Räu­me über­haupt noch zu betre­ten, geschwei­ge denn zu säubern. 

Eine Idee im Kampf gegen die Ver­schmut­zung ist in jedem Klas­sen­zim­mer Lis­ten aus­zu­hän­gen, in denen die jeweils zustän­di­gen zwei Schü­ler des „Ord­nungs­diens­tes“ per Unter­schrift bestä­ti­gen sol­len, dass sie die Arbeit erle­digt haben. Die­se Initia­ti­ve schei­tert (bis auf ver­ein­zel­te Aus­nah­men) genau­so wie alle ande­ren der­ar­ti­gen Initia­ti­ven. Ein Mehr an Büro­kra­tie hat sol­che Pro­ble­me noch nie gelöst. Was pas­siert mit all den Lis­ten? Was pas­siert, wenn man fest­stellt, dass nicht unter­schrie­ben wur­de? Oder was pas­siert, wenn zwar unter­schrie­ben wur­de, aber das Klas­sen­zim­mer immer noch ver­dreckt ist?

Um Klas­sen­zim­mer sau­ber zu bekom­men und zu hal­ten, braucht man ledig­lich drei Din­ge: kla­re Regeln, den Wil­len sie durch­zu­set­zen und vor allem die Unter­stüt­zung der Schul­lei­tung. Im Fol­gen­den mein Sys­tem, mit dem ich seit über zwan­zig Jah­ren bei mini­ma­lem Auf­wand und vor allem ner­ven­scho­nend mei­ne Klas­sen­zim­mer sau­ber halte.

Das ein­fa­che Grund­prin­zip ist, dass jeder Schü­ler für sei­nen Platz und den umge­ben­den Boden zustän­dig ist. Die Gän­ge wer­den ent­spre­chend in der Mit­te zwi­schen den bei­den auf der Gang­sei­te sit­zen­den Schü­lern „geteilt“, die Schü­ler die hin­ten sit­zen, sind für den Bereich bis zur Wand zustän­dig, die, die vor­ne sit­zen ent­spre­chend für den Raum vor ihnen, wie­der bis zur Tafel bzw. Wand. Ent­schei­dend ist, dass es mir völ­lig egal ist, woher der Dreck kommt. Ich kann es eh‘ nicht nach­prü­fen, also las­se ich mich auf kei­ner­lei Dis­kus­sio­nen ein.

Solan­ge nur eine Klas­se in einem Zim­mer ist, funk­tio­niert das pro­blem­los. Schwie­rig wird es immer, wenn zwi­schen­durch Wan­der­klas­sen kom­men und ihren Müll hin­ter­las­sen. Und wenn der betref­fen­de Kol­le­ge, aus wel­chen Grün­den auch immer, sich nicht um die Sau­ber­keit küm­mert, wird es müh­sam. Ande­rer­seits sehe ich auch nicht ein, dass z.B. mei­ne 11.-Klassler den Müll einer undis­zi­pli­nier­ten 9ten auf­he­ben sol­len, nur weil wir ein­mal in der Woche in deren Klas­sen­zim­mer sind.

Ein Ord­nungs­dienst mit zwei Schü­lern ist m.E. kom­plet­ter Unsinn. Wie sol­len die zwei Schü­ler an den Dreck unter den Bän­ken bzw. auf dem Boden kom­men, wenn ihre Mit­schü­ler auf ihren Stüh­len sit­zen? Sol­len die erst auf­ste­hen? Was für eine Zumu­tung auf dem Boden her­um­zu­krab­beln, wäh­rend die Mit­schü­ler fei­xend grin­sen und viel­leicht noch extra ein Bon­bon­pa­pier fal­len las­sen! Dar­über­hin­aus, wie lan­ge dau­ert das in einer Klas­se mit 32 Schü­lern und 16 Bänken?

Völ­lig unrea­lis­tisch fin­de ich übri­gens auch aus­ge­rech­net beim Klas­sen­zim­mer­müll eine Müll­tren­nung durch­zu­füh­ren. Wenn ich in frem­de Klas­sen kom­me, bekommt der ers­te in der Bank einen Eimer und der wan­dert dann nach hin­ten durch und von dort in die nächs­te Rei­he. Gera­de beim Müll unter den Bän­ken, sol­len die Schü­ler den Eimer an die Abla­ge hal­ten und mit einem Schwung das gan­ze Zeug in den Eimer beför­dern. Es ist ein­fach lächer­lich in die­ser Situa­ti­on Papier von ein­ge­trock­ne­ten Oran­gen­scha­len tren­nen zu wollen.

Vor mei­nen Stun­den muss AUTOMATISCH jeder den Müll auf und unter sei­ner Bank und den Dreck auf dem Boden auf­he­ben und zum Müll­ei­mer brin­gen. Falls ich mehr­fach ins Klas­sen­zim­mer kom­me und ein Schü­ler aus dem Fens­ter schaut oder ver­träumt dasitzt und unter sei­ner Bank (oder auf dem Boden) noch Müll rum­liegt, hat er ein „trash offence“ began­gen, das als MO („minor offence“) zählt und das ich in mei­ne Ver­ges­sen-Lis­te eintrage.

Da ich übri­gens auch kei­ne Lust habe nach dem Ende der letz­ten Stun­de jedes Mal wie­der bestimm­te Herr­schaf­ten dar­an zu erin­nern ihren Stuhl hoch­zu­stel­len, gibt es im Wie­der­ho­lungs­fall ent­spre­chend ein „chair offence“.

Wenn sich die­ses Sys­tem ein­ge­spielt hat, hat man inner­halb von zwei Minu­ten ein sau­be­res Klas­sen­zim­mer ohne läs­ti­ge Lis­ten, ner­vi­ge Dis­kus­sio­nen und kraft­rau­ben­des Geschrei. Die­ses zwei bis drei Minu­ten brau­che ich am Anfang der Stun­de ja sowie­so um mei­ne Sachen her­zu­rich­ten, ver­ges­se­ne Haus­auf­ga­ben zu notie­ren, Ent­schul­di­gun­gen zu kon­trol­lie­ren, das Klas­sen­buch abzu­zeich­nen und den gan­zen ande­ren Kram, den ich erle­di­gen muss. Sehr hilf­reich für das Gelin­gen ist natür­lich auch, wenn auch mal der Leh­rer was auf­hebt und weg­wirft und nicht nur immer die Schü­ler rumkommandiert!

Sehr merk­wür­dig fin­de ich es in die­sem Zusam­men­hang übri­gens, wenn Kol­le­gen erst am ENDE der Stun­de auf­räu­men las­sen. Gibt es einen ver­nünf­ti­gen Grund nicht bereits am ANFANG der Stun­de sau­ber machen zu las­sen? Ich ken­ne kei­nen. Ers­tens habe ich kei­ne Lust auf einer Müll­hal­de zu unter­rich­ten. Wenn ich am Anfang auf­räu­men las­se, ver­bes­sert das die Atmo­sphä­re und ich füh­le mich woh­ler. Zwei­tens habe ich – genau­so wenn ich die Haus­auf­ga­be bereits am Anfang stel­le – nach hin­ten hin open end und kann jeder­zeit die Stun­de beenden.

Der wah­re Grund, war­um so vie­le Kol­le­gen lie­ber am Ende „auf­räu­men“ las­sen, ist m.E. ein ganz ande­rer. Nach der Stun­de müs­sen sie natür­lich ganz schnell in die nächs­te Klas­se und rufen des­halb noch ein halb­her­zi­ges „… und ver­gesst nicht end­lich auf­zu­räu­men“ in die Klas­se, bevor sie ver­schwun­den sind. Auf die­se Art ver­mei­det man Kon­flik­te mit Schü­lern, die (ver­ständ­li­cher­wei­se) kei­nen Bock haben frem­den Müll auf­zu­he­ben, und man kann sich sel­ber (und Kol­le­gen) weis­ma­chen, dass man schließ­lich etwas unter­nom­men habe. Die Schü­ler igno­rie­ren so eine unver­bind­li­che Auf­for­de­rung natürlich.

Es wäre gar nicht schwie­rig mein Sys­tem in der gan­zen Schu­le ein­zu­füh­ren. Als ers­tes müss­ten sich die zustän­di­gen Gre­mi­en (Schul­lei­tung, Kol­le­gi­um, Eltern­bei­rat, Schul­fo­rum etc.) dar­auf eini­gen, dass es in Zukunft für alle Schü­ler zumut­bar sein soll, Müll (auch wenn er nicht von ihnen sel­ber kommt) auf­zu­he­ben und dass Leh­rer sie im Ernst­fall ent­spre­chend dazu zwin­gen dür­fen. Päd­ago­gi­sches Ermes­sen und der gesun­de Men­schen­ver­stand geben ent­spre­chen­de Gren­zen vor: Kein Schü­ler muss z.B. eine zer­mansch­te Man­da­ri­ne mit den blo­ßen Fin­gern zusam­men­zu­krat­zen oder fest­ge­kleb­te Kau­gum­mis unter der Bank wegpopeln.

Als nächs­tes muss die­se neue Rege­lung ent­spre­chend kom­mu­ni­ziert (Durch­sa­ge, Rund­schrei­ben an die Eltern, The­ma der Klass­lei­ter­stun­de usw.) und begrün­det wer­den (posi­ti­ve Lernat­mo­sphä­re, Rei­ni­gungs­per­so­nal wei­gert sich sonst usw.).

Von ent­schei­den­der Bedeu­tung für das Gelin­gen ist nun die Hal­tung der Schul­lei­tung. Falls, wie so oft, zwar etwas ange­kün­digt, aber gleich­zei­tig signa­li­siert, dass man nicht bereit ist die Leh­rer ent­spre­chend zu unter­stüt­zen, kann man das Gan­ze sofort wie­der vergessen.

Ein klei­nes Bei­spiel, wie es meis­tens abläuft. Die Schul­lei­tung ver­kün­det bei­spiels­wei­se, dass ab sofort vor der Schu­le nicht mehr geraucht wer­den darf und for­dert alle Leh­rer auf, auf die Ein­hal­tung die­ses Ver­bots zu ach­ten. Gleich­zei­tig wird aber signa­li­siert, dass das bit­te schön nicht mit dis­zi­pli­na­ri­schen Maß­nah­men oder Stra­fen („Lie­ber Kol­le­ge, wir wis­sen doch bei­de, dass Stra­fen nichts brin­gen“), son­dern, päd­ago­gisch wert­voll, irgend­wie „anders“ bewerk­stel­ligt wer­den soll. WIE genau, wird natür­lich nicht gesagt. Erfah­re­ne Kol­le­gen wer­fen spä­tes­tens zu die­sem Zeit­punkt das gan­ze Pro­jekt in den men­ta­len Müll­ei­mer. Ambi­tio­nier­te Jung­leh­rer machen sich mit ner­vi­gen Ermah­nun­gen und Dis­kus­sio­nen zwei- bis drei­mal zum Dep­pen, bis sie eben­falls auf­ge­ben und alles so bleibt wie es war. Ent­we­der die Schü­ler reagie­ren auf freund­li­che Ermah­nun­gen über­haupt nicht oder ver­schwin­den grum­melnd um die nächs­te Ecke, um sofort nach Ver­schwin­den des Leh­rers zurückzukehren.

Zurück zum Müll. Wenn ich (z.B. in einer Ver­tre­tungs­stun­de) in eine Klas­se kom­me und sie auf­for­de­re den Müll unter ihren Bän­ken zu ent­sor­gen, muss ich bereit sein die­ses Ansin­nen unter allen Umstän­den durch­zu­set­zen. Wenn ich das nicht bin bzw. weiß, dass mich die Schul­lei­tung nicht unter­stützt, brau­che ich gar nicht erst anzu­fan­gen. Natür­lich bin ich freund­lich und sage schön „Bit­te heb das Papierl unter dei­nem Stuhl auf“. Wenn der Schü­ler aber pam­pig mit „Nee, mach ich nicht, is‘ nicht von mir“ reagiert, wer­de ich genau­so pam­pig und dro­he ihm not­falls mit einem Ver­weis. Das äußers­te Zuge­ständ­nis ist, dass ich ihm ein biss­chen Bedenk­zeit gebe („In drei Minu­ten hast du die­ses Papierl in den Papier­korb geschmis­sen“), wenn er sich dann immer noch wei­gert, gebe ich ihm den Ver­weis. Die Erfah­rung zeigt, dass man so einen Kon­flikt nur ein ein­zi­ges Mal bis zum Ende durch­kämp­fen muss, in Zukunft weiß die Klas­se wor­an sie ist und es gibt kei­ne Pro­ble­me mehr.

Ein belieb­tes Argu­ment in die­sem Zusam­men­hang ist, dass sol­che Rege­lun­gen nur funk­tio­nie­ren, wenn ALLE Kol­le­gen am glei­chen Strang zie­hen. Das ist m.E. falsch. Natür­lich wäre es wün­schens­wert, aber es ist völ­lig uto­pisch. Es gibt viel zu vie­le Kol­le­gen, die aus den ver­schie­dens­ten Grün­den (Man­gel an Auto­ri­tät, Kon­flikt­scheu, Wursch­tig­keit etc.) nicht mit­ma­chen. Ein flüch­ti­ger Blick in ein Leh­rer­zim­mer zeigt ja auch, dass diver­sen Kol­le­gen Sau­ber­keit genau­so egal ist wie den Schü­lern. Mit größ­ter Selbst­ver­ständ­lich­keit lie­gen bzw. ste­hen da ange­bis­se­ne But­ter­bre­zen, ein­ge­trock­ne­te Kaf­fee­tas­sen und ande­re Köst­lich­kei­ten her­um. Wenn man es wagt, die ent­spre­chen­den Leu­te dar­auf anzu­spre­chen, reagie­ren die meis­ten genau­so pam­pig wie Schüler.

Nach mei­ner Erfah­rung reicht für das Gelin­gen sol­cher Vor­ha­ben eine „kri­ti­sche Mas­se“ von ca. einem Drit­tel des Kol­le­gi­ums. Wenn (im Durch­schnitt) jeder drit­te Leh­rer, der ins Klas­sen­zim­mer kommt, sich dar­um küm­mert, dass wie­der auf­ge­räumt wird, kann die Ver­schmut­zung in der Zwi­schen­zeit nor­ma­ler­wei­se nicht all­zu sehr ausufern.

Tja, es könn­te alles so ein­fach sein – isses aber nicht (You­Tube).

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Interludes

  1. War­um legt ihr euch nicht ein­fach eine Schul­ver­ein­ba­rung zu, wo Sau­ber­keit als Ziel drinsteht… 🙂

    Kommt mir alles bekannt vor. Nur der Gedan­ke, dass ein Drit­tel als kri­ti­sche Mas­se aus­reicht, war mir so neu, dürf­te aber stimmen.

  2. > War­um legt ihr euch nicht ein­fach eine Schul­ver­ein­ba­rung zu, wo Sau­ber­keit als Ziel drinsteht…

    Natür­lich kom­bi­niert mit VERTRÄGEN, auf denen jeder unterschreibt 😉

  3. Ulrike

    Hm, ich weiß nicht. Mir ist es zu kom­pli­ziert, auch noch Müll- und Stuhl­lis­ten zu füh­ren. An mei­ner neu­en Schu­le gibt es kein Müll­pro­blem und auch die Müll­tren­nung im Klas­sen­zim­mer funk­tio­niert einwandfrei.
    An mei­ner alten Schu­le jedoch gli­chen die Klas­sen­zim­mer zum Teil in der Tat einem gro­ßen Müll­ei­mer. (Die Zim­mer muss­ten erst nach der 6. Stun­de auf­ge­räumt wer­den, wenn der Zustand nicht uner­träg­lich war.) Dort führ­te ich, nach­dem das „Jeder-ist-für-seinen-Bereich-Zuständig“-Projekt geschei­tert war, fol­gen­des Sys­tem ein:
    Nach der Stun­de muss­te jeder Schü­ler, wenn er das Klas­sen­zim­mer ver­las­sen woll­te, an der Tür (wo ich mit dem Eimer war­te­te) xScn­hip­sel (je nach Ver­schut­zungs­grad) in den Papier­ei­mer wer­fen. Auto­ma­tisch nah­men man­che Schü­ler dann auch mal mehr Schnip­sel (und Fla­schen und Tüten) mit. Das Klas­sen­zim­mer sah danach jedes­mal wie­der ordent­lich aus. Zu Dis­kus­sio­nen kam es nie…und über das Mur­ren konn­te ich gut hinweghören.

    • > Mir ist es zu kom­pli­ziert, auch noch Müll- und Stuhl­lis­ten zu führen.

      Das sind ja kei­ne eige­nen Lis­ten, son­dern kommt auf die all­ge­mei­ne Vergessen-Liste.

  4. ich ver­ge­wal­ti­ge mei­ne Schü­ler gerne 🙂

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