Wie viele andere Kollegen schreibe ich in meinen Klassen bzw. Kursen häufig vor den Ferien Schulaufgaben bzw. Klausuren, um sie über die Ferien zu korrigieren und danach zurückzugeben. Zwischen dem Schreiben der Arbeit und der Rückgabe liegen somit oft mehrere Wochen. Ich möchte jedoch, dass meine Schüler möglichst zeitnah Feedback in Form einer Musterlösung bekommen, damit sie ihre eigene Leistung einschätzen können.
Aus diesem Grund verbessere ich kurze schriftliche Tests (in Bayern: „Kleine Leistungsnachweise“ bzw. „Stegreifaufgaben“) SOFORT nachdem ich die Arbeiten eingesammelt habe. Zusammen mit der Lösung sage ich auch immer wieviele Punkte es auf die jeweilige Aufgabe gibt. Bei Stegreifaufgaben habe ich immer den selben Punkteschlüssel: mindestens 40% für Note 5, 55% für 4, 70% für 3, 80% für 2 und 90% für 1. Bei Stegreifaufgaben gibt es meistens maximal 30 BE (= Bewertungseinheiten = Punkte), so dass man für eine 5 4x3 also 12 Punkte braucht. Bei der Verbesserung müssen die Schüler sich „bepunkten“, die erreichten Punkte addieren, in die „erwartete Note“ umrechnen und diese rechts oben auf die Angabe schreiben. Bei der Rückgabe der Arbeit schaue ich mir immer erste diese Note an (wenn der Schüler seine Angabe vergessen hat, muss er mir die erwartete Note sagen), bevor ich die Arbeit zurückgebe. Wenn die Schüler nach 2–3 „Durchgängen“ wissen, wie ich (z.B. Rechtschreibfehler) bewerte, kommen sie bei dieser Art von „self-evaluation“ auf eine Trefferquote von über 90%.
Bei Klausuren / Schulaufgaben können die Schüler – natürlich wieder erst NACHDEM ich die Arbeiten vollständig eingesammelt habe – zu mir vorkommen und sich die Musterlösung ansehen. Achtung: Wenn du Berufsanfänger, Berufseinsteiger bist, solltest du dieses Verfahren zumindest bei Klausuren / Schulaufgaben besser NICHT anwenden bzw. dich bei Zweifelsfällen NICHT vorschnell festlegen („Muss ich mir erst noch in Ruhe überlegen“). Du läufst Gefahr, dass du dich für die Korrektur festlegst und ggf. später Probleme bekommst, wenn du deinen Erwartungshorizont änderst („Aber in Ihrer Musterlösung stand doch …“).
Peter
Noch ’ne Warnung eines Berufsanfängers vor vorheriger Bekanntgabe / Festlegung des Notenschlüssels:
Notenschlüssel nie vorher bekannt geben, wenn man den Schlüssel strenger machen muss, um eine 3 vor dem Komma beim Schnitt zu erreichen, sind einige Schüler maßlos enttäuscht, vor allem die schlechten, die auf ihre 4- eigentlich einiges gelernt hätten und dann doch blos wieder ihre 6 kriegen…
Jochen
> Notenschlüssel nie vorher bekannt geben
Stimmt, mache ich bei Klausuren / Schulaufgaben auch nie.
wrdlbrmpft
Muss man denn unbedingt eine 3 vor dem Komma erreichen? Das fand ich schon immer seltsam…
Stollentroll
Schließe mich meinem Vorkommentator an. Wenn schon vorher feststeht, was rauskommen muss, dann bin ich doch schlicht für die Verteilung von Abiturzeugnissen noch im Kreissaal.
Ich würde mir als Lehrerin (die ich in der Tat bin …) ehrlich gesagt nichts sehnlicher wünschen, als eine 1 vor dem Komma! Die Normalverteilungskurve hat in den letzten Jahrzehnten schon genug Unheil angerichtet …
Jochen
> Muss man denn unbedingt eine 3 vor dem Komma erreichen?
An den meisten Schulen musst du halt ab 4,x zum Fachbetreuer bzw. Direktor und „erklären“ warum die Arbeit so schlecht ausgefallen ist. Diese Rechtfertigungen (Chef: „Vielleicht haben Sie ja den Stoff nicht ausführlich genug erklärt bzw. geübt“) möchten sich viele Kollegen ersparen – kann man verstehen, oder?
Peter
Jochen’s Grund ist nachvollziehbar, wenn auch es natürlich zu Ungerechtigkeiten führt.
Das ganze gibt’s übrigens auch (zumindest an Landschulen wie meiner, wo es Mädchenklassen gibt, die sich am Wochenende treffen und Zusammenfassungen des Gelernten in allen Fächern verfassen) andersum, also dass ein eigentlich besserer Schnitt auf die 3 vor dem Komma „gehievt“ wird. Auch hier müsste man sich vor dem Fachbetreuer rechtfertigen, ob man denn nicht die Aufgabe zu leicht gemacht hat. Bei solchen Klassen hilft dann nur noch Jochen’s „Advanced Learning Prevention“ Methode, um den Schnitt auch ohne Basteln am Schlüssel auf 3,x zu halten, zum Beispiel kann man bei einer 30-Punkte-Ex einen 1er Fehlerschritt anlegen, dann rutschen normalerweise auch die besten Klassen, wo der schlechteste auch noch 20 Punkte geschafft hat, weit genug ab.
Finde ich beides sehr ungerecht, mein Gewissen schreit immer noch auf, wenn ich die Anweisung kriege, den Schnitt anzupassen. Aber was hilft’s, Lehrer kriegen aus dem System nunmal den Druck, alles schön „normal“ sein zu lassen.
Kleiner Tipp für Referendare (wie ich einer bin): Auch bei kleinen Exen den Notenschlüssel nicht vorher bekannt geben, kann durchaus sein, dass man die Noten verschlechtern muss (oder mit dem Betreuungslehrer über „Gerechtigkeit“ diskutiert… ob das für die eigene Beurteilung so gut ist, ist die andere Frage…). Wenn man wie Jochen seine Exen vor niemandem mehr rechfertigen muss, genügt die Beachtung des Tipps auch bei Schulaufgaben, bei Exen kann man dann den Schülern genau das geben, was sie verdienen.
Kleine Frage noch an Dich Jochen: Ich kenne ja die MTG-Schüler nicht alle, aber gibt’s da auch Klassen, die bessere Schnitte als 3,x erreichen? Wenn Du nämlich den Schlüssel nur zu den Gunsten der Schüler verändern musst, verstehe ich Deinen Tipp nicht ganz, Schüler beschweren sich doch in der Regel nicht nach dem Motto „Aber in Ihrer Musterlösung war der Schlüssel viel strenger, genau den wollen wir!“
Jochen
> Ich kenne ja die MTG-Schüler nicht alle, aber gibt’s da auch Klassen, die bessere Schnitte als 3,x erreichen?
Ja, wir haben extra Förderklassen für Hochbegabte und da sind die Schnitte meistens deutlich besser.
> verstehe ich Deinen Tipp nicht ganz […]
Ich hatte geschrieben: „und ggf. später Probleme bekommst, wenn du deinen Erwartungshorizont änderst“, d.h. ich meinte NICHT den Punkteschlüssel, sondern was du dir inhaltlich erwartest. Zum Beispiel erwartest du bei der Interpretation eines Cartoons, dass mindestens vier verschiedenen Punkte genannt werden. Bei der Korrektur merkst du plötzlich, dass selbst der beste nur drei und die meisten anderen gerade mal eine Punkt erwähnen. Jetzt musst du dich entscheiden ob du bei deiner ursprünglichen Punkteverteilung bleibst oder deine Erwartungen herunterschraubst.
In o.a. geht es ZU GUNSTEN der Schüler, da wird keiner groß protestieren. Schwieriger wird es, wenn du bei deiner Musterlösung etwas vergessen / übersehen hast und plötzlich merkst, dass für volle Punktzahl auch noch ein bestimmter Aspekt genannt werden sollte. Wenn er nicht auf der ursprünglichen Musterlösung stand und du ihn erst „nachträglich“ verlangst, kann es schwierig werden.
Philipp
Ich kann zwar die Kollegen auch verstehen, die passend machen, was passend gemacht werden soll, weil es schlicht einfacher und weniger aufwändig ist. Außerdem ist man es sicher leid, wenn es öfter vorkommen sollte, dass man in einer solchen Angelegenheit beim Chef vorsprechen muss.
Im Prinzip soll es aber nach meinem Verständnis eine Information des Chefs sein, wenn der Schnitt abweicht, und keine Beichte einer Sünde, bei der man sich in der Defensive sehen muss. Ich bin also der Meinung, dass man sich nicht standardmäßig scheuen sollte, zum Chef zu gehen, um seine Schnitte zu „rechtfertigen“ (hab ich auch schon gemacht). Völlig unabhängig davon, was Kollegen machen, wäre ich für mich selbst mit meiner eigenen Arbeit sehr unzufrieden, wenn ich nachhaltig das Gefühl hätte, dass meine Bewertungen nach meinen Maßstäben eigentlich nicht stimmen, weil es jemand, der – außer er ist zufällig vom Fach – inhaltlich eigentlich keine Ahnung hat, vielleicht so möchte. Wenn ich natürlich grundsätzlich weit von den Kollegen weg bin, besteht sicher Gesprächsbedarf.
Paul
Als Lehrer aus Berlin bin ich doch einigermaßen geschockt über die Bedeutung, die die „Normalverteilungskurve“ und der „Normalschnitt“ bei Euch in Bayern offenbar hat. Das klingt doch völlig unpädogogisch! Wenn viele Schüler eine gute Leistung bringen, dann liegt der Schnitt auch besser, das darf ich doch nicht nachträglich durch Manipulation des Bewertungsmaßstabs „wegkorrigieren“!
Nach dieser Logik kann es also „notenmäßig“ gar keinen Unterrichtserfolg geben, da alles vom Lehrer – unter dem Diktat des Durchschnitts – nivelliert werden muss.
Strange…
Nicht fair gegenüber den Schülern – frustierend für jeden eigentlich erfolgreichen Lehrer, oder?
Jochen
> Wenn viele Schüler eine gute Leistung bringen […] “wegkorrigieren”!
Da gebe ich dir vollkommen recht. Das ist meiner Erfahrung nach aber eher die Ausnahme. Viel häufiger ist, dass man Ergebnisse schönt.
Peter
> Da gebe ich dir vollkommen recht. Das ist meiner Erfahrung nach aber eher die Ausnahme. Viel häufiger ist, dass man Ergebnisse schönt.
Deswegen auch meine Frage wegen den Schnitten am MTG… Bei Förderklassen wird die Fachbetreuerin ja wahrscheinlich ein Auge zudrücken bei nem Schnitt <3,x, nach dem Motto: „Naja, diese Prüfung hat ja das Label „hochbegabt“, da kann’s ausnahmsweise mal sein, dass es besser ist.“ Und meine Vermutung war nun, dass in sonstigen Münchener Klassen der Fall eines „zu leichten“ Tests eher selten ist, die ich hiermit bestätigt sehe.
An meiner Landschule sind die Klassen recht heterogen, bei einigen Klassen mit entsprechend fleissigen Schülern, kommt das schon häufiger vor, dass die Klasse „schlechter“ gemacht wird.
Finde ich beides ungerecht, wobei mein Herz weniger schreit, wenn ich ner Klasse mehr gebe als sie verdient als wenn’s andersrum ist, ist wohl die menschliche Natur…
Und ändern wird sich das in den nächsten Jahrzehnten sowieso nicht, das sitzt ganz tief…
jochen
> Und meine Vermutung war nun, dass in sonstigen Münchener Klassen der Fall eines “zu leichten” Tests eher selten ist, die ich hiermit bestätigt sehe.
Vorsicht, ich weiß ja nicht mal, was die Kollegen an meiner eigenen Schule machen, geschweige denn was an anderen (Münchner) Schulen läuft 😉