Der „Markt“, also die „Nach­fra­ge“ regelt auch im Tan­go das „Ange­bot“ (an Milon­gas). Wenn man das Ange­bot (zumin­dest in Mün­chen) anschaut, muss man ganz klar fest­stel­len, dass „tra­di­tio­nel­le“ Milon­gas „Markt­füh­rer“ sind, wäh­rend Neo­lon­gas als unbe­deu­ten­des „Nischen­pro­dukt“ vor sich hin düm­peln und kaum „nach­ge­fragt“ wer­den. Wor­an könn­te das liegen?

Ich stel­le mir dazu vor, dass ich bis­her aus­schließ­lich zu his­to­ri­scher Musik getanzt habe. Das ewig glei­che, lang­wei­li­ge Geschram­mel hängt mir schon seit län­ge­rem zu den Ohren raus und ich beschlie­ße des­halb, zur Abwechs­lung auf eine Neo­lon­ga zu gehen. Ich hof­fe, end­lich mal zu flot­ten Tan­gos (wie Feli­cia), schö­nen Val­ses (wie Des­de El Alma) und schwung­vol­len Milon­gas (wie Reli­qui­as Por­tenas) tan­zen zu können. 

Die fol­gen­de Dar­stel­lung basiert auf rea­len Neo­lon­gas. Mir ist klar, dass es auch bei Neo­lon­gas Unter­schie­de gibt. Aller­dings den­ke ich, dass mei­ne Dar­stel­lung durch­aus typisch ist. 

Als ers­tes fällt mir auf bzw. miss­fällt mir, dass es kei­ne Cor­t­i­nas gibt. Das macht es müh­sam, wenn ich mit einem bestimm­ten Per­son tan­zen möch­te. Wenn nicht alle zum sel­ben Zeit­punkt wech­seln, ist der gewünsch­te Part­ner immer gera­de „beschäf­tigt“ und man tanzt anein­an­der vor­bei. Außer­dem muss ich als Füh­ren­der mit­zäh­len, wie­vie­le Stü­cke wir schon getanzt haben, damit es kei­ne bösen Miss­ver­ständ­nis­se gibt („Alles weni­ger als drei Stü­cke ist ein Korb.“). 

Lei­der gibt es auch kei­ne Tan­das. Eigent­lich gibt es über­haupt kei­ne erkenn­ba­re musi­ka­li­sche Struk­tur. Auf einen Otros Aires Kra­cher folgt was Lang­sa­mes, danach was von Rene Aubry, dann ein Vals, danach wie­der irgend­ein unde­fi­nier­ba­res Gedu­del, danach Gotan Pro­ject usw. Man kann so etwas natür­lich „abwechs­lungs­reich“ und „inter­es­sant“ fin­den, ich fin­de es ein­fach nur nervig.

Alter­na­tiv kann es pas­sie­ren, dass es den gan­zen Abend lang fast nur einen Sound gibt, ger­ne end­los lan­ge, ener­gie­ar­me Lounge- / Chill- / Ambi­ent- / WasAuch­Im­mer-Stü­cke, die genau­so lang­wei­lig sind wie das his­to­ri­sche Gewim­mer. Noch schlim­mer wird es, wenn der DJ die Stü­cke auch noch inein­an­der­blen­det, so dass ein end­lo­ser Klang­brei entsteht. 

Den gan­zen Abend lang gibt es kei­nen ein­zi­gen nor­ma­len Tan­go (bzw. Vals oder Milon­ga). Als Tang(uer)o bin ich hier ganz offen­bar nicht die Ziel­grup­pe bzw. nicht erwünscht. Es ist noch nicht sooo lan­ge her, dass es auch in Mün­chen meh­re­re „gemisch­te“ Milon­gas gab, bei denen man anhand einer Pro­zent­zahl (z.B. 50/50, 75/25) ganz gut erken­nen konn­te, was einen erwar­te­te. Auf die­sen Milon­gas kamen „Tra­dis“ und „Neos“ zusam­men und haben mit­ein­an­der getanzt. Heu­te tan­zen zwei völ­lig getrenn­te Frak­tio­nen in ihrem jewei­li­gen Par­al­lel­uni­ver­sum und ver­su­chen so gut wie mög­lich „die Ande­ren“ effek­tiv abzu­schre­cken und fern­zu­hal­ten. Die „Neos“ sind bei dem Gan­zen die ein­deu­ti­gen Verlierer. 

Ich has­se es wie die Pest, wenn Stü­cke nicht aus­ge­spielt wer­den. Wenn das vor­he­ri­ge ordent­lich in das neue über­blen­det wird (es gibt ja ent­spre­chen­de Soft­ware), mag es ja noch erträg­lich sein. Aber wenn ich zum Bei­spiel das schö­ne Ende von Una Noche Mas kusche­lig aus­klin­gen las­sen möch­te und plötz­lich ein pri­mi­ti­ver Elec­t­ro-Tan­go „rein­knallt“, dann beweist der DJ unglaub­li­che Igno­ranz und man­geln­den Respekt gegen­über der Musik. 

Außer­dem ist der DJ offen­bar schwer­hö­rig (oder will er nur das Gequat­sche der Leu­te über­tö­nen?). Die Mund­har­mo­ni­ka von Hugo Díaz ist ja eh schon grenz­wer­tig, aber wenn dann El llorón zu laut gespielt wird, grenzt das an akus­ti­sche Fol­ter. (Da bekommt der Titel des Stü­ckes eine ganz neue Bedeu­tung: llorar = wei­nen, heu­len / llorón = Heul­su­se bzw. es ist zum Heulen.)

Mir ist klar, dass ich mich auf eine Rei­he von mono­to­nen Elec­t­ro-Tan­gos gefasst machen muss. Dass es aller­dings der­art alte, abge­han­ge­ne Otros Aires, Gotan Pro­ject und Bajo­fon­do Schin­ken sind, ver­dirbt den Rest an Lau­ne. Hal­lo DJ, seit wann nudelst du denn die­se Play­list schon ab? Und war­um stän­dig die­se schwer bzw. untanz­ba­ren Stü­cke mit ihren kom­pli­zier­ten latein­ame­ri­ka­ni­schen Rhyth­men bzw. viel zu schnel­lem (oder lang­sa­men) Tempo?

Mir ist bewusst, dass sich auf einer Neo­lon­ga auch Leu­te tum­meln, die vom Con­tan­go (oder „frei­en“ Tanz) kom­men und dass die eine ande­re Vor­stel­lung von „Füh­ren“ haben. Für Frau­en steigt die Gefahr, dass sie ziem­lich grob gepackt und her­um­ge­wir­belt wer­den, auf irgend­ei­nen Ober­schen­kel hup­fen sol­len, bzw. unver­mit­telt (über den Ober­schen­kel) „flach­ge­legt“ wer­den. In den sel­tens­ten Fäl­len wird sie gefragt, ob sie das über­haupt möch­te, sie hat es ein­fach zu akzep­tie­ren. Die „viel­fäl­ti­gen Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten“ des Tan­zes füh­ren ger­ne auch dazu, dass der Mann sei­ne Schrit­te zwi­schen ihre Bei­ne setzt oder dass sei­ne rech­te Hand auf ihrem gan­zen Rücken (und ggf. noch tie­fer) her­um­grapscht. Oft ist es auch ein­fach nur ein pein­li­ches Geham­pel, was mit „Tan­go“ kaum mehr etwas zu tun hat. 

Ich weiß, dass beim Con­tan­go durch „wech­sel­sei­ti­ges Fol­gen und Füh­ren mit­tels Impro­vi­sa­ti­on ein intui­ti­ver Bewe­gungs­fluss ent­steht“ (Quel­le). Das macht das Tan­zen für tra­di­tio­nell Füh­ren­de oft uner­quick­lich. Stän­dig wol­len die Fol­lower / Frau­en den Tanz „selb­stän­dig“ und „krea­tiv“ (mit-)gestalten und durch­kreu­zen damit per­ma­nent mei­ne Plä­ne. Bei jeder sich bie­ten­den Gele­gen­heit (= Schritt­stel­lung) knal­len sie mir z.B. Gan­chos zwi­schen die Bei­ne. Da ich jedoch nicht dar­auf vor­be­rei­tet bin, ist mein Bein gestreckt und sie don­nern meis­tens gegen mein Bein. Oder sie nut­zen die kleins­te Dre­hung zu aus­la­den­den Vole­os. Oder man kann kei­ne nor­ma­len Ochos machen, weil sie stän­dig mit irgend­wel­chen „Ver­zie­run­gen“ den Bewe­gungs­fluss stören. 

Fazit: Ein­mal und nie wie­der, dann doch wie­der resi­gnie­rend „fei­ne tra­di­tio­nel­le Musik in acht­sa­mer Ronda“ …

Anspie­lung in der Überschrift …