Ein Leserbrief in der FAZ (Dank an Max Müller):
Zu „Ernüchternder Alltag an der Gemeinschaftsschule“ von Tristan Wiedemann (F.A.Z. vom 30. September): Wie Autor Wiedemann bin auch ich Gymnasiallehrer aus tiefer Überzeugung, wie er bin ich Lehrer und nicht Sozialarbeiter geworden! In der Gemeinschaftsschule – einem Projekt von Grünen und SPD in Baden-Württemberg nach dem Machtwechsel im Jahr 2010 – werden in blindem bildungsideologischen Eifer alle Beteiligten sich selbst entfremdet: Lehrer dürfen nicht mehr das, was einen eigentlich antreibt, wenn man den Lehrerberuf ergreift: nämlich lehren. Lehren bedeutet, dass man Kraft seines Fachwissens und unter Einsatz charismatischer Persönlichkeitsstrukturen denen, die weniger wissen, etwas von dem, was einen selbst begeistert, weitergibt. Die linken Ideen vom „Lehrer als Lernbegleiter“, die an den Gemeinschaftsschulen strikt umgesetzt werden, unterdrücken genau diesen Ur-Impuls des Lehrenden – ausgehend von eigener Begeisterung, eigener Leidenschaft für einen Fachgegenstand zu unterrichten. Und genau dieses Unterrichten geht nicht selten auch über den Vortrag, das gestaltete Erzählen von Zusammenhängen oder über das Unterrichtsgespräch, das der Lehrer mit der gesamten Klasse zu einem Thema führt und das der Lehrer natürlich lenkt und steuert, denn er ist ja derjenige, der das ungleich größere Fachwissen hat und der weiß, wo die (Gesprächs-)Reise hingehen soll. Meine eigenen Erfahrungen nach nun bald zwanzig Berufsjahren haben mir gezeigt, dass dies die Wege sind, die auch die Schüler wollen und die sie brauchen. Um zum Thema der erzwungenen Entfremdung zurückzukehren: Auch die Schüler werden in der Unterrichtsmethodik, die an den Gemeinschaftsschulen offenbar zwangsweise vorgeschrieben ist, von ihren natürlichen Impulsen entfremdet. Von dem natürlichen Antrieb nämlich, von jemandem, der etwas weiß, Dinge, die einem selbst unbekannt sind, erklärt, erläutert, beigebracht zu bekommen. Man darf auch die Wirkung des gemeinsamen Zuhörens, des gemeinsamen Gesprächs einer ganzen Klasse mit dem Lehrer zu einem Sachthema nicht unterschätzen. Die Methode des Lernateliers, von der Wiedemann in seinem Artikel mehrfach berichtet, zerstört beide Antriebe: den des Lehrenden, echt zu lehren, und den des Lernenden, vom Lehrenden etwas zu erfahren, von ihm (an-)geleitet zu werden, und auch den Antrieb, als Teil einer Gemeinschaft (einer ganzen Schulklasse) etwas gleichzeitig mit allen Mitschülern zu erfahren und auch deren Reaktion auf das „Unerhörte“, das man gerade zur Kenntnis nahm, wahrzunehmen und zu rezipieren. Dieser Wirkungswechsel geht völlig verloren in den Unterrichtsvorschriften der Gemeinschaftsschulen. Wiedemann spricht ja ausdrücklich vom „stupiden Lernatelier“, wo Vereinzelung und Alleingelassenwerden zur alltäglichen Schulerfahrung gehören. Die Ideen, nach denen an den Gemeinschaftsschulen „Schule“ gemacht wird, gehen im Grunde an der Natur des Menschen vorbei. Es handelt sich, wie schon so oft in der Geschichte der linken politischen Ideen, um einen Irrweg, der den Faktor Mensch völlig negiert und der deshalb auch zum Scheitern verurteilt ist. Methoden wie die des Lernateliers zerstören auch kommunikative Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern. Der Lehrer ist in diesem linken schulpolitischen Selbstverständnis nur noch Lernbegleiter, er lehrt nicht mehr. Die Vorstellungen des selbstgesteuerten Lernens führen dazu, dass man Kinder und Jugendliche im Grunde alleinlässt, dass man ihnen einen der wichtigsten menschlichen Bezugspunkte neben Eltern und Freunden in der Phase des Aufwachsens per Ideologie wegnimmt: den Lehrer, der ja auch eine Leitfigur ist, der Orientierung gibt und durch dessen Persönlichkeit überhaupt oft erst das Interesse, etwas zu lernen, angeregt wird. Dieses über Jahrtausende der Menschheitsgeschichte gewachsene Bindungsgeflecht zwischen Lehrenden und Lernenden zu zerstören ist Ausdruck eines kalten Sozialingenieurtums, das in der linken Ideenwelt leider immer wieder hervorgebracht wird und bisher stets zu nichts Gutem geführt hat.
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Ich stimme dem Autor in allen inhaltlichen Aussagen zu, ich bezweifele lediglich seine Analyse, dass dieser ganze Selbststeuerungs-Quatsch „links“ sei. Bayern bzw. bayerische Bildungspolitik ist ganz sicher nicht „links“ und trotzdem sollen wir diesen Unsinn mitmachen. Und am besten drücken wir noch allen SchülerInnen einen Laptop oder ein iPad in die Hand, denn in ihrer Freizeit tippen und wischen sie ja noch nicht genug rum, das sollen sie schon auch noch in der Schule, damit auch noch der Rest an (Unterrichts-)Gespräch verschwindet.
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