Derzeit schlägt der Personenkult um erfolgreiche Fußballtrainer mal wieder besonders hohe Wellen. Im Mittelpunkt steht natürlich Jürgen Klopp, dem der STERN kürzlich sogar eine Titelgeschichte gewidmet hat.
Was für ein überragender Motivationskünstler und großartige Führungspersönlichkeit das doch ist. Der kümmert sich intensiv um jeden einzelnen Spieler und versucht sie im persönlichen Gespräch individuell zu fördern und zu motivieren. Er versucht gerecht zu sein und niemanden ungerechtfertigt zu bevorzugen. Andererseits besteht er aber auch knallhart auf Disziplin und Beachtung seiner Regeln und taktischen Vorgaben. Wenn ein Spieler nicht spurt bzw. keine Leistung bringt, wird er umgehend bestraft (z.B. indem er auf der Ersatzbank schmoren darf) und wenn es nicht anders geht, kann Klopp schon auch mal laut werden.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte diese Beschreibung auch auf einen guten Lehrer gepasst. Wenn Herr Klopp hingegen heute die derzeit angesagten pädagogischen Kriterien erfüllen müsste, würde vieles ganz anders aussehen.
Aus dem autoritären Trainer, der glaubt zu wissen, was für seine Spieler gut ist, würde ein zurückhaltender „Trainingsbegleiter“, der „Lernprozesse moderiert“ und seine „Erfahrungen und Kundigkeiten mit dem Wissen seiner Spieler verknüpft.“
Anstatt rücksichtlos zu befehlen, welchem taktischem Konzept die Mannschaft zu folgen hat, würde er selbstverständlich den Spielern überlassen „autonom und eigenverantwortlich“ ein eigenes Konzept zu entwickeln und dabei die „Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Spielers bei allen Informationsverarbeitungs- und Lernprozessen“ berücksichtigen.
Wenn ein Spieler keinen Bock mehr hat, stupide aufs Tor zu schießen, darf er selbstverständlich im Rahmen des „Responsible Training Process“ einen ansprechend gestalteten „Auszeitraum“ aufsuchen und sich erholen.
Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen Üben / Trainieren und Erfolg. Beim Fußball ist es klar: Wenn eine Mannschaft verloren hat, hat sie entweder nicht genügend oder eben „falsch“ trainiert. Mit größter Selbstverständlichkeit geht alle Welt davon aus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Übungsumfang bzw. ‑qualität und Erfolg / Leistung gibt. Niemand stört sich daran, dass selbst Spitzenfussballer jeden Tag stundenlang immer wieder dasselbe üben und wiederholen, obwohl sie es doch eigentlich längst „können“.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war dieser Zusammenhang auch für die Schule bzw. für die Hausaufgaben selbstverständlich. Wenn ich – besonders in einer Fremdsprache – nicht genügend übe / trainiere / wiederhole, kann ich keinen Erfolg haben und keine Leistung bringen. Die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung ist aber inzwischen überzeugt, dass Hausaufgaben überhaupt nichts bringen bzw. sogar schaden. Ich bin mir sicher, dass sie bald entweder per Erlass (bzw. „Empfehlung“) von oben abgeschafft werden oder dass die Lehrer selber aus der Not eine (pädagogische) Tugend machen und sie von sich aus abschaffen. Schon jetzt machen ja viele Klassen geschlossen so gut wie keine schriftlichen Hausaufgaben mehr und viele Kollegen haben schon längst resigniert. Wenn man jetzt erklärt, dass schriftliche Hausaufgaben schon immer pädagogisch unsinnig bzw. überflüssig waren und zu Stress und Überlastung führen, hat man ein Problem weniger und ist gleichzeitig noch „pädagogisch innovativ“.
Ein letzter faszinierender Aspekt ist die Notengebung beim Fußball und in der Schule. Beim Fußball geht’s richtig zur Sache: „Die Note 3,5 lässt sich als Ausweis einer durchschnittlichen Leistung verstehen. Ein Spieler, der so bewertet wird, hat entweder ein Match ohne herausragende Aktionen, aber auch ohne gravierende Fehler absolviert, oder positive und negative Szenen haben sich ziemlich genau die Waage gehalten.“ (Quelle). Gerade nach verlorenen Spielen fliegen den Spielern die schlechten Noten nur so um die Ohren. Ein paar Pässe bzw. Torschüsse versemmelt und schon hagelt es Fünfer und Sechser. Hat sich schon irgendwann mal jemand gegen diesen brutalen, demotivierenden Notendruck ausgesprochen? Wurde schon jemals statt dieser „wenig aussagekräftigen“ Noten ein ausführliches Wortgutachten gefordert, das sich vor allem auf die Stärken des Spielers konzentriert?
Monika Niemann
„Foul is, wenn der Schri pfeift.“ Eine Tatsachenentscheidung halt, der Schiedsrichter ahndet hat aus seiner Position und Sichtweise heraus ein besonders hartes Einsteigen eines Spielers oder er reagiert auf ein unangemessenes Gemecker oder eine Unsportlichkeit mit einer gelben oder vielleicht sogar roten Karte.
Dies wird im Sinne eines flüssigen guten Spiels akzeptiert, auch wenn manchmal die Meinungen über die Richtigkeit von Entscheidungen auseinandergehen. Tatsachenentscheidung, the show must go on.
Nun stelle man sich vor, man übertrage schulische Verhältnisse auf den Fußballplatz. Verteidiger Müller tätigt eine echte Blutgrätsche und der Schiedsrichter erteilt dem Spieler eine Rote Karte. Das Spiel wird unterbrochen, denn erst einmal muss der Schiri sich die Verteidigung des Verteidigers anhören:
„Der Meyer von Holzbein 68 hat ja auch…“, „Immer ich, wieso nicht der Schmitz?“, „Ich bin im Moment einfach nicht gut drauf, meine Eltern lassen sich scheiden und so…“ , „Sie haben mich schon die ganze Zeit auf dem Kieker“ , „Aber ich hab‘ doch NUR…“ und vor allem: „ICH? ICH war das nicht.“
Der Spieler holt nun weitere Unterstützung hinzu – Mitspieler, Eltern, Beratungstrainer. Gemeinsam wird versucht, den Sachverhalt zu klären, immer unter Androhung rechtsanwaltlicher Unterstützung. Gemeinsam wird darüber befunden, ob die Reaktion des Schiedsrichters angemessen war oder vielleicht doch zu hart. Völlig entnervt zieht der Schiedsrichter am Ende die Rote Karte wieder zurück und entschuldigt sich beim Spieler, weil er weiß, dass der DFB bei massiven Beschwerden am Ende doch immer alle Schiedsrichterentscheidungen einkassiert.
Währenddessen joggen die restlichen 21 Spieler locker um den Platz, um warm zu bleiben, die Zuschauer holen sich noch ein alkoholfreies Bier und die nach der Übertragung geplante Tagesschau verschiebt sich um sich um 30 Minuten.
Interessant ist es auch, wie Spieler und Fans in der Lage sind, auch unberechtigte Pfiffe des Schiedsrichters zwar sehr verärgert zur Kenntnis nehmen, aber am Ende zu kommentieren mit „Im Laufe der Saison gleicht sich das immer wieder aus.“
Solch eine Lockerheit möchte ich in der Schule gerne einmal erleben.
Bernd
Guter Eintrag. Aber wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, bricht gleich wieder alles zusammen. Das liegt nicht daran, dass Fußballer doof oder deren Trainingsmethoden völlig überkommen wären. Nein, die machen das freiwillig. Schüler hingegen nicht (häufig zumindest). Welcher Schüler geht in den schwierigen Jahren schon gerne zur Schule? Alles irgendwie überflüssig, unproduktiv und eigentlich hat man immer grad was besseres zu tun. Also, Schüler mit Animateuren auf Trab halten, hier beschäftigen, da methodisch in Schwung halten. Animation ohne Ende. Ein guter Fußballer weiß, dass nur 11 von 30(?) Spielern auf dem Platz stehen können und wertvolles Gehalt ganz schnell bei Null endet, wenn man nicht mitmacht. Da ist die Belohnung der Ansporn. Egal ob finanziell oder sozial. Übertragen wir das zurück in die Schule, dann könnte das funktionieren. Aber wer will schon Belohnungen als pädagogische Waffe gegen Antriebslosigkeit einführen?
Es gibt übrigens eine Studie dazu, „Should Kids Be Bribed to Do Well in School?“(http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1978758,00.html)
Jochen
> Nein, die machen das freiwillig.
Zugegeben, aber in der ganzen Jugend gibt es keinen müden Pfennig als Ansporn (im Gegenteil, meistens zahlen die Eltern auch noch). Und das Training macht meistens überhaupt keinen Spaß, aber es muss halt sein.
Stefan
Ich finden diesen Vergleich auch immer wieder erhellend, jedoch wird wohl unterschlagen, dass der Trainer die „Mannschaft“ mehr oder weniger selbständig zusammenstellen kann. Er muss sie sich auch nicht mit anderen Trainern teilen, die teilweise ganz andere Methoden an den Tag legen.
max
http://tinyurl.com/ct92jee
Hamburgs strengste Schule setzt glasklare Regeln
Das Gymnasium Hamm verhängt Bußgelder fürs Zuspätkommen und sorgt auf diese Weise für mehr Disziplin. Mobiltelefone sind verboten, nicht gemachte Hausaufgaben und verlängerte Ferien werden geahndet. Von Insa Gall