Dass wir Bayern immer unsere eigenen Schulbücher brauchen, ist ja inzwischen allgemein bekannt, aber dass wir jetzt sogar ein eigenes Klausur-Wörterbuch haben, hat doch eine neue Qualität. Es darf gelacht werden und man darf sich fragen, ob es gerade in Zeiten knapper Kassen nicht doch wichtigere Probleme gäbe …
Kurz zur Vorgeschichte: Zusammen mit dem G8 wurde in Bayern (entgegen den Empfehlungen aller Experten) das zweisprachige Wörterbuch für Klausuren und das Abitur eingeführt. Im April 2011 verlangte dann kurz vor dem Abitur ein Rundschreiben, dass alle Teile des Lexikons, die über die „Primärfunktion“ hinausgehen (wie z.B. Teile der „Reference section“ am Ende des OALD) im Abitur nicht benutzt werden dürften und die Lehrer dafür zu sorgen hätten, dass die Schüler keinen Zugriff auf diese Seiten haben. Während wir noch überlegten, ob wir die entsprechenden zukleben, zutackern oder einfach rausreißen sollten, kam nach wenigen Tagen die Entwarnung. Bis zum Ende des Schuljahres 2014/15 gibt es jetzt einen „Bestandschutz“ (siehe „Wörterbuchnutzung“), danach dürfen dann allerdings nur noch genehmigte Wörterbücher verwendet werden.
Da sind die einsprachigen Lexika in den letzten Jahren (vor allem in Hinblick auf die Textproduktion) deutlich besser geworden und haben sinnvolle Features (wie Zusatzinfos, Usage Notes, Synonyme und Antonyme u.Ä.) von den einsprachigen übernommen und jetzt müssen die Verlage extra für Bayern eine Ausgabe erstellen, in der all diese Features extra wieder entfernt wurden. Es darf nicht wahr sein …
Und wozu dieser ganze Quatsch? Es soll verhindert werden, dass „den Schülerinnen und Schülern durch Musteraufsätze oder umfassende Listen von sprachlichen Mitteln in Zusammenhang mit der Erstellung von argumentativen Texten und der Beantwortung von Fragen zum Text eine so weit reichende Hilfestellung [geboten wird], dass die individuelle Schülerleistung nicht mehr trennscharf ermittelt werden kann.“ Welch absurde Vorstellung, dass ein Schüler unter Zeitdruck im Abitur erstmal einen Musteraufsatz liest, um zu erkennen, dass er seinen eigenen Aufsatz in Einleitung, Hauptteil und Schluss gliedern sollte. Warum war nur im G9 angesichts des einsprachigen Lexikons (das noch viel mehr Informationen enthielt) die „trennscharfe“ Ermittlung der Schülerleistung nie ein Problem? Warum hat man sich jahrelang den Mund fusselig geredet um die Schüler dazu zu bewegen, doch mal ins Lexikon zu schauen und sich ein schönes Synonym für ihren eigenen Text herauszupicken? Im Klausur-Wörterbuch gibt es jetzt hingegen keine Synonyme und Antonyme mehr. Diente das Lexikon nicht einmal explizit dazu den eigenen Wortschatz zu erweitern?
Nachdem sich die wenigsten Schulen leisten können, für alle Abiturienten Klausur-Wörterbücher anzuschaffen und die normale Ausgabe z.B. des Großen Oxford Wörterbuch auch nicht für „Leistungserhebungen“ verwendet werden darf, werden sich die Schüler in Zukunft nur noch die kastrierte Ausgabe anschaffen. Was für ein Schwachsinn …
Timo
Wir müssen anfangen, die Abschlussprüfungen neu zu denken.
Wie könnten diese aussehen, wenn wir ganz bewusst sehr umfangreiche Möglichkeiten wie im Unterricht hinzunehmen?
Jochen
Ich denke nicht, dass wir irgendwas „neu denken“ müssen. Die Schüler können ja eh immer weniger und von den Möglichkeiten des Lexikons machen sie ja auch immer weniger Gebrauch. Folge: Wir machen die Abschlussprüfungen (siehe z.B. Mediation und mdl. Teilprüfung in Bayern) immer leichter. Das ist natürlich auch eine Art Prüfungen „neu“ zu denken 😉
max
A propos Überschrift: Sind eigentlich die anderen Bundesländer genauso g’spinnert wie wir, oder wollen wir Bayern mal wieder allen anderen zeigen, wo der Barthel das Wörterbuch holt? 😉
Peter Ringeisen
Besonders putzig ist ja der Teil des Cornelsen-Prospekts, in dem die Unterschiede zur Normal-Ausgabe des Wörterbuchs erläutert werden (also welche Vorgaben des Ministeriums zu erfüllen waren) – z. B. darf das Klausur-Wörterbuch keine Hinweise auf Antonyme enthalten. Hui, das wäre aber auch! Mit solch einem Vorteil erschliche man sich ja die Hochschulreife im Nu.
Georg
Und ich verstehe auch gar nicht, warum Cornelsen schon jetzt in vorauseilendem Gehorsam das Wörterbuch auf den Markt wirft. Bis 2014 herrscht ja die totale Beliebigkeit, und welche Regeln danach gelten werden, lässt sich bei der erratischen Politik noch nicht absehen. Ich freue mich jedenfalls schon auf neue KMS, deren Dementi und das Dementi des Dementi.
Also, ich würde im Moment keinem Oberstufenschüler raten, hier zuzugreifen.
Sabine
Ich würde mich schämen, einem Schüler so ein nutzloses Wörterbuch zu empfehlen. Die Gestalten im Ministerium haben offensichtlich noch mit dem OALD mit den Grammatikhieroglyphen gelernt und halten Wörterbücher deshalb für Folterinstrumente, die auch die neue Generation zu spüren bekommen soll.
Steuergelder möchte ich für so einen Mist auch nicht ausgeben. Um Klassensätze von so etwas anzuschaffen, ist doch sicher kein Geld da?
Es ist zum Mäusemelken.
Jochen
> Um Klassensätze von so etwas anzuschaffen, ist doch sicher kein Geld da?
Natürlich nicht, und selbst wenn, nützen einem zwei Klassensätze fürs Abitur ja auch nichts, d.h. die Schüler werden sich dieses Ding selber kaufen müssen. Und selbst wenn Geld zur Verfügung gestellt wird, geht das dann wieder zu Lasten z.B. der lernmittelfreien Bücher. An meiner Schule lassen wir z.B. in Englisch immer eine komplette Lehrbuchgeneration (in diesem Fall English G 21) aus und arbeiten einfach entsprechend länger mit den alten Büchern.
Susann
Mal sehen, was dann ab 2015 der ominöse Lehrplan Plus vorsieht – wahrscheinlich wieder ganz was anderes, das dann ein weiteres neues Wörterbuch erfordert.
Frau Ladybird
In anderen Bundesländern (hier NRW) gibt es dieselben Auflagen. Doch noch warten wir ab … und auf die x‑te Modifizierung des Lehrplans.