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Simple past ist Philosophie

Ein Gast­bei­trag von Clau­dia Boer­ger:

Letz­tens hör­te ich eine Kol­le­gin Fol­gen­des über einen Schü­ler sagen: Der konn­te ja noch nicht ein­mal die Regel für das simp­le past anwen­den. Dabei stand sie doch ganz genau an der Tafel. Wie soll ich da noch hel­fen kön­nen, wenn die schon kei­ne ein­fa­chen Ein­setz­übun­gen mehr hinbekommen!

Hier gibt es ein rie­si­ges Miss­ver­ständ­nis; ver­steckt liegt es in den drei Wört­chen “noch nicht ein­mal”. Durch sie wird näm­lich bedeu­tet, dass Gram­ma­tik­un­ter­richt in der Form “Erst Regel bewusst machen, dann Ein­setz­übung auf­ge­ben” basals­ter Kin­der­krams für unse­re Schü­ler sei.

Das ist falsch.

Die Undurch­dring­bar­keit gram­ma­ti­scher Sprach­be­trach­tung wird von vie­len Kol­le­gen gar nicht wahr­ge­nom­men. Betriebs­blind­heit – han­delt es sich bei Gram­ma­tik­un­ter­richt in Wirk­lich­keit doch nicht sel­ten um höchst abs­trak­te lin­gu­is­ti­sche Ana­ly­se, die für die meis­ten Schü­ler nicht zu leis­ten ist, nicht weil sie zu doof sind, son­dern weil wir einen zu hohen Anspruch haben.

Aller­dings macht die­ses fehl­ge­lei­te­te Ver­ständ­nis Sinn für vie­le von uns “Eng­lisch­freaks”, die ihre Lei­den­schaft ja zum Beruf gemacht haben. Wir ver­ges­sen dar­über nur all­zu oft, dass wir sel­ber in der Regel Eng­lisch­leh­rer gewor­den sind, weil wir natür­lich über­durch­schnitt­lich begabt für das Fach sind und jeg­li­che Aus­ein­an­der­set­zung damit – selbst auf hoch­in­tel­lek­tu­ell lin­gu­is­ti­scher Ebe­ne – reins­te Freu­de für uns bedeu­ten kann.

Nun ist es doch aber absurd anzu­neh­men, dass der durch­schnitt­lich (geschwei­ge denn der unterdurch­schnitt­lich) begab­te Schü­ler mit eben­sol­chem Feu­er und Talent für das Eng­li­sche aus­ge­stat­tet ist, dass er in ähn­li­che sprach­be­trach­te­ri­sche Ana­ly­se-Höhen flie­gen könn­te (oder woll­te), wenn es z.B. um die “Beto­nung eines Hand­lungs­ab­lau­fes bis zu einem bestimm­ten Zeit­punkt in der Zukunft” geht.

Hier ein Beleg aus dem Deutsch­un­ter­richt: Wenn die Kin­der der 5. Klas­se im mut­ter­sprach­li­chem Gram­ma­tik­un­ter­richt (wozu über­haupt?) deut­sche Dekli­na­ti­ons­mus­ter in Lücken­sät­ze ein­set­zen müs­sen, ver­sa­gen die durch abs­trak­tes­te Sprach­ana­ly­se ver­wirr­ten Hir­ne fast durch­weg. Bei Der Hund liebt _______ (Kno­chen / Akku­sa­tiv) wird nicht sel­ten ein aus Über­for­de­rung gebil­de­tes des Kno­chen zum Objekt. Die­ser Feh­ler ent­steht selbst in der Mut­ter­spra­che allein durch die Bewusst­ma­chung gram­ma­ti­scher Regularität!

Regel­er­ken­nung und bewuss­te Benut­zung gram­ma­ti­scher Struk­tu­ren sind also sau­schwer – Sprach­be­trach­tung ist nicht ohne Grund eine phi­lo­so­phi­sche Dis­zi­plin. Dem­nach ist sie auch bzw. gera­de im Fremd­spra­chen­un­ter­richt eher etwas für die beson­ders leis­tungs­star­ken Schü­ler, deren Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen viel Fut­ter braucht.

Bei schwä­che­ren Schü­lern fah­re ich im Gram­ma­tik­un­ter­richt das Niveau sehr weit run­ter. Dort baue ich eher auf durch viel Input ent­stan­de­ne auto­ma­ti­siert ange­wand­te word chunks bzw. impli­zi­te Regel­bil­dung. Nicht alle in einer Lern­grup­pe müs­sen zudem auch alle Gram­ma­tik­be­rei­che beherr­schen (con­di­tio­nal III). Eini­ge Zei­ten fal­len kom­plett weg – oder wie oft befin­dest Du Dich in Situa­tio­nen, in denen Du Dich genö­tigt siehst, Sät­ze wie You will not have been dre­a­ming zu formulieren? 😉

Zur wei­te­ren Lek­tü­re emp­feh­le ich den her­vor­ra­gen­den Auf­satz von Micha­el Swan TEACHING GRAMMAR – DOES GRAMMAR TEACHING WORK?

———————–

Kom­men­tar: In der Ten­denz stim­me ich Clau­dia natür­lich zu. Etwas unglück­lich bin ich über das Bei­spiel mit dem Con­di­tio­nal III. Die Bedin­gungs­sät­ze (vor allem Typ II und III) fin­de ich unter kom­mu­ni­ka­ti­ven Gesichts­punk­ten äußerst wich­tig. Bei­de erlau­ben uns zu spe­ku­lie­ren und Wün­sche zu ver­ba­li­sie­ren, Typ II für die Zukunft, Typ III für die Ver­gan­gen­heit. Auf past per­fect pro­gres­si­ve kann ich da z.B.viel leich­ter verzichten.

 

 

 

 

 

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Good news: clarity’s a‑coming!

  1. Das Hauptpto­blem liebt bei uns dar­in, dass vie­le gram­ma­ti­ka­li­sche Struk­tu­ren in der (deut­schen) Mut­ter­spra­che nicht mehr aus­rei­chend gelernt wer­den. Wer z.B. den Kon­junk­tiv im Deut­schen nicht bil­den und anwen­den kann (bei uns ist das die Mehr­heit der Schü­ler!), der wird in jeder Fremd­spra­che damit Pro­ble­me haben.

    • Marlow

      By the way, man kann im Deut­schen den Kon­junk­tiv inzwi­schen auch mit „wür­de“ bil­den. Den Unter­schied zwi­schen prä­skrip­ti­ver und deskrip­ti­ver Gram­ma­tik ken­nen wir doch inzwi­schen alle und auch die Bil­dung des Kon­junk­tivs hat sich gewandelt…

      • Das „kann“ man schon seit län­ge­rem, des­we­gen ist es aber noch lan­ge kein gutes Deutsch. Es wür­de ein­fach bes­ser sein, wenn man den kor­rek­ten Kon­junk­tiv wis­sen würde.

        • dh

          „Es wäre ein­fach bes­ser, wenn man den kor­rek­ten Kon­junk­tiv wüsste.“
          Oder war das Absicht :-);
          Ansons­ten stim­me ich voll­kom­men zu: Nur weil sich aus man­geln­dem Wis­sen und man­geln­der Refle­xi­on etwas ein­schleift ist es noch lan­ge nicht gut. Und wo das Pro­blem an prä­skrip­ti­ver Gram­ma­tik lie­gen soll, habe ich noch nie ver­stan­den. Wider­steht der sprach­li­chen Barbarei!

  2. Marlow

    Die Fra­ge ist doch, was wer wann braucht. Con­di­tio­nal III ist kein The­ma für die Sek I – also ent­schla­cken wir unse­re viel zu voll­ge­propp­ten Cur­ri­cu­la doch wenigs­tens davon, bis Schü­ler das Bedürf­nis ver­spü­ren, über uner­füll­bar Gedach­tes zu spekulieren.

    • In der Sek. I über­legt sich noch kein Schü­ler: „Wenn ich mei­ne Wör­ter gelernt hät­te, hät­te ich eine bes­se­re Note bekommen.“?

  3. Lehrerkind

    Der Gast­bei­trag kri­ti­siert drei unter­schied­li­che Phä­no­me­ne. Die­se soll­ten wir auch schön aus­ein­an­der­hal­ten. Zum einen macht er uns als Kol­le­gen dar­auf auf­merk­sam, dass wir unse­rer Unzu­frie­den­heit (Nör­ge­lei) als Leh­rer stän­dig Aus­druck ver­lei­hen müs­sen. Wir bekla­gen andau­ernd, dass uns nie­mand lobt, es kei­ne Kul­tur der Wert­schät­zung in der Insti­tu­ti­on Schu­le gibt, um eini­ge Sekun­den spä­ter im Klas­sen­zim­mer wie­der zum Feh­ler­auf­spür­mons­ter zu mutieren.
    Es ist nur logisch, dass Schü­ler Schü­ler, wel­che das Futur in ihrer Mut­ter­spra­che nicht bil­den kön­nen, dies auch in der Fremd­spra­che nicht schaf­fen. Dies betrifft natür­lich den inhalt­li­chen Bereich glei­cher­ma­ßen. Vol­ler Vor­freu­de schaue ich jedes­mal auf die Ver­öf­fent­li­chung der Semes­ter­the­men für die Oberstufe.
    Die von Frau Bör­ger beschrie­be­ne Kri­tik kann ich jedoch nicht nach­voll­zie­hen. Bei Ein­setz­übun­gen zum simp­le past geht es aus­schließ­lich um Lern­fleiß und die Bereit­stel­lung von aus­rei­chend Übungs­zeit (gezwun­ge­ner­ma­ßen auch zu Hau­se). Was hat dies mit Sprach­ge­fühl oder gram­ma­ti­scher Sprach­be­trach­tung zu tun. Wenn der Tafel­an­schrieb die Bil­dungs­re­gel ein­deu­tig erklärt (regel­mä­ßi­ge Ver­ben), und wir sind uns wohl alle einig, dass das Nach­schla­gen der drit­ten Form im Lehr­buch kein Phy­sik­stu­di­um vorraus­setzt, dann han­delt es sich um Faul­heit und nicht Über­for­de­rung bzw. Des­in­ter­es­se am Fach.

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