… ist ein „portmanteau“ aus „digital“ und „distraction“. Dieses Wort gibt es (noch) gar nicht, ich habe es erfunden, weil es m.E. noch kein gutes Wort für das enorme Ablenkungspotenzial digitaler Medien gibt.
Mit „Ablenkung“ meine ich gar nicht unbedingt irgendwelche dämlichen YouTube-Videos, in denen jemand zum x‑ten Mal hinfällt, nass gespritzt wird oder plötzlich von irgendeinem Köter verfolgt wird. Mein Problem ist, dass ich ständig interessante Sachen lese bzw. Tipps bekomme, was ich mir unbedingt mal anschauen sollte. Mal eine kleine Auswahl aus den letzen Tagen: Björn Bücker empfiehlt mir Neil Gaiman, beim Tulgey-Förster gibt es interessante Links zu Kurt Vonnegut, durch Stephan Waba stoße ich auf Jay Cross, der „teacher“ verweist auf einen Artikel, der behauptet „Watching TV Makes You Smarter“, von Sabine Dauner bekomme ich einen Link zu einem coolen Basketball & Hip Hop Video, dann sind da noch diverse Podcasts, die ich schon seit längerem … usw. etc. pp. udgl. und so fort …
Gute Blogs tragen zu diesem information bzw. stimulation overload nach meiner Erfahrung ganz erheblich bei. Im Augenblick bekomme ich über Google Reader zwanzig Blogs, das ist auf Dauer nicht zu bewältigen. Gerade wenn man etwas fürchterlich Langweiliges macht, wie z.B. 53x die selbe Schulaufgabe zu korrigieren (ich habe parallel zwei 10te) ist die Versuchung sehr groß nur mal schnell … Oscar Wilde hatte Recht: „I can resist everything except (digital) temptation.“ Um nicht ständig in Versuchung geführt bzw. abgelenkt zu werden, habe ich zeitweise „digitale Enthaltsamkeit“ („digistinence“) geübt und die Kiste gar nicht erst angeschaltet, bzw. zumindest Browser und Email-Programm ausgeschaltet. Mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass Google Reader nach zwei Tagen nicht wie sonst ca. 30, sondern gleich über 60 neue Items angezeigt hat, die ich natürlich nur mal schnell …
Selbstverständlich träume ich davon, dass „mein“ Wort irgendwann mal bei den MED New Words, bei David Crystal oder – das wäre die Krönung – im OALD („New Words in OALD“) auftaucht.
Bislang kennt Google das Wort natürlich noch überhaupt nicht. Ich habe mit einem Kollegen gewettet, dass Google in einem HALBEN Jahr (also am 18.10.07) mindestens ZWANZIG verschiedene Quellen für dieses Wort auflistet. Zu diesem Zweck werfe ich jetzt sozuschreiben Unmengen virtueller Stöckchen in den Cyberspace und hoffe, dass irgendjemand (vor allem meine bloggenden Kollegen/innen) eins auffängt und in seinem Blog oder auf seiner Website mein tolles neues Wort erwähnt. Beim urban dictionary gibt es mein Wort bereits.
Passend zum Thema ein Artikel von Nicolas Carr.
Werner Prüher
Hallo Jochen,
Gratulation zur Kreation! Site für Neologismus: http://www.wordspy.com
(Ich schätze, die Wette hast du gewonnen, wetten?).
lg
Werner
Steffen
Ich trage zur Verbreitung bei! 🙂
Richard
Hallo Jochen,
über Nacht hast du es schon auf 5 Googletreffer gebracht. Nagut, zwei gehen auf deine Seite. Aber ich glaube die Flasche Sekt wird es geben: http://s180237920.online.de/rhcms/blog/2007/04/18/wortmuell-wortschaetze-digistraction/
Viele Grüße
Richard
rip
Gratuliere zu deinem neuen Wort. Ich habe gleich mal einen Wörterbucheintrag formuliert: http://www.tulgeywood.de/?p=42
Änderungs‑, Verbesserungs‑, Ergänzungsvorschläge? Immer her damit 😉
rip
Soeben erst entdeckt und gleich für einen Eintrag genützt:
http://wordie.org/words/digistraction
Ein witziges Konzept übrigens. Die Schlagzeile lautet: „Wordie – Like Flickr, but without the photos.“ Die Benutzer der Seite legen Listen von Wörtern an, die sich selbst (und gegenseitig) kommentieren … wahrhaft philologisch.
Jochen
Kannte ich noch gar nicht. Danke für den Eintrag. Gleich in der ersten Zeile heißt es: „Wirdee lets you make …“, dabei heißt die Site doch ‚Wordie‘.
Ist das jetzt auch „wahrhaft philologisch“ (und ich kapier was nicht) oder ein peinlicher „typo“?
rip
„wordie“/„wirdee“ … ich glaube, es ist weder „wahrhaft philologisch“ noch ein „typo“, sondern einfach Ausdruck der ungeheuer relaxten Einstellung zur Sprache, die dort vorherrscht 😉
Es würde mich nicht wundern, wenn als weitere Variante irgendwo stünde „were deep (without the ‚p‘)“ 🙂
Jochen
> ungeheuer relaxten Einstellung zur Sprache
Eigentlich gemein, dass wir die nicht auch unseren Schülern zugestehen 😉 Zuerst dachte ich an eine Anspielung bzw. Variation von ‚weird‘ …
Mr.Weese
Manual trackback from http://mrweese.blogspot.com/2007/04/digistraction.html
😉 Love it!
teacher
Jetzt stecke ich voll in der Zwickmühle. Einerseits wehre ich mich gegen die Flut der Anglizismen, andrerseits braucht es so ein Wort wie „digistraction“. Wieder einmal scheitert die dt. Sprache an einer Herausforderung: „Digitalunterhaltung“, „Computerablenkung“ …?
Jochen
> Einerseits wehre ich mich gegen die Flut der Anglizismen
Ich habe es ausschließlich als ENGLISCHES Wort konzipiert, fürs Deutsche macht ja „distraction“ als Bestandteil keinen Sinn. Das müsste dann eher „digablenkung“ sein 😉
sueffisande
Problematisch beim „Abrechnen“ ist, dass viele Treffer dadurch entstehen, dass oft bei Suchfunktionen mögliche „Verschreiber“ programmiert sind, die dann Ersatzwörter anbieten (z.B. „digistraction – meinten Sie distraction?“). Das ist natürlich nicht im Sinne der Wette, denn sonst wäre sie schon gewonnen.
Stefan
Hallo Jochen,
also ich am 12.6. durch die Lehrerrundmail von deiner Wortkreation erfuhr war ich sofort Feuer und Flamme. Beschreibt sie doch einen Zustand bzw. eine Aktivität die ich nur zu gut kenne.
Sogleich fragte ich mich, wie ich dir zum Gewinn deiner Wette verhelfen könnte und registrierte spontan die Domain http://www.digistraction.de.
Dann kam die Frage, was ich nun mit der Domain anstelle, außer sie bei google anzumelden?
Heute habe ich es endlich geschafft dort einen Blog einzurichten, der sich ausschließlich mit digistractive processes 😉 beschäftigen soll.
Eingeladen sind alle – in diesem Blog ihre Web-Reisen oder sonstigen digitalen Ablenkungsmomente zu verewigen. Aber auch einfach Perlen der Ablenkung für die Nachwelt zu hinterlassen.
Wer Autor werden möchte sende mir einfach eine kurze EMail an autordigistraction.de
Ich hoffe du nimmst mir die Registration der Domain nicht übel und beteiligst dich vielleicht sogar als Autor?
Viele Grüße aus Hamburg,
Stefan
Sven
Hi Jochen,
ich bin gestern bei der gedanklichen Suche nach einem Blognamen auch auf dieses „portmanteau“ gekommen. Ich hatte allerdings nur nach digistractions (plural) gesucht, und Google hat gestern abend keine Ergebnisse gehabt. Da habe ich mich schon für ein wenig kreativ gehalten. Ich habe an eine ähnliche Bedeutung wie Du gedacht allerdings mit Betonung auf die Inhalte (daher plural) und auch weniger negativ (nicht notwendig digitale Prokrastination). Vielleicht trägt mein sich im Entstehen befindlicher Blog ja zum Gewinn Deiner Wette bei. Viele Grüße, Sven
max
Multitasking im Büro Überleben in der Informationsflut
26.09.2012 Das Telefon läutet, das Handy summt, am Computer blinkt eine E‑Mail: Der moderne Büroalltag erfordert permanentes Multitasking. Doch dafür ist der Mensch nicht gemacht. Experten verweisen auf Regeln für effizientes Arbeiten – und raten, die Kollegen nicht ständig zu nerven. … http://tinyurl.com/d7vxk9l
max
„Wer keine Aufmerksamkeitsstörung hat, kann sie sich durch Multitasking antrainieren“. (Manfred Spitzer)
Sehenswertes Interview in der Sendung „Nachtlinie“ (6.10.12): http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/nachtlinie/nachtlinie-prof-manfred-spitzer-100.html
max
Gefährlich selbst bei Fußgängern! :-]
Handys beeinträchtigen die Konzentration von Fußgängern in verblüffendem Maß. US-Mediziner halten es daher für denkbar, das Verfassen von Kurznachrichten beim Laufen ebenso zu ächten wie Alkohol am Steuer. Von Sebastian Herrmann … http://tinyurl.com/cpkoe4x
Max
„We think of procrastination as a curse. Over 80 percent of college students are plagued by procrastination, requiring epic all-nighters to finish papers and prepare for tests. […]
But while procrastination is a vice for productivity, I’ve learned — against my natural inclinations — that it’s a virtue for creativity.“
http://goo.gl/7ikmkv
Max
Noch mehr „digistraction“ wird es in Zukunft geben, wenn etwa die Arbeit mit Microsoft Word durch Meldungen aus dem LinkedIn-Netzwerk unterbrochen wird – ‚It’s not a bug, it’s a feature.‘ 😉
Why LinkedIn Will Make You Hate Microsoft Word
By RANDALL STROSS, NYT, JUNE 17, 2016
http://goo.gl/iAjA93