… ist unser bayerisches Wortungetüm für Mitarbeitsnoten. Mit diesen Noten soll natürlich nicht nur die reine Aktivität des Schülers (häufiges Melden), sondern in erster Linie die Qualität seiner Beiträge bewertet werden.
Ein Kriterium guten Unterrichts ist, dass sich Leistungserwartungen und ‑bewertungen an Richtlinien bzw. Bildungsstandards orientieren. Das ist im Falle von Unterichtsbeitragsnoten (UBs) nach meiner Erfahrung leider nur selten der Fall.
Viele Kollegen geben UBs mehr oder weniger „aus dem Bauch heraus“, eine 4 ist meistens automatisch die schlechteste Note, schlechtere Noten würden die Schüler ja „demotivieren“. Kein Wunder, dass die Schüler mit größter Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass man sich durch UBs nur verbessern kann und geradezu eine Recht darauf hat, schlechte schriftliche Leistungen auszugleichen.
Angesichts der (zu Recht) gestiegenen Bedeutung der „Mündlichkeit“ im Fremdsprachenunterricht (vgl. z.B. in der neuen GSO Ersatz einer Schulaufgabe durch eine mündliche Prüfung) ist diese höchst subjektive Wischi-Waschi-Notengebung nicht mehr zeitgemäß. Wenn ich eine neue Klasse übernehme und anhand z.B. der ISB-Übersicht für B1 Kriterien (10. Klasse) meine Kriterien für mündliche Noten erläutere, gibt es meistens einen allgemeinen Aufschrei der Empörung.
Um die abstrakten Beschreibungen zu konkretisieren, unterbreche ich immer mal wieder den Unterricht und lasse die Schüler überlegen bzw. beschreiben, was Schüler XY in der konkreten Situation für die Note 5, 4, 3 … hätte sagen müssen. Mich mit großen Augen stumm anstarren ist automatisch Note 6. Schulterzucken kombiniert mit einem gebrabbelten „I don’t know“ ist immer noch eine 6. Eine 5 wird es erst, wenn er mindestens … Eine 4 erfordert, dass er … usw.
Dabei weise ich immer wieder auf die 50/33 Regelung im bayerischen Abitur hin (Update 2019: Wurde leider inzwischen auf 40/20 abgesenkt, ich würde aber trotzdem bei 50/33 bleiben). Danach muss man mindestens die HÄLFTE der maximal erreichbaren Punkte haben um eine 4 zu bekommen und mindestens ein DRITTEL aller Punkte für eine 5. Die Anforderungen im Abitur (unbekannter Texte, z.T. anspruchsvolle Interpretationsfragen etc.) liegen deutlich über den Anforderungen eines normales Unterrichtsgesprächs, ergo gelten für UBs eher noch strengere Regeln. Schüler meinen ja oft, dass es bereits eine „ausreichende“ Leistung sei, wenn sie zweimal in der Stunde etwas richtig wiederholen können.
Das Argument mit der „demotivierenden“ Wirkung schlechter mündlicher Noten finde ich immer etwas merkwürdig. Intelligente Fragen stellen bzw. Antworten geben, sich einen Text genau anschauen, interpretieren, argumentieren etc. ist aus Sicht des Schülers anstrengende ARBEIT. Warum soll er sich diese Arbeit antun, wenn ihn das Thema nicht interessiert oder er ganz allgemein eine Abneigung gegenüber Sprachen bzw. Sprechen hat? Wenn er mit minimalem Aufwand seine 4 (oder 3) bekommt, besteht doch überhaupt kein Anlass sich mehr anzustrengen. Völlig absurd wird es (wie kürzlich bei einem Elternabend erlebt), wenn der Lehrer jammert, dass keine Sau niemand mitarbeitet und gleichzeitig verkündet, dass er grundsätzlich keine UB-Noten gibt, weil die ja so „subjektiv“ seien.
Zum selben Thema schreibt Angela Bode:
Bei uns in Bayern sollen wir die Qualität, nicht aber die Quantität bewerten. Obwohl einige Kollegen es anders machen, halte ich mich daran und fahre damit ganz gut, da ich nicht den Charakter, sondern die Englischkenntnisse benoten will. Ich bewerte daher immer über einen Zeitraum alle Äußerungen, die die Schüler machen – im Sitzplan trage ich kleine Noten von 1 bis 6 ein, jeder Tag hat eine andere Farbe. Wenn maximal zwei Wochen um sind gibt es Noten – ich achte dabei darauf, dass ich von jedem Schüler etwa 7–10 Aufzeichnungen habe. Wer sich viel meldet, hat trotzdem Vorteile. Erstens rufe ich ihn vor allem dann auf, wenn er sich meldet, d.h. wenn er zumindest vorher meint, dass er die richtige Antwort kennt. Zweitens kann ich berücksichtigen, wenn er mal ausnahmsweise einen schlechten Tag hat. Somit fühle ich mich sicher, dass ich wirklich die Qualität benote, außerdem mache ich dadurch relativ regelmäßig von jedem Noten und habe kurz vor Notenschluss Zeit, mich nochmal um die Grenzfälle zu kümmern. Ich muss mir dadurch auch nicht so viel merken. Manche Schüler mögen es so lieber, andere anders, damit kann ich leben. Eine Schülerin sagte mal: „Bei Ihnen würde ich nie gegen eine Note klagen, es ist alles so eindeutig hieb- und stichfest und gut dokumentiert, dass ich gar keine Chance hätte, wenn ich etwas anderes behaupten würde.“ Das hat mich auch noch einmal bestätigt.
Shari
Hallo Jochen,
ich finde diesen Kommentar zu den UB-Noten sehr interessant und hilfreich. Bin grad im 2. Halbjahr des Refs in Bayern, also jetzt an meiner Einsatzschule und bin dankbar für jede Anregung bezüglich kleiner Leistungsnachweise im Mündlichen. Ich hab auch schon 5er vergeben, weil in der beobachteten Zeit kein einziger vernünftiger Beitrag eines Schülers kam und natürlich war die Empörung hinterher groß. Es war ein wahnsinniger Kraftakt, dem Schüler und seinen Eltern am Elternsprechtag zu erklären, dass nicht Quantität, sondern Qualität zählt.
Mit der Eröffnung solcher (Deiner) Kriterien sind die Schüler von Anfang an informiert und können sich drauf einstellen.
Vielen Dank
Jochen
> dass nicht Quantität, sondern Qualität zählt.
Na ja, es zählt schon BEIDES. Es gibt ja gute Schüler, die erfassen z.B. einen Cartoon sofort und schmeißen dir dann ein oder zwei Sätzchen hin. Die sind zwar vielleicht brilliant, aber der Rest der Klasse versteht nur Bahnhof. Dann muss der Schüler seine Interpretation erläutern und ausführen und dann sind wir wieder bei Quantität.
Frank
Tut mir leid, aber wenn Ihr wirklich so bewertet, wie Ihr das hier beschreibt, ist „Demotivation“ noch ein Euphemismus. Das ist de facto ein Sprechverbot für die Schüler. 7–10 notenrelevante Aufzeichnungen pro Schüler in 2 Wochen bedeuten doch, dass praktische jede Schüleräußerung bewertet wird – ganz besonders bei denen, die im mündlichen Bereich leistungsschwächer oder unsicher sind. Und wenn ich als Schüler ständig in dem Bewusstsein leben müsste, dass jede meiner Äußerungen nicht nur bewertet, sondern vor allem nach strengen Qualitätsmaßstäben, die ich bitte kontinuierlich selbst reflektieren soll, beurteilt wird, dann würde ich auch nur noch dann etwas äußern, wenn ich Zeit hatte, meinen Beitrag gründlich vorzubereiten. Was mit der Realität einer gesprochenen Sprache nichts mehr zu tun hat und außerdem dazu führt, dass die Schüler vor allem versuchen werden, erst nach längeren stummen (!) Erarbeitungsphasen sich laut zu äußern. Wodurch sie also wieder seltener sprechen, folglich die Bewertung der gemachten Äußerungen noch mehr an Gewicht gewinnt, usw.
Ausbrechen aus diesem Teufelskreis ständigen Leistungsdrucks könnten dann nur noch die Dampfplauderer, denen ihre Note relativ egal ist, oder die wirklich guten Schüler, die sich ihrer Note sicher sind. Der Rest wird sich nur noch gezwungenermaßen äußern und somit sicherstellen, dass auch weiterhin der Lehrer den höchsten Sprechanteil im Unterricht behalten darf.
Dabei sind übrigens die Mündlichkeitskriterien die blanke Verhöhnung der Lernenden, wenn dort beispielsweise zuerst im Bereich der Sprachqualität grammatische Richtigkeit, korrektes Vokabular, korrekte Intonation und Aussprache etc. gefordert werden, als Schlussforderung aber steht: „Do not be afraid of mistakes!“ Zudem ist da von „model answers“ die Rede, an denen sich die Lernenden orientieren sollen. Wie soll das im Alltag des Unterrichts denn aussehen? „Thank you for your elaborated comment, Kevin. Although your remarks were somewhat lenghty, you were able to link your answer to what Julia just said before and your grammar and vocabulary were correct and sufficiently creative in use. However, your intonation at the end of your rhetorical question should have gone to a higher pitch and the register was flawed by your repeated usage of „OK“. Therefore I refrain from leveling your utterance at 87% of the model answer and rank it a bit lower, around 69% instead. If you are not sure of the criteria applied, please check Emil’s answer he made the lesson before last for comparison. I will hand out your model answer to you, as prepared by me, after class.“ Und welcher Lehrer glaubt ernsthaft, nach diesen Kriterien selbst mehr als eine 2–3 bekommen zu können, wenn ein unbekannter Kollege ihn/sie bewerten würde? Inwiefern bereitet so etwas die Schüler auf eine Realität außerhalb der Schule vor? Ich persönlich habe mich jedenfalls noch nie hinterfragt, wie viel Prozent einer „Modelläußerung“ meine Sprachproduktion jetzt gerade wohl erreicht hätte. Wichtig ist doch allein, ob ich damit meine intendierten Ziele erreichen konnte.
Carsten
Frank, du sprichst mir aus dem Herzen! Beachtet man dabei noch die Vorgabe, Bewerten und Üben strikt zu trennen, bleibt bei o.g. 7–10 „kleinen Noten“ wohl keine Zeit mehr zum Übern, geschweide denn zum intrinsisch motivierten äußern, wenn es denn gelingt, die Schüler zu packen. Ein Zustand der 24/7 Dauerbenotung kann ja wohl keinesfalls erstrebenswert sein!
Frau Holderstedt
Danke, Frank.
Ich dachte schon, ich bin alleine. Humanismus ist ein hohes Gut. Humanes Lernen durch humanes Lehren: Die natürliche Freude am Lernen fördern, Wissensdurst wecken und stillen. Kindern und Jugendlichen zu helfen, mögliche Scheu zu verlieren, sich in einer Sprache auszuprobieren. Hier lernen wir, wie es nicht geht.
Natürlich muss – auch – gebüffelt werden. Aber die Haltung der Autoren, die mich hier aus dem Beitrag anweht, ist fürchterlich. Aber hey, wir brauchen noch mehr ungesunde Erwachsene, die mit 20 einen Burnout haben.
Ich selbst hatte fantastische Lehrer (Gymnasium in Baden-Württemberg), die an uns glaubten und uns mochten.
OVo
Ich glaube, dass es vor allem um die Tatsache geht, dass die Fertigkeit „Sprechen“ kriteriengeleitet bewertet werden soll und es nicht für jede Äußerung die Note „gut“ gibt.
Wenn mir SuS nach 6 Jahren Fremdsprachenunterricht nur „Schulterzucken“, „Ich weiß nicht“ oder schon besser ein „I don’t know“ anbieten, oder ein „Gebrabbel“ anbieten und dies fast ausnahmslos die sprachlichen Äußerungen im Fremdsprachenunterricht sind, kann es dann dafür die Note „befriedigend“ geben? Ich habe diese Art der mündlichen Noten („Aber X… ist doch so schüchtern“) selbst als Schüler ungerecht empfunden und mich gefragt, wieso ich mich im Unterricht überhaupt anstrenge?
Ich finde den Versuch gut, den SuS Kriterien an die Hand zu geben, nach denen sprachliche Äußerungen im Unterricht bewertet werden und nutze Jochens Ausführungen selbst auch, durchaus reduziert um einige Punkte. Das Schülern der Raum gegeben werden muss, um sich sprachlich zu entwickeln, ist auch selbstverständlich und wird damit nicht ausgeschlossen oder gar unterbunden. Die aktuelle Entwicklung hin zu mehr Sprechen im Unterricht und die eingeführten Sprechprüfungen unterstreicht m.E. nur die Notwendigkeit nach mehr Mündlichkeit und kriteriengeleiteter Bewertung, die den Eigenheiten der Fertigkeit „Sprechen“ (Spontanität, etc) Rechnung trägt.
Das „strenge Bewertungen“ von den SuS selten als Motivationsschub angesehen werden ist wohl Fakt. Wirken im Umkehrschluss also „nur gute“ mündl. Noten automatisch motivierend und führen zu einer Verbesserung der mündl. Mitarbeit und des Sprechens?
Wenn eine Benotung transparent und nachvollziehbar ist, dann muss es auch möglich sein, fehlende Leistungen oder Leistungen, die eben nicht den Erwartungen entsprechen als solche zu bewerten. Die von dir angesprochene „Demotivation“ durch Mangelzensuren in der mündl. Mitarbeit ist ebenso korrekt wie die Unsinnigkeit jeden mündl. Beitrag mit der Note „gut“ zu bewerten. Wie führst du die Bewertung der Mündlichkeit durch?