… ist der Titel eines Aufsatzes von Prof. Wolfgang Butzkamm, in dem er eine Wende in der Fremdsprachendidaktik fordert. Noch immer wird die deutsche Sprache beim Erlernen einer Fremdsprache als lästiges Übel (z.B. bei der Einführung/Besprechung von Grammatik) angesehen. Man spricht zwar von „aufgeklärter“ Einsprachigkeit, aber im Grunde gilt einsprachiger Unterricht weiterhin als ideal. Referendare lernen immer noch, dass ein Wechsel ins Deutsche z.B. wegen des „Wechsels der Artikulationsbasis“ schlecht und deshalb auf das absolut nötige Mindestmaß zu beschränken sei.
Butzkamm stellt diesen überholten Vorstellungen eine ganz neue Didaktik gegenüber, die er in zwölf Thesen zusammenfasst:
These 1: Einsprachiges Unterrichten ohne Zuhilfenahme der Muttersprache ist zwar äußerlich möglich, einsprachiges Lernen aber eine innere Unmöglichkeit.
These 2: Erklärungshilfen wie Abbildungen, Tafelzeichnungen und fremdsprachige Paraphrasen können den Unterricht bereichern, funktionieren aber auch als Stützpraktiken, die verschleiern, daß die Grundannahme, die Einsprachigkeit des Unterrichts, zu revidieren ist.
These 3: Die lexikalisch-grammatische Ausdünnung der Texte und damit ihre inhaltliche Anspruchslosigkeit ist eine direkte Folge des Prinzips der Einsprachigkeit, d.h. sie ist ebenfalls nur notwendig, um dieses Prinzip zu stützen.
These 4: Muttersprachliche Verstehenshilfen, die oft beiläufig und unauffällig erfolgen können, erlauben eine frühe Verwendung gehaltvoller authentischer Texte, die in den Lehrbüchern fehlen, weil sie nicht rein fremdsprachig zu vermitteln sind.
These 5: Muttersprachliche Verstehenshilfen, richtig eingesetzt, erleichtern die funktionale Fremdsprachigkeit des Unterrichts, statt sie zu verhindern.
These 6: Muttersprachliche Verstehens- und Ausdruckshilfen, richtig eingesetzt, ermöglichen mehr echte, nicht planbare gehaltvolle Kommunikation als ein Unterricht, der auf solche Hilfen verzichtet.
These 7: Muttersprachliche Verstehenshilfen erlauben einen weitgehenden Verzicht auf die grammatische Progression der Lehrtexte, was ebenfalls die Wahl authentischer Texte erleichtert.
These 8: Die gezielte Ausnutzung lexikalischer und syntaktischer Verwandtschaften zwischen der Muttersprache und den europäischen Schulfremdsprachen fördert das Behalten und vertieft das Verständnis der Geschichtlichkeit von Sprache und Kultur.
These 9: Störende muttersprachliche Interferenzen (”I become a beefsteak” „Everbody needs today a computer“) können nie ganz vermieden, paradoxerweise aber gerade durch bilinguale Techniken verringert werden.
These 10: Ausgefeilte zweisprachige Unterweisungstechniken sind in der Schule so gut wie unbekannt.
These 11: Weniger flexible und sprachgewandte Lehrer ebenso wie lernschwache Schüler können das offiziell geforderte Prinzip der Einsprachigkeit nicht durchhalten, mit dem man es Schülern wie Lehrern unnötig schwer macht.
These 12: Jeder fremdsprachliche Zugewinn muß so tief Wurzel schlagen, daß er letztlich ohne Dazwischentreten der Muttersprache verfügbar wird.
Wolfgang Butzkamm „Muttersprache als Sprach-Mutter“ (pdf)
Zahlreiche weitere Publikationen von Prof. Butzkamm finden sich hier.
torschtl
Und schon nach dem ersten Absatz frage ich mich, wieso bei uns im Leistungskurs einzig und allein auf dem Blatt englisch gesprochen wird…
Jochen
Frag doch mal deinen LK-Lehrer, ob er von dieser Methode schon mal was gehört hat und was er davon hält. Oder bist du dann sofort bei ihm „unten durch“?
Eric Eggert
Ja, das mit der Einsprachlichkeit muss schon gegenseitig passen. Ich hab mich sprachlich auf Englisch immer ganz wohl gefühlt. Andere im Kurs („Undergroundcourse“ wie unsere Englischlehrerin immer zu sagen pflegte) fanden das ganz doof und haben sich auch strikt geweigert. Es ist irgendwo eine Geschmackssache. Für Unter- und Mittelstufe und in Grundkursen ist strikte Einsprachlichkeit des Unterrichts kein Muss. Es bringt dem Schüler einfach manchmal mehr, wenn er es auf Deutsch sagen kann und es dann gemeinsam mit dem Lehrer erarbeiten kann.
Für torschtl gilt: Lehrer auf ihre Unterrichtsmethode ansprechen wird bestenfalls mit Ignoranz gestraft. Das musste ich leidlich selbst erfahren. Im LK finde ich das aber durchaus krass.
Martin
Na toll. Klingt für mich nach Englischunterricht von Lehrern, die nicht gut Englisch können. Wenn’s zu schwierig wird, wechselt man halt einfach ins Deutsche 🙂
Zusammenfassung der Argumente von Butzkamm: Einsprachig eine Fremdsprache zu unterrichten, ist schwierig – deshalb lassen wir’s besser gleich sein.
Mittlerweile Jahrzehnte an Forschung zum Fremdsprachenerwerb haben zuvorderst die Quantität (idealerweise natürlich verbunden mit hoher Qualität) von Input als zentralen Faktor für den Erwerb/das Erlernen (ich setze hier beides bewusst gleich) von Sprache ausgemacht. Sicher bestehen über die genaue Ausgestaltung des Input und der Interaktion im Klassenraum verschiedene Ansichten – dass aber (möglichst viel) Input vorliegen muss, gilt als absolut unstrittig. Fällt eigentlich niemandem auf, dass eine zum Credo erhobene Zweisprachigkeit des Unterrichts diesen essentiellen Faktor reduziert?
Sicher wechsle auch ich als FL-Lehrer ab und zu ins Deutsche, sofern den Schülerinnen und Schülern noch die notwendige Komplexität in der Fremdsprache fehlt, um gewisse Dinge zu verstehen bzw. ausdrücken zu können. Das aber zum didaktischen Prinzip zu erheben und dadurch als ultima ratio deklarieren, halte ich für alles andere als sinnvoll.
Jochen
> Fällt eigentlich niemandem auf, dass eine zum Credo erhobene Zweisprachigkeit des Unterrichts diesen essentiellen Faktor reduziert?
Das kann niemandem aufffallen, weil es einfach falsch ist. Dadurch, dass man effizienter unterrichtet, hat man MEHR fremdsprachlichen Input und nicht weniger.
Martin
> Das kann niemandem aufffallen, weil es einfach falsch ist.
Ihre ANSICHT, dies sei falsch in allen Ehren… aber ich sehe das völlig anders… und eine belegte Tatsache ist es schonmal gar nicht.
Input ist in der Regel definiert als an den Lernenden gerichtete (Fremd-)Sprache mit kommunikativer Absicht. Eine ausgedehnte Verwendung der Muttersprache mindert die dafür zur Verfügung stehende Zeit.
Selbiges halte ich (und bei weitem nicht nur ich) grundsätzlich für schlecht.
Jochen
> Eine ausgedehnte Verwendung der Muttersprache mindert die dafür zur Verfügung stehende Zeit.
Das ist natürlich richtig, aber kein Mensch redet von „ausgedehnter Verwendung der Muttersprache“. Lies mal von Butzkamm „Lust zum Lehren, Lust zum Lernen“ (http://preview.tinyurl.com/ct7wu6s), dann verstehst du besser, was ich meine.
Jo Perrey (m.)
Butzkamm lesen! Z. B. sein Standardwerk „Aufgeklärte Einsprachigkeit“ (1973). Danach erübrigt sich manche hitzige Debatte.
Wolfgang Butzkamm
Lese jetzt erst den Blog. Lassen Sie mich noch einmal eine Meinung zurecht rücken, die mir seit den siebziger Jahren immer wieder begegnet. Martin schreibt:
„Na toll. Klingt für mich nach Englischunterricht von Lehrern, die nicht gut Englisch können. Wenn’s zu schwierig wird, wechselt man halt einfach ins Deutsche. Zusammenfassung der Argumente von Butzkamm: Einsprachig eine Fremdsprache zu unterrichten, ist schwierig – deshalb lassen wir’s besser gleich sein.“
Genau so sehen es ja auch die Schulbehörden (weltweit!), die die Einsprachigkeit in den Richtlinien verankern, um die Fremdsprache als Arbeitssprache durchzusetzen und den muttersprachlichen Wildwuchs zu verhindern. Das ist das wahre (und auch ehrenhafte) Motiv hinter der Forderung, einsprachig zu unterrichten, nicht nur in Schwellenländern mit schlecht ausgebildeten Fremdsprachenlehrern. Aber hier macht man es sich zu einfach. Hier wird mit dem falschen Mittel Druck gemacht. Butzkamm & Caldwell (2009, S. 23f.) haben dem Thema ein Kapitelchen gewidmet: „Whenever the mother tongue is mentioned there is a neurotic fear that incompetent teachers, so embarrassing to the profession, are involved , that the dams will break and the mother tongue will pour into the foreign language classrooms…Why else should a self-crippling mistake have held sway for such a long time?” Es gilt das Muttersprachenparadox zu begreifen, dass nämlich besonders am Anfang die gezielte Mitwirkung der Muttersprache zu mehr qualitativ hochwertiger fremdsprachiger Kommunikation führt als ihre ängstliche Vermeidung. Es geht um weitaus mehr als darum, hier und da ein muttersprachliches Wort einzuschieben. Es geht um erwiesenermaßen hocheffektive bilinguale Arbeitstechniken. Die Richtlinienverfasser haben das Baby mit dem Badewasser ausgeschüttet. Immer noch gilt: Abusus non tollit usum.