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Lektüre

Ich bin immer wie­der ver­blüfft, wel­che Bücher mei­ne Kol­le­gen in ihrem Unter­richt behan­deln. Stän­dig kom­men in EnPaed Anfra­gen der Art: „Wer kennt das Buch XY und hat dazu viel­leicht irgend­wel­che Mate­ria­li­en?“ Um nicht miss­ver­stan­den zu wer­den: Natür­lich ist es eine wun­der­ba­re Sache immer wie­der neue Bücher zusam­men mit Schü­lern zu ent­de­cken und sich dar­über aus­zu­tau­schen. Wer genü­gend Zeit hat und wem es Spaß macht, stän­dig neue Sachen aus­zu­pro­bie­ren, soll das natür­lich ger­ne machen dür­fen. Pro­ble­ma­tisch wird es aber, wenn man durch die zusätz­li­che Arbeit gestresst wird, kei­ne Zeit mehr für anste­hen­de Kor­rek­tu­ren hat, des­halb aus­ge­dehn­te Nacht­schich­ten ein­legt, des­halb sei­nen Unter­richt nicht mehr ver­nünf­tig vor­be­rei­ten kann, des­halb genervt in die Schu­le kommt und stän­dig über die stei­gen­de Arbeits­be­las­tung jammert. 

Selbst­ver­ständ­lich gibt es ganz unter­schied­li­che Metho­den ein Buch zu „lesen“. Das kann ein vor­wie­gend inhalt­lich fokus­sier­tes „Durch-lesen“ mit abschlie­ßen­der „Did you like?“ Plau­de­rei sein, oder aber eine inten­si­ve, ana­ly­ti­sche Unter­su­chung des Tex­tes. Für ers­te­res brau­che ich mich kaum vor­zu­be­rei­ten, zwei­te­res erfor­dert eine Men­ge Arbeit. Wer sich für ein Buch ent­schei­det, das so neu ist, dass es noch über­haupt kei­ne beglei­ten­den Mate­ria­li­en dazu gibt, soll­te sich ein­fach im Kla­ren sein, dass er aus­ge­spro­chen unöko­no­misch arbei­tet. Selbst die von den Ver­la­gen gelie­fer­ten Begleit­ma­te­ria­li­en sind von höchst unter­schied­li­cher Qua­li­tät, so dass oft trotz­dem noch genü­gend Arbeit übrig bleibt. Das Ange­bot der Ver­la­ge ist inzwi­schen jedoch so umfang­reich, dass ich nie auf die Idee käme, mir allei­ne ein Buch zu erar­bei­ten. Gerecht­fer­tigt wird die­se erheb­li­che Mehr­ar­beit mei­ner Mei­nung nach nur dann, wenn das „neue“ Buch nicht nur gleich gut oder ein biss­chen bes­ser als ein bereits „eta­blier­tes“ ist, son­dern nur wenn es wesent­lich bes­ser als alle ande­ren Alter­na­ti­ven ist. Das ist nach mei­ner Erfah­rung nur äußerst sel­ten der Fall.

In vie­len Leh­rer-Köp­fen herrscht offen­sicht­lich die (viel­leicht unbe­wuss­te) Mei­nung, dass man irgend­wie ein schlech­ter Leh­rer sei, wenn man das sel­be Buch mehr­fach behan­delt. Damit ist nun natür­lich wie­der nicht gemeint, dass man bis zum Sankt-Nim­mer­leins­tag z.B. Lord of the Flies durch­kaut, obwohl einem das Buch bereits nach dem ers­ten Mal zum Hals raus­hing. Aber was soll schlecht dar­an sein, wenn ich z.B. Mar­ga­ret Atwood’s groß­ar­ti­gen Roman The Handmaid’s Tale mehr­fach lese? Nor­ma­ler­wei­se wird mein ent­spre­chen­der Unter­richt dadurch deut­lich bes­ser und nicht schlech­ter. Wäh­rend bzw. nach dem ers­ten Durch­gang über­ar­bei­te ich mei­ne Mate­ria­li­en, Hand­outs, Tafel­bil­der, Tests etc. und notie­re mir Ideen für das nächs­te Mal. Den Schü­lern ist es schließ­lich völ­lig egal, ob ich die­ses Buch schon mal behan­delt habe oder nicht. Für sie ist ein­zig und allein inter­es­sant, ob ich es als öde Pflicht „durch­zie­he“ oder mit Enga­ge­ment und Krea­ti­vi­tät bei der Sache bin. 

Sehr merk­wür­dig fin­de ich auch Mails der Art: „Hil­fe, mei­ne Schü­ler haben sich für das Buch XY ent­schie­den und ich habe über­haupt kei­ne Mate­ria­li­en dazu. Wer kann hel­fen? Drin­gend!!!“ Wie kann es sein, dass die Schü­ler ein Buch aus­wäh­len, das der Leh­rer offen­sicht­lich über­haupt nicht woll­te? Geht hier die „Pla­nungs­be­tei­li­gung“ nicht ein biss­chen weit?

Das mit der Demo­kra­tie bei der Aus­wahl der Lek­tü­re ist ja eh‘ so eine Sache. Nach wel­chen Kri­te­ri­en sol­len die Schü­ler denn bit­te­schön aus­wäh­len? Schließ­lich ken­nen sie im Nor­mal­fall kei­nes der genann­ten Bücher. Das nahe­lie­gen­de Kri­te­ri­um ist natür­lich der Umfang, des­halb lan­det man dann z.B. immer wie­der bei „Mac­beth“. Die Bücher vor­stel­len mit Hil­fe von „book reports“ bzw. Refe­ra­ten? Man kann ja nicht ver­lan­gen, dass ein Schü­ler das gan­ze Buch dafür bereits gele­sen hat, also wird von Kind­ler oder Ama­zon abge­schrie­ben bzw. kopiert. Auf die­se Art wird jedoch aus­schließ­lich INHALT prä­sen­tiert, LITERARISCHE Aspek­te (wie z.B. ’nar­ra­ti­ve per­spec­ti­ve‘) spie­len bei die­sen „Buch­prä­sen­ta­tio­nen“ nor­ma­ler­wei­se so gut wie kei­ne Rol­le. Wenn ich schon Schü­ler „demo­kra­tisch“ mit­be­stim­men las­sen möch­te, dann aller­dings nur über Bücher, die ich ken­ne bzw. über die ich bereits Mate­ri­al habe oder zumin­dest weiß, dass es etwas Ver­nünf­ti­ges gibt. Außer natür­lich (s. oben) ich habe gaa­anz viel Zeit und gera­de nichts ande­res zu tun.

Egal, was wir gera­de lesen, ich über­prü­fe immer wie­der (z.B. in Form einer kur­zen münd­li­chen Prü­fung), ob die Schü­ler die ange­ge­be­ne Text­pas­sa­ge auch wirk­lich gele­sen haben. Nichts ist schlim­mer als wenn man anspruchs­vol­le Din­ge dis­ku­tie­ren möch­te und es stellt sich her­aus, dass ein Drit­tel der Schü­ler den Text über­haupt nicht (sorg­fäl­tig) gele­sen hat. Wie man die Lek­tü­re ganz ein­fach schrift­lich über­prü­fen kann, beschreibt norberto42.

Rein­hold Tyrach schrieb mal in EnPaed zu die­sem Thema:

Lie­be jun­ge Kol­le­gen, die Ihr Euch so um Aktua­li­tät bemüht, denkt dran: Alles, was Ihr behan­delt, ist schon längst ein alter Hut, wenn Ihr damit ange­trabt kommt. Das Ren­nen gegen das Schü­ler­ver­dikt, nicht zeit­ge­mäß genug zu sein, been­det Ihr immer nur höchs­tens auf einem ehr­ba­ren zwei­ten Platz. Ein jun­ger Kol­le­ge von mir hat gera­de damit begon­nen, in einer sei­ner Klas­sen „A Short Histo­ry of Trac­tors in Ukrai­ni­an“ zu lesen und rennt jetzt auf der Suche nach „irgend­wel­chen Arbeits­ma­te­ria­li­en, pre-/post-wat­ching tasks, acti­vi­ties, oder aehn­li­chem“ her­um, damit er weiß, was er von des­sen lite­ra­ri­schem Wert hal­ten soll und den Schü­lern sagen kann … Das Buch fin­de ich übri­gens Klas­se, aber das ist kein hin­rei­chen­des Kri­te­ri­um für die Not­wen­dig­keit, es im Unter­richt zu behan­deln. Es leben die Klassiker!

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  1. Hal­lo Jochen -

    I beg to dif­fer: ganz so zuge­spitzt wür­de ich es nicht sehen… Natür­lich gibt es etwas wie öko­no­mi­schen Umgang mit der eige­nen Arbeits­zeit (mir nicht gänz­lich unbe­kannt, ich unter­rich­te zwei Kor­rek­tur­fä­cher – Deu und Eng – fast nur in der Oberstufe ;-))
    Trotz­dem find ich es reiz­voll, neben den schon bekann­ten Tex­ten hin und wie­der was Neu­es rein­zu­neh­men, ist ja auch für den Lehr­kör­per selbst ne Her­aus­for­de­rung, der man sich mal stel­len kann (gera­de dann, wenn es noch kei­ne Mate­ria­li­en gibt). In der Regel geh ich mit mei­nem Kurs so vor: Nach einem Ein­stieg in lite­ra­ri­sche The­men meist über Kurz­pro­sa kommt irgend­wann die Ent­schei­dungs­fin­dung, die m.E. schon Züge von Demo­kra­tie tra­gen darf, zumal bei Tex­ten, die inti­mer / per­sön­li­cher wer­den, bei denen ich – über die Behand­lung sprach­li­cher / lite­ra­tur­theo­re­ti­scher Din­ge hin­aus – auch inne­re Betei­li­gung mei­ner Schü­ler erwar­te. Ich stel­le mei­nen Schü­lern dann eine Aus­wahl­lis­te von Tex­ten vor („Klas­si­ker“, aber auch neue­re und Exo­ten), die Aus­wahl­lis­te ent­hält ein paar Anga­ben zu Buch, Autor, Plot. Wenn es eine Ver­fil­mung gibt, ist auch das erwähnt (wohl wis­send, dass das unge­wünsch­te Effek­te haben kann) – eine Sequenz Buch-Film-Ver­gleich find ich immer sehr frucht­bar. Die Schü­ler wer­den auf­ge­for­dert, eige­ne Lek­tü­re­vor­schlä­ge ein­zu­brin­gen, die in die Lis­te ein­flie­ßen kön­nen (Titel, die offen­sicht­lich unge­eig­net sind, gehen natür­lich nicht rein). Wenn die Lis­te steht, dis­ku­tie­re ich mit den Schü­lern kurz die Vor- und Nach­tei­le ein­zel­ner Titel (stoff­lich, preis­lich usw. usf.). es gibt dann etwas Bedenk­zeit, ich ver­wei­se die Sch. auf die Nut­zer­re­zen­sio­nen bei ama­zon, Bar­nes & Nobles usw., die wir gele­gent­lich auch im Unter­richt bespre­chen. Dann kommt es zu einer Abstim­mung, meist wird dar­aus ne Stich­wahl. Vor­teil liegt auf der Hand: Die Sch. erle­ben Betei­li­gung an der Ent­schei­dung, sie kön­nen sich nicht mehr auf „Auf­ge­drückt­sein“ raus­re­den, und ich hab mehr Schü­ler als sonst mit grö­ße­rer inne­rer Betei­li­gung (von mir aus nenn’s intrin­si­sche Moti­va­ti­on ;-)). Schließ­lich: ich hab „Exper­ten“ (näm­lich die, die den Vor­schlag gemacht bzw. von Anfang an mit­ge­tra­gen haben)für Refe­ra­te etc.
    Zuge­ge­ben, das Ver­fah­ren klappt nicht immer gleich gut, bei ohne­hin moti­vier­ten Kur­sen bes­ser als bei ande­ren. Das lässt sich aber auch für jede ande­re Aus­wahl­me­tho­de sagen. und – es gab auch schon aus­ge­spro­chen posi­ti­ve Erfah­run­gen: in einem Kurs wur­de von einer Schü­le­rin Wal­ly Lamb „She’s come undo­ne“ (immer­hin knapp 500S.)vorgeschlagen und dann auch aus­ge­wählt, das Buch kann­te ich selbst vor­her auch noch nicht. Die Unter­richts­se­quenz war alles ande­re als erhol­sam, aber abso­lut spannend.

    Inzwi­schen erwä­ge ich zumin­dest für fol­gen­de Ganz­schrif­ten ein ande­res Ver­fah­ren: mei­ne von mir sehr geschätz­te Deutsch­kol­le­gin deckt erfolg­reich grö­ße­re Unter­richts­se­quen­zen arbeits­tei­lig ab. Ein Autor, eine Epo­che, eine Natio­nal­li­te­ra­tur etc. wird auf klei­ne Exper­ten­teams auf­ge­teilt, die ver­gleich­ba­re Auf­ga­ben­stel­lun­gen (eben auch lit­wer­atur­theo­re­ti­sche) erhal­ten, dann wird das Gan­ze auch wie­der unter ver­gleich­ba­ren Auf­ga­ben­stel­lun­gen zusam­men­ge­führt. Mein Sohn ist bei der Kol­le­gin grad durch den Kurs gegan­gen und fand das sehr berei­chernd. Ich erwä­ge es für die zwei­te Ganz­schrift (sicher nicht geeig­net für die ers­te), evtl. unter Ein­be­zie­hung eines Blogs als Platt­form. Mal sehen…

    In einem stimm ich Dir vor­be­halt­los zu: Egal wel­cher lite­ra­ri­sche Text – es wird nur gut funk­tio­nie­ren, wenn die Schü­ler spü­ren, dass ich selbst inner­lich betei­ligt und ehr­lich ange­tan von dem Text bin.

    MfG,
    Uwe

  2. Sibylle

    „Sehr merk­wür­dig fin­de ich auch Mails der Art: „Hil­fe, mei­ne Schü­ler haben sich für das Buch XY ent­schie­den und ich habe über­haupt kei­ne Mate­ria­li­en dazu. Wer kann hel­fen? Drin­gend!!!“ Wie kann es sein, dass die Schü­ler ein Buch aus­wäh­len, das der Leh­rer offen­sicht­lich über­haupt nicht woll­te? Geht hier die „Pla­nungs­be­tei­li­gung“ nicht ein biss­chen weit?“

    Ich sehe das genau­so. Na ja, das mit den Begleit­ma­te­ria­li­en der Ver­la­ge ist so eine Sache. (Jun­ge) Kol­le­gen haben oft noch den Anspruch, alles Mate­ri­al in ihrem eige­nen For­mat zu prä­sen­tie­ren, was eine Rie­sen­ar­beit ver­ur­sacht. Ande­rer­seits ist in unse­rer Fach­schaft mitt­ler­wei­le ein reger Aus­tausch an Mate­ria­li­en ent­stan­den (nicht zuletzt dank einer Ver­jün­gung des Teams), den ich sehr schät­ze. Auch Team­work zum Erar­bei­ten eines didak­ti­schen Leit­fa­dens für eine bestimm­te Lek­tü­re ist häu­fi­ger gewor­den. Ein Buch sel­ber erst zu Lesen kann einem aber letzt­end­lich nie­mand abnehmen 🙂

  3. christiane

    hi jochen,

    hast du irgend­wo auch einen link ver­steckt, wie ein guter book report aus­se­hen sollte?

    dan­ke, christiane

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