Die folgende Glosse erschien heute in der SZ (S. 16). Sie passt gut zu meinen Gedanken über Disziplin, Regeln und Strafen. (Dank an Peter Ringeisen und Hans Loibl für den Text)
Verkehrte Welt
Normalerweise geht das Klagelied so: Lehrer beschweren sich über mangelnde Disziplin bei ihren Schülern, über Lärm und Respektlosigkeit, schlechte Erziehung und fehlende Lernlust. Eltern, heißt es in der Regel, wenn es um die „Schüler von heute“ geht, nähmen ihre Verantwortung nicht mehr ausreichend wahr, delegierten ihre Probleme mit den Kindern kurzerhand an die Schule, die dann sehen müsse, wie sie mit 34 schreienden, zappelnden, demotivierten Schülern pro Klasse zurechtkomme.
Aber mitunter ist das auch ganz anders. Kürzlich auf einem Elternabend an einem Gymnasium: Zahlreiche Eltern bekennen, dass ihre Kinder daheim erzählten, sie würden sich in der Schule schlecht benehmen – laut, albern, respektlos. Würden mit U‑Hakerl auf die Lehrer zielen, ständig quatschen, herumlaufen, aus dem Fenster winken, Reise nach Jerusalem spielen. Dieselben Eltern berichten auch, dass sie ihre Kinder ermahnten und zu disziplinieren versuchten, mit Strafen drohten, klare Verbote aussprächen. Und wissen doch, dass sie damit nicht weit kommen.
Denn diese Klasse sei schon seit Jahren als laut und chaotisch bekannt, und seit Jahren wartet man auf Unterstützung durch die Schule beim Kampf gegen das schlechte Lernklima. Die Eltern schlagen regelmäßig Wochenendseminare vor oder eine Mediation, gemeinsame Gespräche zwischen Schülern, Eltern und Schulleitung, sie flehen den Klassenleiter an, doch auch etwas zu unternehmen gegen eine Klasse, von der es heißt, in ihr könne man nicht mehr unterrichten. Und was sagen Lehrer und Direktor? Man habe das im Auge, man beobachte das, man sehe das Problem auch, aber mit ein wenig gutem Zureden werde das sicher im Laufe der Zeit besser …
Fassungslose Eltern schauen einander ratlos an: Zu Hause, das ist eine Frage der geographischen Logik, kann man nur erziehen und ermahnen; Lösungen suchen muss aber doch auch die Schule! Sollten nicht geplagte Pädagogen, problembewusste Eltern und lernwillige Schüler alle an einem Strang ziehen? Die Antwort der Schule: Das kostet Zeit und Energie. Die Lösung der Schule: Sollen doch die Kinder herumschreien; der Unterricht wird durchgezogen, auch wenn keiner zuhört. Was für eine verkehrte Welt. CATHRIN KAHLWEIT
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