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Smartphone-Pädagogik

Im fol­gen­den Arti­kel (erschie­nen in der SZ vom 7.5. auf S. 2) beschäf­tigt sich Micha­el Fel­ten mit der Digi­ta­li­sie­rung des Unter­richts und den damit ver­bun­de­nen über­zo­ge­nen Erwar­tun­gen (Ver­öf­fent­li­chung mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors). 

Sehr emp­feh­lens­wert ist der Besuch von Fel­tens Päd­ago­gi­scher Palet­te und sei­ner Initia­ti­ve Unter­richts­qua­li­tät.

Smartphone-Pädagogik

Die Digi­ta­li­sie­rung der Schu­len wird von über­trie­be­nen Hoff­nun­gen begleitet.
Sie ersetzt weder gute Leh­rer noch moti­vier­te Schüler.

Die Digi­ta­li­sie­rung ist das gro­ße Ver­spre­chen in den Schu­len. Nichts, was sich dadurch nicht bes­sern soll, so expli­zi­te Ver­spre­chen wie impli­zi­te Hoff­nun­gen: die Leis­tun­gen der Schü­ler, ihre Moti­va­ti­on, viel­leicht gar die Bildungsgerechtigkeit.

Nun wird nie­mand bezwei­feln wol­len, dass unse­re Kin­der gera­de auch in der Schu­le mit digi­ta­len Medi­en kun­dig wie kri­tisch umge­hen ler­nen sol­len. Aber ein­mal abge­se­hen davon, wie zügig die Mil­li­ar­den dann dem­nächst tat­säch­lich flie­ßen und wie schnell Gerä­te und Soft­ware dann doch wie­der ver­al­ten wer­den: Steht mit der Digi­ta­li­sie­rung wirk­lich eine Bil­dungs­re­vo­lu­ti­on ins Haus? Wird man schu­li­sches Ler­nen in zehn Jah­ren allen Erns­tes nicht mehr wiedererkennen?

Vor Wahr­sa­ge­rei soll man sich ja hüten – aber eines wird sich wohl kaum ändern: dass es auf die Leh­rer ankommt – wie sie den Unter­richts­ver­lauf struk­tu­rie­ren, wel­ches Lern­kli­ma sie ent­fal­ten, wel­che emo­tio­na­le Qua­li­tät ihre Bezie­hung zu den Schü­lern hat. Das beginnt schon bei der Moti­va­ti­ons­kraft, die Lehr­per­so­nen inne­wohnt. „Der Mensch ist für ande­re Men­schen die Moti­va­ti­ons­dro­ge Num­mer eins“, urteilt der Frei­bur­ger Psy­cho­so­ma­ti­ker Joa­chim Bau­er. Und nicht das per­fek­te Arbeits­blatt, lie­ße sich hin­zu­fü­gen. Oder das Digi­ta­le an sich. Man darf sich näm­lich nichts vor­ma­chen, Inter­net und Smart­phone sind zwar für Schü­ler höchst ver­lo­ckend – aber zunächst nur für ihr lebens­welt­li­ches Trei­ben, nicht für fokus­sie­ren­de Lern­pro­zes­se. Der Reiz des Medi­ums bricht schnell zusam­men, wenn es müh­sam wird.

Die Zunft der Lehr­kräf­te ist ja ein wenig zur bedroh­ten Art gewor­den – nicht nur, weil es an Nach­wuchs man­gelt, son­dern auch wegen der modi­schen Selbst­lern­eu­pho­rie. Eine Zeit lang hat­te man ja geglaubt, Schü­ler wüss­ten selbst am bes­ten, was gut für ihren Lern­fort­schritt ist: An wel­cher Auf­ga­be sie jetzt gera­de arbei­ten wol­len, auf wel­chem Weg sie neue Zusam­men­hän­ge ent­de­cken kön­nen, wie viel Lern­zeit sie über­haupt auf­wen­den möch­ten. Eigen­ver­ant­wort­lich arbei­ten, selbst­ge­steu­ert ler­nen – so die päd­ago­gi­schen Man­tras der jün­ge­ren Vergangenheit.

Doch dann zeig­te sich: Bei selb­stän­di­ger Arbeit las­sen vie­le Schü­ler schwe­re­re Auf­ga­ben zu oft links lie­gen, mit enge­rer Anlei­tung hät­ten sie die viel­leicht gelöst. Und beim Sta­tio­nen­ler­nen, das funk­tio­niert wie das Zir­kel­trai­ning im Sport, sind die Jugend­li­chen zwar bes­ten­falls stän­dig beschäf­tigt, stel­len aber ohne Dis­kus­si­on nur sel­ten gedank­li­che Zusam­men­hän­ge zwi­schen den ein­zel­nen Stoff­por­tio­nen her. Kin­der in der Puber­tät ver­lie­ren bei über­trie­be­ner Unter­tei­lung einer Auf­ga­be die Ori­en­tie­rung, und sogar Ober­stu­fen­schü­ler sind ohne Leh­rer schnell überfordert.

Beson­ders pikant: Die Selbst­lern­eu­pho­rie geht zu Las­ten gera­de der schwä­che­ren Schü­ler. Denn struk­tur- und bezie­hungs­ar­mer Unter­richt benach­tei­ligt Kin­der aus bil­dungs­fer­ne­ren Schich­ten in beson­de­rem Maße. In ihrem Her­kunfts­mi­lieu gilt Selbst­be­stim­mung eher wenig, wes­halb gera­de sie eines direkt ange­lei­te­ten, aber auch gedul­di­gen und ermu­ti­gen­den Unter­richts bedür­fen. Sonst bleibt ihnen der schu­li­sche Auf­stieg erschwert bis ver­wehrt, so eine nach wie vor aktu­el­le War­nung des Erzie­hungs­wis­sen­schaft­lers Her­mann Giesecke.

Und nicht nur Unter­schichts­kin­dern erwach­sen Pro­ble­me aus vor­ei­li­ger Eigen­ver­ant­wort­lich­keit. Psy­cho­ana­ly­ti­ker wie Neu­ro­bio­lo­gen kri­ti­sie­ren am leh­rer­ar­men Ler­nen etwas Prin­zi­pi­el­les: Dass es die Her­an­wach­sen­den des mensch­li­chen Gegen­übers berau­be, der für sie Spie­ge­lung und Her­aus­for­de­rung zugleich beinhal­te. Über­haupt ent­fällt beim ato­mi­sier­ten Selbst­ler­nen eine emi­nent wich­ti­ge Funk­ti­on des Schu­li­schen, das Sozia­li­sie­ren­de. Und letzt­lich ist die viel beschwo­re­ne Selb­stän­dig­keit ja ein hal­bes Fake: Alles ist doch bereits vor­ge­dacht, her­aus­for­dern­de Pro­blem­stel­lun­gen und unge­plan­te Lösungs­we­ge sind kaum vorgesehen.

Die jün­ge­re empi­ri­sche Bil­dungs­for­schung hat denn auch die schu­li­sche Selbst­lern­eu­pho­rie erheb­lich abge­bremst. Die der­zeit welt­größ­te Daten­ba­sis zu Unter­richts­ef­fek­ten, die XXL-Meta­stu­die „Visi­ble Lear­ning“ des neu­see­län­di­schen For­schers John Hat­tie, besagt näm­lich: Im Ver­gleich zur durch­schnitt­li­chen Lern­pro­gres­si­on (Effekt­stär­ke 0,4) erzie­len gelenk­te Unter­richts­ver­fah­ren wie direk­te Instruk­ti­on (0,59) oder Klas­sen­dis­kus­sio­nen (0,82) attrak­tiv hohe Wer­te, wäh­rend Indi­vi­dua­li­sie­rung (0,21) oder Frei­ar­beit (0,04) höchst beschei­den abschnei­den. Im Schü­lers­lang kom­men­tiert: „Ist ja der Hammer!“

Der Erzie­hungs­wis­sen­schaft­ler Ewald Ter­hart drückt sich nüch­ter­ner aus: Hat­ties Daten wür­den den akti­ven, domi­nan­ten, reden­den Leh­rer reha­bi­li­tie­ren, der aber auch genau wis­se, wann er zurück­tre­ten und schwei­gen muss. „Die Per­spek­ti­ve auf den Unter­richt ist leh­rer­zen­triert. Im Zen­trum steht ein Leh­rer, für den aller­dings sei­ne Schü­ler im Zen­trum ste­hen.“ Und nicht nur empi­ri­sche Bil­dungs­for­scher, auch moder­ne Kogni­ti­ons­psy­cho­lo­gen wie Els­beth Stern sehen den Leh­rer kei­nes­wegs im Abseits, son­dern for­dern sein Len­kungs­han­deln gera­de­zu heraus.

Die­ser Befund hat Prak­ti­ker nicht wirk­lich über­rascht, man­chen Visio­när in geho­be­ner Posi­ti­on indes beun­ru­higt – wes­halb die Bot­schaft viel zu lang­sam ihre Krei­se zieht. Sagen wir’s des­halb noch mal kurz und kna­ckig: Schü­ler, denen der Leh­rer bei­bringt, wie man Pro­ble­me löst, pro­fi­tie­ren nach Hat­tie – salopp gesagt – vier­mal so stark wie Ler­nen­de, die man ledig­lich mit Pro­ble­men kon­fron­tiert, die sie dann in Eigen­re­gie lösen müs­sen. Inter­es­san­ter­wei­se beein­flusst es übri­gens die Lern­wirk­sam­keit kaum, ob Inter­net zur Ver­fü­gung steht oder nicht.

Nun, die digi­ta­le Auf­rüs­tung wird kom­men, es sind ja auch außer­päd­ago­gi­sche Inter­es­sen im Spiel – aber das wird das Anthro­po­lo­gi­sche nicht umkrem­peln. Wie beim Ler­nen mit Krei­de und Schie­fer­ta­fel wird es dar­auf ankom­men, dass Leh­rer Per­so­nen sind, die das Digi­ta­le als sinn­vol­le Ergän­zung des Unter­richts ein­set­zen, nicht aber als Ersatz für sich selbst. Üben und Anwen­den kann dann für Schü­ler reich­hal­ti­ger und indi­vi­du­el­ler wer­den, Ein­sich­ten las­sen sich viel­fäl­ti­ger ver­tie­fen, es gibt mehr Mög­lich­kei­ten für das oft noch unter­ent­wi­ckel­te Feed­back. Ein selbst­ge­steu­er­tes Erar­bei­ten neu­er Zusam­men­hän­ge aber wird pro­ble­ma­tisch bleiben.

Und in einer Hin­sicht wird der Leh­rer zusätz­lich gefragt sein, denn die neu­en Medi­en for­dern eine ganz neue Kon­troll­in­ten­si­tät. Schließ­lich ist ihr Ablen­kungs­po­ten­zi­al kaum zu bän­di­gen, las­sen sie die Her­an­wach­sen­den doch stän­dig vom Ler­nen ins Pri­va­te abglei­ten, zu ihren Spie­len, Chats, Vide­os. Die sind näm­lich alle­mal inter­es­san­ter als For­meln oder Farbkontraste.

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Shut up and Dance – Quatschen auf Milongas

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HW The iRabbit

  1. Groß­ar­ti­ger Bei­trag, der mir aus der Leh­rer­see­le spricht.

  2. Wolfgang

    Spricht mir im Prin­zip auch aus der See­le. Ein sol­cher Leh­rer darf aber durch­aus auch mit der Zeit gehen und muss sich nicht digi­ta­len Medi­en ver­wei­gern. Was Hat­ties Stu­die näm­lich auch sagt, ist dass Digi­ta­li­sie­rung ohne die ent­spre­chen­de Leh­rer­pro­fes­sio­na­li­tät bes­ten­falls eine Null­num­mer ist. Sie aber des­we­gen nur nega­tiv zu sehen, hal­te ich für falsch.

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