Früher Englisch & Sport am Gymnasium - Jetzt nur noch Tango!

Das neue bayerische Englisch-Abitur

Im Zusam­men­hang mit Bay­erns Rück­kehr zum G9 war/ist stän­dig die Rede von „ver­tief­tem“ bzw. „nach­hal­ti­gem“ Ler­nen, das „hohen Qua­li­täts­stan­dards“ genü­gen soll. Da ist man natür­lich gespannt, wie sich die­ser hohe Anspruch in den neu­en Abitur­be­stim­mun­gen (pdf) niederschlägt. 

Bei den Ques­ti­ons on the text geht es schon mal in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Zwar kann in Zukunft die „maxi­ma­le Text­län­ge von ca. 1000 Wör­tern erreicht wer­den“ (Anla­ge 1, S. 3), dafür wer­den künf­tig „in der Regel nur noch zwei […] Auf­ga­ben zur Bear­bei­tung gege­ben“ (a.a.O.). Jetzt fragt man sich natür­lich, wel­che Art von Fra­ge auf der Stre­cke blei­ben wird. Ich tip­pe auf die drit­te Fra­ge, denn das war bis­lang die ein­zi­ge, bei der der Schü­ler etwas WISSEN muss­te, näm­lich zum Bei­spiel Stil­mit­tel oder Erzähl­per­spek­ti­ven. Nach­dem Wis­sen schon seit län­ge­rem in Ober­stu­fen­klau­su­ren nicht mehr abge­prüft wer­den darf, wäre es nur kon­se­quent, wenn auch die letz­ten Res­te von Wis­sen aus dem Abitur getilgt wer­den wür­de. Das Ergeb­nis ist dann offen­bar ein voll­stän­dig „kom­pe­tenz­ori­en­tier­tes“, sprich wis­sens­frei­es Abitur.

Über die Tat­sa­che, dass in Zukunft das Ver­hält­nis von Inhalt/Sprache auch bei den Fra­gen 40/60 sein wird, kann man geteil­ter Mei­nung sein. Mei­ner Mei­nung nach ist es ein wei­te­rer Niveau­ver­lust, denn die impli­zi­te Bot­schaft lau­tet (wie beim Auf­satz): „Der Inhalt ist nicht so wich­tig.“ Auf der ande­ren Sei­te kann man dar­in aber genau­so (wie das KM) eine „Auf­wer­tung der sprach­li­chen Leis­tung“ sehen (Anla­ge 2, S. 2–3).

Ein ähn­li­ches dum­bing down gibt es auch beim Com­po­si­ti­on:

Ein The­ma mit star­kem lan­des­kund­li­chen Bezug (bis­he­ri­ges „(5/5)-Thema“) wird nicht mehr gestellt. (Anla­ge 1, S. 3)

Unklar ist, was hier mit „lan­des­kund­li­chem Bezug“ gemeint ist, denn es ging ja fast immer um einen LITERARISCHEN Bezug, wie z.B. 2017 II, The­ma 3:

Descri­be the way a con­flict with far-rea­ching con­se­quen­ces is dealt with in a LITERARY WORK by an Eng­lish-spea­king author. […]

Die Abschaf­fung die­ses The­mas ist kon­se­quent, denn zur Bear­bei­tung eines sol­chen The­mas muss/müsste ein Schü­ler ja wie­der etwas wis­sen und das ist bekannt­lich nicht mehr erwünscht, obwohl die The­men selbst­ver­ständ­lich auf der Grund­la­ge von „Wis­sen und Erfah­run­gen“ (a.a.O.) bear­bei­tet wer­den sollen.

Bedroh­lich klingt fol­gen­de Bestimmung:

Die zur Aus­wahl gege­be­nen The­men umfas­sen nach wie vor, wenn the­ma­tisch mög­lich, einen Bildimpuls.

Das könn­te bedeu­ten, dass es in Zukunft noch mehr „The­men“ in der Art der fürch­ter­li­chen HSBC Anzei­ge (2017 II, The­ma 4) geben wird. Es könn­te aber auch bedeu­ten, dass in Zukunft nor­ma­le The­men noch zusätz­lich mit einem Bild/Photo „visua­liert“ wer­den. Das wür­de dann gut zur all­ge­mei­nen Läp­pi­sie­rung des Abiturs passen.

Beim Auf­satz wird künf­tig „der erwar­te­te Umfang der Schü­ler­leis­tung“ nicht mehr genannt, er soll aber nicht „unter 250 Wör­tern“ lie­gen. War­um sagt man dem Schü­ler nicht mehr, was erwar­tet wird, wenn man doch eine ganz genaue Vor­stel­lung davon hat? War­um nicht ein­fach statt dem bis­he­ri­gen „Wri­te about 200 to 250 words“ in Zukunft ein­fach „Wri­te at least 250 words“? Dass man aller­dings auch mit „min­des­tens 250 Wör­tern“ kei­nen annä­hernd ver­nünf­ti­gen Auf­satz, geschwei­ge denn eine „dif­fe­ren­zier­te Stel­lung­nah­me“ mit einer „strin­gen­ten Dar­stel­lung“ hin­kriegt, habe ich bereits an ande­rer Stel­le beschrieben.

In Zukunft wird es auch in Klau­su­ren rich­tig schwie­rig eine vor­schrifts­ge­mä­ße Auf­ga­be zur Sprach­mitt­lung zu stel­len, denn:

Expli­zi­te Len­kungs­fra­gen wer­den nicht mehr gestellt, jedoch wer­den die Schü­le­rin­nen und Schü­ler durch die For­mu­lie­rung der situa­ti­ven Ein­bet­tung ein­deu­ti­ge Bear­bei­tung­s­chwer­punk­te erken­nen kön­nen. (Anla­ge 1, S. 4)

Die „situa­ti­ve Ein­bet­tung“ war in den letz­ten Jah­ren häu­fig ein „inter­na­tio­na­les Schul­pro­jekt“ für des­sen „Inter­net­auf­tritt“ man einen Text ver­fas­sen soll­te (vgl. 2015 und 2017). Wie zum Teu­fel soll man dar­aus „ein­deu­ti­ge Bear­bei­tungs­schwer­punk­te“ erken­nen kön­nen? Tut mir leid, aber ich bin ein­fach zu doof um einer­seits auf „expli­zi­te Len­kungs­fra­gen“ zu ver­zich­ten und gleich­zei­tig die „situa­ti­ve Ein­bet­tung“ so zu for­mu­lie­ren, dass die „Erkennt­nis­zie­le [?] der Sprach­mitt­lung unschwer zu erken­nen sind“ (Anla­ge 2, S. 6).

Auch bei die­sem Prü­fungs­teil wird aus uner­find­li­chen Grün­den der „erwar­te­te Umfang der Schü­ler­leis­tung nicht mehr ange­ge­ben“, obwohl es eine ganz kon­kre­te „Maß­ga­be“, näm­lich „etwa ein Drit­tel der ursprüng­li­chen Text­län­ge“, gibt. Wie die­ses Zurück­hal­ten ganz ent­schei­den­der Infor­ma­tio­nen mit den sons­ti­gen For­de­run­gen nach trans­pa­ren­ter Auf­ga­ben­stel­lung zusam­men­passt, bleibt ein Geheim­nis. Denn schließ­lich müs­sen in Zukunft die Schü­ler bei Leis­tungs­er­he­bun­gen „auf dem Anga­ben­blatt über die Wer­tig­keit der ein­zel­nen Auf­ga­ben­tei­le, auch von Teil­auf­ga­ben, in Form einer pro­zen­tua­len Anga­be in Kennt­nis gesetzt wer­den“ (Anla­ge 2, S. 5).

Wie so oft wäre es schön, wenn man erfah­ren wür­de, WARUM bewähr­te Din­ge plötz­lich nicht mehr gemacht wer­den sol­len bzw. sogar expli­zit ver­bo­ten wer­den. Hat sich die KMK dar­auf geei­nigt, Schü­lern nicht mehr zu sagen, wel­cher Umfang kon­kret von ihnen ver­langt wird? Ist es ein Kom­pro­miss mit ande­ren Bun­des­län­dern bei der Media­ti­on nicht mehr expli­zit zu sagen, wor­auf es inhalt­lich eigent­lich ankommt? Man wüss­te es so gerne …

Die Arbeits­zeit beträgt in Zukunft 300 Minu­ten, auf das schrift­li­che Abitur ent­fal­len dabei – man mag es kaum glau­ben – 270 (!) Minu­ten. Laut KMS ist das eine „mode­ra­te Anglei­chung […] der Gesamt­ar­beits­zeit“. Zur Erin­ne­rung: Noch 2015 betrug die Arbeits­zeit für das schrift­li­che Abitur 190 Minu­ten. Im Jahr 2016 gab es plötz­lich (gro­tes­ke) 50 Minu­ten mehr, ohne dass irgend­was geän­dert bzw. schwe­rer gemacht wur­de. Und nun sol­len es noch mal 30 Minu­ten mehr sein, obwohl das Abitur sogar kür­zer und damit leich­ter wird. Theo­re­tisch könn­ten Schü­ler jetzt so ziem­lich jedes Wort im Lexi­kon nach­schla­gen ohne in Zeit­not zu gera­ten. Wer­den sie natür­lich nicht tun, denn das wäre ja Arbeit. Sie wer­den (wie schon in den letz­ten bei­den Jah­ren) vor­zei­tig abge­ben oder Löcher in die Luft starren.

Eine mas­si­ve Erleich­te­rung des Abiturs liegt schließ­lich in der Absen­kung des Schwel­len­wer­tes für die Note 4 bzw. 4 Punk­te von bis­lang 50% auf 40% (Anla­ge 2, S. 1).

Fazit: Durch Ver­zicht auf eine Fra­ge, eine wei­te­re absur­de Ver­län­ge­rung der Arbeits­zeit und die Absen­kung des Schwel­len­werts wird das baye­ri­sche Eng­lisch-Abitur wei­ter mas­siv ent­wer­tet und verwässert.

Aber es gibt auch noch ande­re High- bzw. Lowlights.

Ori­gi­nell ist z.B. die Bestim­mung, was nach der Hör­ver­ste­hens-Prü­fung gesche­hen soll:

… auf einen Aus­tausch der ein­zel­nen Schü­ler­lö­sun­gen soll­ten die Schü­le­rin­nen und Schü­ler im Sin­ne einer unbe­schwer­ten [!] Bear­bei­tung der ab 9:00 Uhr gefor­der­ten Prü­fungs­tei­le ver­zich­ten. (Anla­ge 1, S. 2)

Dass Schü­ler das Abitur „unbe­schwert“ able­gen sol­len, war mir bis­lang nicht klar. Die­se Bestim­mung wird sicher­lich Aus­wir­kun­gen auf die nor­ma­len Klau­su­ren in der Ober­stu­fe haben. Auch da wird der Leh­rer in Zukunft wohl in der Pflicht ste­hen für eine „unbe­schwer­te“ Atmo­sphä­re zu sor­gen. Ich sehe die Kol­le­gen schon mit Gum­mi­bär­chen und Scho­ko­rie­geln anrücken …

Zwei­tens fragt man sich natür­lich, wie man die­se Bestim­mung kon­kret umset­zen soll. Schü­ler ein­zeln in die Turn­hal­le schi­cken? In Klein­grup­pen mit einem Leh­rer, der auf­pas­sen muss, dass sie ja nicht …?

Völ­lig welt­fremd sind m.E. auch die Emp­feh­lun­gen in Bezug auf ein­spra­chi­ge Wör­ter­bü­cher:

Es wird gebe­ten, den Schü­le­rin­nen und Schü­lern bereits vor­aus­schau­end zu Beginn der Jahr­gangs­stu­fe 10 […] im Unter­richt anhand von Bei­spie­len den gro­ßen Wert beson­ders ein­spra­chi­ger Wör­ter­bü­cher für die Bear­bei­tung kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Auf­ga­ben dar­zu­stel­len. (Anla­ge 1, S. 5)

Das, was nicht mal mehr in der 12ten geht, soll jetzt schon zu Beginn der 10ten funk­tio­nie­ren? Das ist ein­fach lächer­lich. Mit der Ein­füh­rung des zwei­spra­chi­gen Wör­ter­buchs hat man das ein­spra­chi­ge gekillt – ganz egal was es für einen (in der Tat) „gro­ßen Wert“ hat. Für mich ist es ein Zei­chen des gras­sie­ren­den Ein­spra­chig­keit-Wahns, dass man ein­fach nicht zur Kennt­nis neh­men will, dass Schü­ler, wenn sie die Wahl haben, immer im ZWEI­spra­chi­gen Lexi­kon nach­schla­gen wer­den, weil sie nur auf die­se Art ein unbe­kann­tes Wort wirk­lich verstehen.

Alles in allem bin ich froh, dass mich die­ser gan­ze Quatsch nur noch peri­pher tan­gie­ren wird. Über 30 Jah­re lang war ich ger­ne Leh­rer, vor allem die Ober­stu­fe war mei­ne Lei­den­schaft. Weh­mü­tig den­ke ich inzwi­schen an mei­ne groß­ar­ti­gen LKs zurück, in mei­nem Blog fin­den sich ja noch vie­le Zeug­nis­se in Form von Fach­ar­bei­ten, Auf­sät­zen, Gedich­ten usw. In all den Jah­ren war ich stolz auf „unser“ baye­ri­sches Abitur (auch wenn ich z.B. die E‑D Trans­la­ti­on schlecht fand) und die Leis­tun­gen „unse­rer“ Schü­ler. Mit dem G8 setz­te dann aber ein bei­spiel­lo­ser Nie­der­gang ein. Die neu­en Bestim­mun­gen sind ein neu­er trau­ri­ger und pein­li­cher Tief­punkt, aber die Ent­wick­lung ist, den­ke ich, noch lan­ge nicht been­det. Man kann ja z.B. den Schwel­len­wert noch wei­ter absen­ken. Wie wäre es mit 33%, das war bis­lang die Gren­ze zur 5? Oder, falls das immer noch nicht die gewünsch­ten guten Ergeb­nis­se bringt, auf 25% oder 20%? Da ist doch noch Luft nach oben bzw. unten …

Zurück

„Der Einsatz digitaler Medien allein macht noch keinen guten Unterricht“

Nächster Beitrag

HW Do you speak Schulenglisch?

  1. Supersansa

    Oh Gott, das klingt ja wirk­lich übel. Vie­len Dank für die Zusammenfassung.

    • Ich habe mich nur auf die m.E. wich­tigs­ten Punk­te beschränkt. Es gibt noch vie­le wei­te­re ärger­li­che bzw. bizar­re Bestim­mun­gen, wie z.B. die Anga­be der Wer­tig­keit in Pro­zent (statt wie bis­her in BE), die neue Bewer­tung mit der 15er Ska­la usw.

      • Supersansa

        Ich bin mir sicher, mit den ande­ren Punk­ten wer­de ich nach mei­ner Eltern­zeit Bekannt­schaft machen…zusammen mit dem G8/­G9-Cha­os, das dann aus­bre­chen wird.
        Dass die Schwel­le zur 4 auf 40% abge­senkt wird, erschüt­tert mich tat­säch­lich sehr. Was für eine Entwertung.

  2. simone schmidt

    Hal­lo
    Ich war bei Ihnen im Ref 2007/2009 (und habe jedes Wort zur Ober­stu­fe auf­ge­saugt. Es war so hilf­reich und ler­nens­wert. Jetzt sit­ze ich an einer Klau­sur für die Q11 Media­ti­on und weiß nicht, was ich da für Fra­gen machen soll bzw wie man das bewer­tet??? Will­kür? das Sche­ma mit den 15 Punk­ten ist eine Frechheit!!!

    • > das Sche­ma mit den 15 Punk­ten ist eine Frechheit!!!

      Stimmt, es wird eine Trenn­schär­fe vor­ge­spie­gelt, die ein­fach nicht vor­han­den ist. Die Media­ti­on war ja schon bis­her schwer zu bewer­ten (vgl. https://www.jochenlueders.de/?p=8393) und man hat­te gro­ße Mühe bei Beschwer­den eine Punkt­zahl „objek­tiv“ zu begrün­den. Mit der 15-er Ska­la ist das jetzt nur noch eine Far­ce. Die (erwünsch­te) Fol­ge ist, dass auch bei der Media­ti­on nur noch vie­le Punk­te bzw. gute Noten raus­kom­men. Von daher ist es kei­ne „Will­kür“, son­dern ein Teil der „Run­ter-Dum­men“ Stra­te­gie (vgl. https://www.jochenlueders.de/?p=14242).

      Viel Kraft und gute Ner­ven für die wei­te­re Berufs­tä­tig­keit, ich hab’s Gött­in­Sei­Dank bald geschafft.

Schreibe einen Kommentar zu simone schmidt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén