In einem früheren Artikel habe ich schon mal beschrieben, wie mein ideales Abitur aussähe. Im Folgenden beschreibe ich, was ich, wenn ich könnte, alles im Englischunterricht der Oberstufe ändern würde:
„Klausurausgaben“ von Lexika
Als erstes würde ich diesen unsäglichen Quatsch mit den „Klausurausgaben“ von Wörterbüchern abschaffen.
Info für Nicht-Bayern: Seit ein paar Jahren dürfen in Bayern in schriftlichen Prüfungen und vor allem im Abitur nur noch spezielle „Klausurausgaben“ verwendet werden, wie z.B. das Oxford-Klausur Wörterbuch (Amazon). Diese Lexika verzichten „bewusst auf Zusatzinfos und Merkkästen“, also auf genau die extrem hilfreichen „Usage Notes“ wie z.B. Collocations, Synonyms, British / American, Word Families, Which Word?, Grammar Point, Language Bank, More About etc. Diese Infos gab es bis vor wenigen Jahren ja nur in den einsprachigen „Learner’s Dictionaries“, dann endlich finden sie den Weg auch in die zweisprachigen Lexika und jetzt müssen die Verlage Lexika herstellen, die all diese Elemente NICHT enthalten. Nicht mehr enthalten sein dürfen weiterhin die verschiedenen „How to …“ Anleitungen, die sich früher in der Mitte der Lexika befanden.
Theoretisch soll ein Schüler sich jetzt ein Lexikon zweimal kaufen, einmal in der normalen und dasselbe Lexikon nochmal in der Klausur-Ausgabe. Bei einem Preis von ca. 20 € pro Exemplar eine originelle Idee. Ach ja, und dasselbe auch nochmal für das einsprachige Wörterbuch, denn mit dem soll er eigentlich auch arbeiten (macht natürlich kein Mensch), aber im Abitur halt auch nur in einer „bereinigten“ Version.
Eine Folge dieses Irrsinns ist, dass wir in schöner Regelmäßigkeit aktualisierte Listen von zugelassenen Wörterbüchern bekommen und man beim Abitur aufpassen muss, dass kein Schüler eine Ausgabe „mit inkorporiertem Writing und Speaking Tutor“ verwendet, denn die ist für „Prüfungszwecke nicht genehmigt“.
So weit ich weiß, gibt es diese bizarre Regelung in keinem anderen Bundesland. Ich hoffe mal, dass im Rahmen des länderübergreifenden Abiturs irgendein bayerischer Vater gegen die offensichtliche Benachteiligung bayerischer Schüler klagt („Schüler aus anderen Bundesländern dürfen bessere Lexika benutzen.“) und ein Gericht dem Ganzen ein Ende bereitet.
Funktionale Zweisprachigkeit
Über den derzeit grassierenden Einsprachigkeitswahn habe ich ja schon des öfteren geschrieben (z.B. hier und in diesem Beitrag), es ist höchste Zeit, dass wir davon wieder wegkommen. Damit es nicht so aussieht, als ob man einen Fehler gemacht hätte, müssen wir ja nicht zur „aufgeklärten Einsprachigkeit“ zurückkehren, es darf ruhig ein neuer, coolerer Begriff erfunden werden, Hauptsache, es verändert sich was in den Köpfen.
Mir gefällt z.B. „funktionale Zweisprachigkeit“. Ich weiß, den Begriff gibt es bereits mit einer anderen Bedeutung, aber die Bedeutung von Begriffen kann sich ja auch ändern. „Funktional“ soll bedeuten, dass der Gebrauch des Deutschen natürlich kein Selbstzweck ist, sondern lediglich eine dienende Funktion hat: Wir sprechen manchmal Deutsch um mehr und vor allem BESSERES Englisch zu sprechen. Mehr dazu in diesem Buch (Amazon) oder auf der Website von Prof. Butzkamm.
„Ja, lieber Kollege da draußen im Lande, du darfst in Zukunft bei der Semantisierung von Wörtern deinen Schülern auch wieder sagen, was das Wort auf Deutsch bedeutet. Und du musst es sogar, wenn es um Bedeutungsnuancen geht. Und du solltest (zumindest kompliziertere) Grammatik in Zukunft erstmal auf Deutsch erklären, auf Englisch kannst du es danach ja immer noch tun. Wie sonst willst du denn deinen Schülern, die keine Ahnung von Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt haben, den Unterschied zwischen „simple past“ und „present perfect“ erklären? Und du darfst sogar – jetzt bitte nicht ohnmächtig werden – Wortschatz auch deutsch – englisch abprüfen, natürlich nicht mehr wie in Opas Zeiten als Wortgleichung ‚to put = setzen, stellen, legen‘, sondern als Kollokation oder idiomatischen Ausdruck wie z.B. ’sich über ein Politiker lustig machen‘, ‚Gefühle hervorrufen‘, ‚auf einen Film anspielen‘ usw. “
Rehabilitation der Übersetzung
Es ist m.E. auch höchste Zeit die Übersetzung (und zwar in beiden Richtungen) wieder zu rehabiliteren und ihr einen angemessenen Platz im Unterricht einzuräumen. Wohlgemerkt möchte ich sie NICHT als schriftliche Prüfungsform, ich bin froh, dass die englisch-deutsche Translation endlich nicht mehr Bestandteil des Abiturs ist. Und ja doch, zusammenfassendes Sprachmitteln ist eine wichtige Kompetenz, aber dieses Mediations-„Passt schon“-Wischiwaschi kann doch nicht alles sein. Ein „prägnanter Ausdruck“ ist nicht einfach ein „good expression“, je nach Zusammenhang ist er „concise / pithy / terse“. Und die feinen Bedeutungsunterschiede zwischen diesen Wörter kann ich auch nur auf Deutsch klarmachen. Und wie will ich die Schönheit und Komplexität eines Shakespeare Sonetts erfassen, wenn ich nicht selber mal versuche, wenigstens ein paar Zeilen ins Deutsche zu übersetzen, bzw. das Original mit einer (besser zwei) Übersetzung(en) vergleiche?
Kontextualisierte Wortschatztests
… stehen ganz oben auf meiner To-Abolish Liste. Die Gründe habe ich in diesem Beitrag beschrieben. In Zukunft darf man Wortschatz auch wieder in Phrasen / Kollokationen und sinnvollen Einzelsätzen abprüfen und muss sich keine Geschichte mehr aus den Fingern saugen (die eh niemand interessiert).
UNreine Kompetenzen
Das Kompetenz-Gedöns ist inzwischen an einigen Stellen völlig aus dem Ruder gelaufen und hat m.E. zu unsinnigen Regelungen geführt. So dürfen bei Hörverstehens-Prüfungen in Bayern Rechtschreibfehler nur noch geahndet werden, wenn sie „sinnentstellend“ sind. So lange der Schüler (mit viel gutem Willen) das Richtige „gemeint“ hat, soll der Punkt gegeben werden. Grund: Man will die „reine“ Hörverstehens-Kompetenz überprüfen und die soll nicht mit anderen Kompetenzen vermischt werden.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Der Schüler hätte in eine Lücke „attacked“ reinschreiben sollen. Was lässt man jetzt alles noch gelten: atacked, ataked, atakt, attagt, atagged, a tagged …? Die Subjektivität, die man der Vergleichbarkeit zuliebe, verbannen wollte, kommt einfach durch die Hintertür wieder rein, denn der eine Lehrer kann in „atakt“ kein HörVERSTEHEN mehr erkennen, während der andere „nur“ einen Rechtschreibfehler sieht, den er nicht „ahnden“ will bzw. darf.
Meiner Meinung nach sollte man in Zukunft auch bei Hörverstehen wieder (wie sonst üblich) mit halben Fehlern für Rechtschreibfehler arbeiten dürfen, alternativ gibt es pro Lücke zwei Punkte, und man gibt bei Rechtschreibfehlern einen Fehler bzw. zieht einen Punkt ab.
Woher kommt eigentlich plötzlich dieser Wunsch nach „reinen“ Kompetenzen, wo doch jeder weiß, dass es die im „richtigen“ Leben (auf das wir unsere Schüler vorbereiten wollen) nicht gibt? Der Grund ist natürlich die um sich greifende Testeritis (Pisa, VERA & Co) und der damit einhergehende Wunsch nach Vergleichbarkeit von Testergebnissen. Sollen wir unseren „gymnasialen Anspruch“ (dem zumindest in Bayern bis vor gar nicht allzu langer Zeit bedingungslos gehuldigt wurde) der Vergleichbarkeit von Tests opfern?
Nehmen wir als Beispiel unsere bewährten (bayerischen) „Questions on the text“. Die gehen ja eigentlich gar nicht mehr, denn da werden munter verschiedenste Kompetenzen gleichzeitig abgeprüft: Leseverstehen, Textanalyse und Schreibkompetenz (um nur mal die wichtigsten zu nennen). Genau diese Komplexität wird zwar auch später an der Universität gefordert (wenn nicht eh nur noch Multiple Choice Tests „geschrieben“ werden), aber egal, das interessiert niemanden. Kann der Schule ja egal sein, wenn die angehenden Studenten vor dem eigentlichen Studium erstmal Einführungskurse absolvieren müssen, in denen ihnen die absoluten Basics beigebracht werden. Wir trennen lieber munter unsere Kompetenzen und ersetzen wohl bald „Questions on the text“ (wie in Baden-Württemberg bereits geschehen) durch einen „Reading Comprehension“ Test, bei dem nur noch angekreuzelt werden muss, bzw. einzelne Wörter in Lücken eingesetzt werden müssen. Selbstverständlich werden in diesem Teil, Rechtschreibfehler auch nicht geahndet, denn das wäre ja schon wieder Schreibkompetenz.
Ziel all unserer Bemühungen ist bekanntlich die „hohe Qualität [des modernen Fremdsprachenunterrichts] zu sichern und stetig weiterzuentwickeln“. (Kultusminister Spaenle Quelle)
Herr Rau
All diesen Wünschen schließe ich mich an.
Außerdem mag ich die Version. Ich weiß nur nicht, in welchem Fach man sie prüfen sollte – das ist eine fächerübergreifende Aufgabenform, die eher noch zu Deutsch als zu Englisch passt.
Jochen
> Ich weiß nur nicht, in welchem Fach man sie prüfen sollte
Ich möchte sie gar nicht prüfen müssen. Es würde mir völlig reichen, wenn sie einfach nur Teil des Unterrichts wäre.
Wolfgang Butzkamm
Danke für Ihren erneuten Hinweis auf die dringend notwendige Revision des Prinzips der Einsprachigkeit. Der Paradigmenwechsel – um nichts weniger handelt es sich – ist noch längst nicht in den Köpfen angekommen. Ich arbeite z.Zt. mit Asylbewerbern
Mit einem konsequent zweisprachigen Ansatz (etwa mit „books in 2 languages“ vom Goethe-Verlag) geht es gleich zur Sache und man kommt viel schneller vorwärts. Wo man mangels Materialien alles auf Deutsch machen muss, ist das frustrierend langsam und umständlich. Diese Berlitzerei! Dagegen enorm hilfreich, wenn etwa Afrikaner schon etwas Französisch mitbringen. Jeder möge doch selbst ein wenig mithelfen und die Probe aufs Exempel machen. Englischlehrer merken gar nicht, wie irre der einsprachige Ansatz für echte Anfänger ist, weil sie es mit einem eng verwandten, leicht durchschaubaren Sprachenpaar zu tun haben.
Peter Ringeisen
Me three.
Außerdem bin ich (wie Jochen weiß) ohnehin ein Versions-Fan. Aber dieser Zug ist wohl abgefahren. Dass es die Version nicht mehr gibt, liegt wohl – neben der Anpassung an die anderen Bundesländer – auch daran, dass wesentliche dafür nötige Kompetenzen eher im Fach Deutsch geschult werden mussten/müssten – und da haben wir ein strukturelles Problem.
Die Übersetzung ins Deutsche (zu kontrastiven, Stilebenen verdeutlichenden und sonstigen sinnvollen Zwecken) finde ich ebenso sinnvoll wie die andere Richtung, etwa bei der Vorbereitung von Composition writing.
Die Ausführungen zu den Wörterbüchern möchte ich explizit doppelt unterstreichen. Danke für die Erwähnung dieser (ahem) wenig hilfreichen Regelung.
Marlies Tesch
Auch ich kann das Gesagte nur unterstreichen.
Besonders gelungen finde ich die Gedanken zur Mediation: „Wischiwaschi ist genau der richtige Begriff! Gerade deshalb tun wir uns alle, besonders natürlich Referendare und Berufsanfänger schwer, zu gerechten oder wenigstens angemessenen Bewertungen zukommen. Die „Passt scho“-Mentalität hat sich ergo ganz zwangsläufig auch auf der Seite der Korrektoren eingestellt …
Gerne möchte ich dbzgl. aber noch einen weiteren Gedanken einwerfen:
Wir wundern uns alle flächendeckend, dass unsere Schüler mit wenigen Ausnahmen scheinbar nicht mehr fähig sind, zu oberstufenentsprechenden Leistungen im schriftlichen Gebrauch des Englischen zu kommen. Mich beschleicht inzwischen das Gefühl, dass – neben vielen anderen Faktoren wie natürlich den Stundenkürzungen! – auch die nicht mehr gewünschte und (in Schulaufgaben) nicht erlaubte Übersetzung D‑E in der Unterstufe eine ganz wesentliche Rolle spielt.
„Früher“ konnten wir den Schülern Übersetzungen abverlangen, in denen sie sorgfältig Wortschatz und vor allem neue und bereits gelernte grammatikalische Strukturen anwenden mussten. Auf diese Weise lernten sie viel intensiver, dass die beiden Sprachen eben unterschiedlich funktionieren: als ein Beispiel soll hier nur der Gebrauch und die Häufigkeit des Passivs im Englischen erwähnt werden.
In Schulaufgaben und Klausuren ab Jahrgangsstufe 10 findet man in den Textproduktionen (im weitesten Sinn) kaum mal eine Passivkonstruktion. All die schönen Einsetz- und Umformungsübungen der vorangegangen Jahre verschwunden im Nirvana! Das gilt natürlich auch für die Zeiten, Partizipialkonstruktionen undundund …
Aber – wie sagte mein Seminarlehrer so schön? – weiterkämpfen!