Vor kurzem kam eines meiner Kinder nach Hause und meinte mit einem Stoßseufzer: „Hoffentlich haben wir bald wieder richtigen Unterricht.“ Auf meine Nachfrage stellte sich heraus, dass mal wieder die „speech season“ begonnen hatte. Bis zum sounsovielten müssen alle Schüler ein Referat halten und weil es natürlich eine ziemlich große Klasse ist und es durch Krankheit, Stundenausfall etc. zu Verschiebungen kommt, gibt es jetzt jede Stunde mindestens ein, oftmals zwei, wenn es ganz schlecht läuft sogar drei Referate. Mein Nachwuchs findet das „ätzend“ und „stinklangweilig“. (Lehrern geht es übrigens oft genauso)
Das hohe Ansehen, das das Referieren in der zeitgenössischen Didaktik genießt, verblüfft mich schon seit langem. Da haben wir also endlich kapiert, dass der „frontale“ Lehrer-Vortrag etwas ganz Verwerfliches ist. Und was wird uns zur Linderung unseres schlechten Gewissens dringendst empfohlen? Der SCHÜLER soll sich nun frontal vor die Klasse stellen und einen Monolog, äh, falsch … einen Vortrag, nein auch falsch, hmm, vielleicht referieren? … nee, klingt auch so langweilig … jetzt hab ich’s … er soll natürlich etwas PRÄSENTIEREN. Das eine monologische Sprechen wird durch ein anderes ersetzt und – schwupps – wird aus etwas ganz Schlechtem etwas ganz Gutes.
Das Ganze läuft dann oft noch unter der Rubrik „schülerAKTIVIEREND“. Aktiv ist doch lediglich der Schüler, der sich vorne abmüht, während alle anderen im besten Fall zuhören, meistens jedoch auf Durchzug schalten: „Wenn alles schläft und einer spricht, so nennt man dieses Unterricht.“ Schülerreferate sind genauso „schülerPASSIVIEREND“ wie Lehrer-Vorträge (was natürlich nicht bedeutet, dass ein Lehrer-Vortrag nicht auch seine Berechtigung hat).
Unausgesprochen hofft man offensichtlich, dass uninteressanter Stoff (wie z.B. „The British system of government“) dadurch interessanter wird, dass ein Schüler den Stoff referiert. Worauf gründet sich diese Hoffnung? Bei einem Lehrer kann man im Normalfall davon ausgehen, dass er den Stoff beherrscht, ihn soweit nötig vereinfacht und ihn sprachlich richtig und verständlich, vielleicht noch mit ein paar persönlichen Anekdoten gewürzt, gut „rüberbringt“. Ich weiß ja nicht, wie die Referate /speeches / Präsentationen DEINER Schüler sind, die meiner Schüler sind zum größten Teil schlecht, ziemlich viele sogar grottenschlecht. Auf der anderen Seite – warum sollte es anders sein? Warum soll ein Schüler etwas können, was zumindest am Anfang auch fast allen Referendaren ausgesprochen schwer fällt? Auch bei den meisten Berufsanfängern kommen Informationen nicht klar genug rüber, sind die Ausführungen sprachlich nicht angemessen und oft nicht genügend strukturiert.
Das alles ist ja noch nicht so schlimm solange es um „my favourite book“, „my hobbies“ oder Ähnliches geht. Problematisch wird es, wenn über Referate „Stoff“ transportiert werden soll. Die wenigsten Schüler sind multitasking-fähig, will sagen, aufmerksam zuhören UND gleichzeitig mitschreiben geht nun mal nicht. Also schreibt man natürlich nicht mit und hat entsprechend keinerlei Aufzeichnungen. Falls überhaupt, fasst der Lehrer dann noch schnell das Ganze zusammen, für ausführliche Erklärungen bzw. einen vernünftigen Tafelanschrieb ist keine Zeit, schließlich will man ja nicht das ganze Referat wiederholen. Das Ergebnis ist genau der ELTERNaktivierende Unterricht, den ich inzwischen so hasse: Die Kinder kommen nach Hause und möchten, dass ich ihnen das britische Regierungssystem erkläre. Heute hätte zwar jemand ein Referat dazu gehalten, aber das sei leider total langweilig / unverständlich / wirr / viel zu schnell abgelesen / voller Fehler, kurzum unbrauchbar gewesen.
Gerade „erfahrene“ Lehrer vergessen ständig, dass sie im Laufe der Jahre die Fähigkeit erworben haben, aus völlig vermurkstem Englisch noch irgendeinen Sinn herauszufiltern. Schüler haben dazu aber berechtigterweise keine Lust und selbst wenn sie wollten, können sie es nicht, d.h. die Kommunikation bricht relativ schnell zusammen und der Schüler wechselt in den Sleepby-Modus. Referate haben immerhin den großen Vorteil, dass man als Schüler vor überraschenden Verständnisfragen sicher ist und ungestört vor sich hindämmern kann. Auf die stereotype Frage des Lehrers, ob es noch irgendwelche Fragen gibt, kommt natürlich fast immer freundlich-solidarisches Kopfschütteln, schließlich steht man ja selber bald da vorne und will auch nicht, dass es irgendwelche unangenehmen Fragen zu dem ganzen Zeug gibt, dass man aus Wikipedia schnell zusammenkopiert hat.
Mein Ideal von gutem Unterricht ist in erster Linie – ganz altmodisch – das Gespräch, der DIALOG. Drumherum kann sich alles Mögliche gesellen, aber der Kern bleibt immer das MITEINANDER-Sprechen und nicht das ZU-JEMAND-Sprechen, egal ob das jetzt der Lehrer oder ein Schüler ist. Es ist schwer genug ein gehaltvolles Gespräch in Gang zu setzen und am Leben zu erhalten.
Mit Grausen sehe ich immer wieder, wie Berufsanfänger nachdem sie es endlich geschafft haben, dass die Schüler miteinander kommunizieren (und nicht immer nur Richtung Lehrer) einfach abbrechen, weil ja schließlich „Methodenwechsel“ angesagt ist. Diese Methoden-Zapping ist m.E. zu einer richtigen Seuche geworden. In vorauseilendem Gehorsam verstärken wir die ständige Verringerung der Aufmerksamkeitsspanne, weil wir uns nicht mehr trauen dem Schüler zuzumuten über ein Thema eine ganze Schulstunde lang konzentriert zu sprechen. Immer häufiger erlebe ich „Stunden“ in denen bis zu vier verschiedene Methoden verbraten werden. Das Ergebnis ist kein Unterricht mehr, sondern nur noch fragmentarisches Zappen.
Welche Konsequenzen habe ich persönlich aus diesen Überlegungen gezogen? Ich erspare mir und meinen Schülern die Tortur von fünfzehn aufeinanderfolgenden Stunden mit jeweils zwei Referaten zu Stundenbeginn. So wie ich bei unseren Monsterklassen nicht jeden Schüler jedes Halbjahr mündlich prüfen kann („Rechenschaftsablage“), brauche ich auch nicht von jedem Schüler eine Referatsnote. Wenn ein Schüler im Unterricht gut mitarbeitet und qualitativ hochwertige Beiträge liefert, zeigt er ja schon, dass er zusammenhängend sprechen kann. So wie ich zunächst einmal vor allem die Stillen und schriftlich Schlechten mündlich prüfe, hole ich mir Referats-Noten auch in erster Linie von diesen Schülern.
Nach dem Motto „Lieber falsch gesprochen als richtig geschwiegen“ üben wir Referieren vor allem in Partnerarbeit bzw. in Kleingruppen. Dadurch habe ich schon mal eine wesentlich größere Intensität als bei einem „normalen“ Referat. Bei diesen Übungen muss zumindest der Sprechende grundsätzlich STEHEN, damit er von Anfang auch die Körpersprache (Wohin mit den Händen? Wie stehen? etc.) verbessert. Mit Hilfe meines Kurzzeitweckers gebe ich die entsprechende Mindestzeit („Speak for at least five minutes.“) mit einem akustischen Signal vor. Bevor ein Schüler vor der ganzen Klasse spricht, hat er im Normalfall seinen Vortrag bereits mindestens dreimal vor wechselnden Zuhörern gehalten und (hoffentlich) verbessert. Das Ergebnis sind meistens deutlich bessere Vorträge, die auf die Zuhörer nicht gar so einschläfernd wirken. Schließlich soll keiner nach Hause kommen und seufzen: „Hoffentlich haben wir bald wieder richtigen Unterricht.“
Nerrlich, Elisabeth
Da spricht mir mal jemand aus der Seele. Ich habe schon alles versucht – auch LdL, was aber meist genauso quälend war wie Referate. Inzwischen bin ich auch dazu übergegangen, die Schüler über ein themenrelavantes Stichwort ein paar Minuten erzählen zu lassen.
Micha
Hallo Jürgen,
NIEEEEE wieder! Ich habe gerade einen Referatsturnus im LK Englisch hinter mich gebracht! 19(!!!) Referate zu Gegenwartsromanen – also ich fand es am Ende auch schon unterträglich, und ich denke mal, dass ich entweder dazu übergehe, die Schüler in Gruppenpräsentation auftreten zu lassen mit einem erstellten Poster dazu(zu einem Roman, den alle gelesen haben müssen), oder ich lasse einfach den Referenten eher als Experten auftreten und lasse die Schüler vorher fünf Minuten lang Fragen vorformulieren, die dann an den Referenten gehen. Das einzig gut an diesen Referaten war, dass jeder mit Powerpoint arbeiten musste und ich mehr Wert auf den Vortrag als den eigentlichen Inhalt gelegt hatte, so dass die Schüler wirklich mit einer Art „Präsentationscheckliste“ zu Hause quasi vor dem Spiegel ihr Auftreten üben mussten. Kennt jemand noch andere gute Möglichkeiten, wie man solche, zu Recht als langweilig empfundenen, Referate ersetzen könnte?
Micha
Matias
Meiner meinung muss man das Thema differenzierter angehen. Die Schule hat nicht nur den Auftrag der Vermittlung rein kognitiven Wissens, sondern auch von Fähigkeiten, wie zum Beispiel einen Vortrag zu halten. Dies ist auch in der Berufswelt wichtiger als beispielsweise die „Grenzwertbildung uneigentlicher Integrale“. In den unteren Klassen sehe ich die Probleme hundertprozentig ein, nicht jedoch in der Oberstufe, wo die Schüler auch in der Lage sind, Stoff zu vermitteln.
Referate haben also ihre Vor- und Nachteile, die von diversen Faktoren abhängen, weshalb man nicht pauschal sagen kann, sie seien schlecht oder gut, man muss situationsbedingt entscheiden, ob sie angemessen sind.
Matias
Elisabeth Lawson
Gutes Thema- Referate
Ich ordne es kategorisch unter ‚Präsentieren‘ ein, d.h. ich sehe zunächst einmal diejenigen, die das Referat halten müssen, im Blickpunkt.
Jeder Schüler muß zunächst geschult werden, ein Referat überhaupt halten zu k ö n n e n, d.h. didaktisch: selektierter, reduzierter Inhalt, methodisch: Techniken erlernen (z.B.langsam,deutlich sprechen, den Inhalt interessant verpacken, Fragen stellen, worksheet erstellen).
Referate sind für den Lehrer aufwendig, weil das Ganze supergut vorbereitet werden muß um produktiv zu sein – ähnlch Projektunterricht.
Referate sollten idealerweise parallel zum Unterricht, thematisch eingebettet laufen.
Wer denkt: mal ein paar Referatthemen an die Klasse verteilen, dann sind erst mal alle beschäftigt und alle werden automatisch ‚was lernen-der hat weit gefehlt, was Jochens Beispiel’British government‘ gut belegt.
Was sich m.E. bewährt hat:
1. klares Zeitlimit(5–10 Minuten Vortrag)
2. Worksheet ein ‚muß‘
3. Diskussion anschließend mit vorformulierten Fragen ein weiteres ‚muß‘
Generell finde ich es übrigens nicht verwerflich, wenn Schülerinnen und Schüler sich mal 5–10 Minuten einen Schülervortag anhören müssen. Das schult die Konzentration und die Toleranz – nobody is perfect.
Oberstufenschülern, die sich zieren, entwerfe ich oft ein Szenario, im Beruf/Studium in einem Meeting einer Gruppe von gemischten Personen ihr Thema erläutern zu müssen. Sie nehmen dann als Vortagende alles ein wenig ernster, die Zuhörer fühlen sich geschmeichelt, z.B. als ‚board members‘ fungieren zu dürfen.
Nicht zu verleugnen: ich bin pro Referate!!!
Jochen
> 2. Worksheet ein ‘muß’
Meinst du wirklich „Worksheet“ (mit Aufgaben) oder Handout?
> nicht verwerflich, wenn Schülerinnen und Schüler sich mal 5–10 Minuten
Nein, gegen „mal“ ist natürlich gar nichts zu sagen, aber meine Ausgangspunkt war ein anderer: Referate-MARATHON (vgl. „speech season“)
Elisa Granato
Ich (Schülerin, K13) sehe das ähnlich wie Matias …
Meines Erachtens haben Referate in den unteren Klassenstufen allein den Sinn, uns Schüler an das Gefühl zu gewöhnen, vorne zu stehen, und einen Vortrag vor einer größeren Gruppe zu halten. „Learning by doing“ ist hierbei das einzig Sinnvolle, denn ähnlich wie bei einem Sport kann ich hier nur Verbesserungen erzielen, indem ich das Gewünschte immer und immer wieder praktiziere! Das kann am Anfang für die Zuhörer ermüdend sein, aber dies ist nun mal der Preis, den man zahlen muss, damit am Ende ein Mensch von der Schule geht, der in der Lage ist, im Berufsleben ohne lähmende Angst („Das habe ich ja noch nie gemacht !“) ein Thema vor einer kleineren oder größeren Gruppe klar und strukturiert darzustellen. Im Lauf der Schuljahre kommt nämlich die Souveränität, und selbst wir Schüler sind nach einigen Jahren meist überrascht, wie wenig aufgeregt wir mittlerweile vor einem anstehenden Referat sind. Dass dann selbst eine „speech season“ sinnvoll und unterrichtsfördernd sein kann, zeigt das Beispiel Geschichtsgrundkurs K13:
Hier wagte der Lehrer ein Experiment und verpackte den gesamten klausurrelevanten Stoff (Zweiter Weltkrieg und beginnende Nachkriegszeit) in Referate, die je von 1–3 Schülern vorgetragen wurden. Pro Unterrichtsstunde lief das im Schnitt auf 2 Referate a 15–20 min. hinaus.
Das Ganze zog sich über ca. 2 Monate. Während dieser Zeit habe ich mehr gelernt als in jedem normalen Geschichtsunterricht zuvor. Die Vorträge waren durchgehend interessant und abwechslungsreich gestaltet, der Stoff wurde kompakt und verständlich rübergebracht und die gegebenen Handouts stellten eine sehr gute Lerngrundlage für die kommende Klausur dar. Kein Vergleich zum oft trockenen Geschichtsunterricht, dem selbst der beste und engagierteste Lehrer manchmal keine Würze verleihen kann.
Am Ende dieser „speech season“ sagte der Lehrer, er wisse jetzt, warum er sich diese meist schlechten Referate in der Unter- und Mittelstufe „antue“ … damit am Ende in der Oberstufe so ein Erfolg verbucht werden kann! Wären diese Referate nicht unsere zehnten (oder mehr) Vorträge in unserer Schullaufbahn gewesen, hätten wir Schüler sie sicher nicht so souverän halten können.
Mein Tipp: Schüler der Unter- und Mittelstufe immer mal wieder Mini-Referate halten lassen, die nicht schulaufgabenrelevant sind. So vermeidet man, dass schlecht transportierter Stoff Nachteile für den Rest der Klasse birgt. Im Laufe der Jahre kann man den Schülern dann ruhig mehr „Verantwortung“ geben, indem man Referatsthemen zum Prüfungsstoff vergibt. Die meisten sind sich dann schon ihrer Verantwortung gegenüber den Mitschülern bewusst, und die Qualität der Vorträge steigt.
Also liebe Lehrer, BITTE lasst eure Schüler weiter referieren, wir hatten die Übung in jungen Jahren bitter nötig. 😉
Elisa
Peter
Marathon ist – meinem Dafürhalten nach – in jeglicher Form ein Graus 😉
Ich stimme Jochen also zu: Wenn Referate so gehalten werden, dass ein Schüler alle seine Zuhörer (Mitschüler plus Lehrer) durch einen schlecht vorgetragenen, visuell nicht aufbereiteten Monolog in den Halbschlaf redet, dann wäre es besser, solch ein Referat fände nicht statt.
Ich lasse Themen, die mit dem jeweiligen Stoff (oder aktuellen Ereignissen) zusammenhängen, von Teams vorbereiten (meist Zweiergruppen), deren Auftrag es ist, die Materie so aufzubereiten, dass die Mitschüler etwas davon haben und bei ihnen etwas im Gedächtnis bleibt. Dazu gehört (normalerweise) ein Handout (dt. „Tischvorlage“), dazu gehören Tafelanschrift oder OHP-Folie, wenn es zur Vertiefung dient auch Bild und/oder Ton. Im Zweifelsfall (Ausführlichkeit/Medienwahl o. Ä.) sollen sie mich um Rat fragen. – Das klappt nicht immer. Mal ist eine Präsentation zu lang, mal zu kurz, mal zu oberflächlich. Aber mit den meisten bin ich durchaus zufrieden, von einigen sogar begeistert.
Über den Beitrag von Elisa habe ich mich gefreut, denn er zeigt, dass gut gemachte Präsentationen auch gut ankommen.
Unter der folgenden Adresse sind die Kriterien für „short story presentation“ angegeben, wie wir sie zur Zeit im LK 12/1 durchführen. Am unteren Ende der Seite ist die Punkteverteilung (Rubric) für die Bewertung verlinkt.
Staubtrockene Referate am laufenden Band: nein.
Lebendige, interessante Präsentationen: ja, bitte 🙂
Schönen Gruß
Peter.
http://snipurl.com/shortstory_pres
Florian
Hallo!
Was wir immer in der 7. und 8. Klasse gemacht haben:
ONE MINUTE TALK
Hausaufgabe sich über ein Thema informieren und einen Vortrag über eine Minute vorzubereiten – nicht länger!
Der muss dann frei vorgetragen werden, das macht nur ein Schüler.