… ist der Titel eines (wie sie selber sagt) “kontroversen” Artikels von Charlotte Dincher über Bedingungsätze.
Hier mein Kommentar:
Natürlich ist bzw. wäre es schön, nicht nur Bedingungssätze, sondern Grammatik und Wortschatz ganz allgemein “so oft [zu] hören, bis sie für das Gehirn normal klingen und sie auch aktiv verwendet werden können.” Nur wie schaut die Realität aus? Meine 10te habe ich genau ZWEIMAL in der Woche, nämlich am Dienstag eine Doppel- und am Mittwoch eine Einzelstunde, d.h. die Schüler kommen fast eine Woche lang NICHT in Kontakt mit der Fremdsprache und damit bleibt natürlich auch so gut wie nichts hängen.
Eine Erkenntnis wie ‘„Would“ heißt offenbar „würde“’ nützt m.E. überhaupt nichts, denn das Problem ist ja gerade (beim Type II) die INTERFERENZ des deutschen “würde” (“Wenn ich in der Lotterie gewinnen WÜRDE, würde ich …”).
Auch Charlottes Behauptung “die Konditionalsätze sind in sich grammatikalisch schlüssig” kann ich nicht teilen. Was soll daran “schlüssig” sein, dass ich eine Vergangenheitsform (simple past) brauche, um über die Zukunft zu sprechen?
Entsprechend unlogisch ist ihr Ratschlag “Höre auf, zu komplexe Regeln (wie z.B. die Bildung von if-clauses) zu unterrichten.”. Entweder sind Konditionalsätze “in sich grammatikalisch schlüssig”, dann können aber auch die Regeln nicht “zu komplex” sein. Und selbst wenn sie “komplex” wären (was sie nicht sind), würde das bedeuten, dass wir einfach resignieren und uns damit abfinden, dass die Schüler sie nicht beherrschen? Was für ein Armutszeugnis ist das denn? Alles was ein Schüler lernen und üben muss, sind DREI Kombinationen von Zeiten mit ein paar Variationen. Und damit sind unsere armen, ach so furchtbar gestressten Hascherl bereits überfordert? Was sollen denn da erst die Mathe-Lehrer sagen?
Von daher ist ein “Trost” wie “Ich habe meinen Schülern nach der Übung gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, wenn sie noch Fehler bei der Bildung von if-clauses machen. Ihr Gehirn bräuchte einfach noch etwas mehr Zeit, bis es die richtigen Formen ausspucken könnte.” m.E. völlig daneben. Viel angemessener wäre der Ratschlag, sich halt mal hinzuhocken und das bisschen Grammatik zu LERNEN und zu ÜBEN, und zwar ohne Facebook, Twitter, WhatsApp, Instagram, Musik etc. Und es ist MEINE verdammte Pflicht ihnen diese Strukturen so vielfältig beizubringen, dass sie z.B. beim Abituraufsatz richtig verwenden und ich mache es mir zu leicht, wenn ich sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröste. Es ist ja schon viel gewonnen, wenn der Schüler erkennt / sich erinnert, dass er bei Bedingungssätzen häufig Fehler macht und erstmal innehält und die Regeln aktiviert, bevor er munter “If I would …” hinschreibt.
Wenn man Charlottes Einstellung konsequent weiterdenkt, müsste der “Kopfsalat” auch für alle anderen Strukturen gelten, mit denen wir Deutsche Probleme haben. Unterschied zwischen simple past und present perfect? Gar nicht erst versuchen, das dahinterstehende Konzept (das es im Deutschen halt nicht gibt) zu erklären, denn damit produzieren wir ja doch nur “Fehler bis in alle Ewigkeit”. Wortstellung, indirekte Rede, Infinitiv vs. Gerund … bringt doch alles nichts, vermitteln wir in Zukunft nur noch mit Hilfe von “spielerischen Situationen im Klassenraum”. Und die Tatsache, dass es Ausnahmen und “Mischungen” gibt, kann doch nicht bedeuten, dass man die elementaren Regeln nicht mehr erklärt und “kognitiviert”. Anschließend darf ja gerne noch gespielt werden.
Und dass mit den “Grammatiknerds” stimmt so natürlich auch nicht. Es gibt halt nun mal verschiedene Lerntypen und als Lehrer/in neigt man leicht dazu, die eigenen Vorlieben zu verallgemeinern und sie als allein seligmachend darzustellen bzw. zu unterrichten. Nur weil man z.B. selber gerne mit mindestens fünf verschiedenen Farben in Texten herumfuhrwerkt, muss das noch längst nicht für alle Schüler die optimale Methode sein (ich selber markiere z.B. in Texten gar nichts, sondern bin ein ausgeprägter ‘notes’ Typ.). Der Lehrer findet mind-maps ganz großartig, deshalb müssen alle Schüler ihre Gedanken “visualisieren” (ich HASSE diese unübersichtlichen Gebilde). Manche lernen Strukturen am liebsten durch häufige Wiederholung und können mit Grammatik überhaupt nichts anfangen, ich kann es nicht leiden, wenn ich irgendwas nachsprechen / wiederholen soll, ohne zu verstehen, was ich da überhaupt mache.
Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Unterrichtsökonomie. Klar, ein (Klein-)Kind hat alle Zeit der Welt und kann Dinge x‑mal nachsprechen, bis sie richtig sind. Aber in der Schule haben wir diese Zeit eben nicht, im Gegenteil uns werden ja auch noch ständig Stunden weggekürzt bzw. wir müssen in unsere paar läppischen Stunden immer mehr machen.
So ziemlich der einzige Punkt, in dem ich mit Charlotte übereinstimme, ist ihr Tipp: “[Ü]bersetze sie hin- und wieder, damit klar ist, was sie bedeuten.” Das hebt sich wohltuend von der derzeit um sich greifenden, geradzu wahnhaften “Deutsch ist ganz bäh” Manie ab. Allerdings sollte man nicht nur die Bedeutung klarmachen, denn damit ist noch kaum etwas gewonnen, sondern immer wieder auch die zugrundeliegenden Strukturen und Konzepte in der Fremdsprache bewusst machen bzw. in Erinnerung rufen.
Ich habe zu diesem Zweck ein spielerisches Ritual entwickelt. Ich brauche nur drei Finger in die Luft zu halten, und meine Schüler wissen sofort, dass sie jetzt die 3 Typen (jeweils mit Beispielsatz) runterrattern müssen. Immer mal wieder muss im Anschluss dann auch noch beschrieben werden, in welchen Situationen welcher Typ am häufigsten verwendet wird. Und ja, immer mal wieder, rufe ich in Erinnerung, dass wir das Ganze nicht mechanisch machen, sondern dass es auch “Mischungen” gibt.
Im Folgenden Charlottes Reaktion auf meinen Kommentar zu ihrem Artikel:
Erst einmal vielen Dank an Jochen, für den tollen, ausführlichen Kommentar. „Gar nicht erst probieren“ würde noch weiter gedacht dann ja fü die ganze Fremdsprache gelten. Nichts liegt mir ferner. Klar produziert simple past vs present perfect Probleme, daher sollte es im Unterricht ausführlich behandelt werden. Aber nicht nur, indem die Regel drei Mal erklärt wird und die Schüler dann Lückentexte ausfüllen, in denen sie die Regel anwenden. Und dabei mehr ihre eigenen Fehler als die korrekten Versionen vor Augen haben, sondern mit echten Wiederholungen, bis es ihnen nicht zu den Ohren, sondern zum eigenen Mund herauskommt.
Dass das möglich ist, war mir früher auch nicht klar und die Diskussion hier, auf meinem Blog und auf Facebook zeigt mir, dass ich das noch genauer erklären sollte. Klar unterrichte ich Grammatik, aber funktional und situativ. Ich benutze keine Regel a la „If“ plus 1st person plural, plus past form of „to have“, plus past participle of verb, plus object, plus comma, plus personal pronoun, plus would, plus optional not, plus have, plus past participle, plus object“. Das ist eher was für Grammatiknerds (und das sind genau die, die dann Lehrer geworden sind). Mögen tue ich das auch, aber ich weiß, dass ich damit nur ca. 3% meiner Schüler bedienen würde, während der Rest keine Grammatikdrittsprache gebrauchen kann um zu verstehen, wie man sagt, dass man sauer ist, wenn jemand einem was wegnimmt.
Klar schaffen es unsere grammatikbegeisterteren Schüler, diese Regeln auswendig zu lernen, allerdings musste ich immer wieder feststellen, dass
1) nur der allerkleinste Teil das schaffte,
2) von denen auch nur ein Teil das dann in der Arbeit richtig hinbekam,
3) sie das dann auch nicht unbedingt danach in ihrer Sprache (richtig oder überhaupt) verwendet haben
4) viele die Regel überanwendeten, besonders Jahre später in der Oberstufe [Zitat Einserschülerin 8. Klasse: „Frau Dincher, müsste das nicht ’she didn’t went‘ heißen?“, wo hat sie das her, das hat garantiert kein Lehrer jemals so zu ihr gesagt!]
5) verdammt viel Zeit nur für das Erklären der Regeln und Ausnahmen drauf ging, die dann echt effizienter hätte verwendet werden können.
Es gibt Millionen Beispiele für Menschen, die Fremdsprache ohne explizite Grammatik gelernt haben [ja, ich rede nicht von Kleinkindern] aber nicht ein einziges, wodurch die Sprache durch Auswendiglernen ihrer Grammatikregeln gelernt wurde. Wirklich, kannst du googlen. Daher enthalten auch die KMK-Vorgaben keine Anforderungen zur expliziten Grammatik. Es geht um die reine kommunikative Kompetenz.
Klar hat der normale Unterricht zeitliche Einschränkungen im Vergleich zum Mutterspracherwerb, daher müssen Techniken aus der Sprachlernforschung her, die diesen Nachteil wieder ausgleichen. Die gibt es bereits und tausende Lehrer auf der Welt arbeiten schon damit. Ich habe es beispielsweise durch Erlernen einer Technik geschafft, eine neue grammatikalische Phrase über hundert Mal in einer Doppelstunde anzuwenden. Ohne dass es den Schülern zu den Ohren rauskommt. Ich glaube ich sollte das mal in einem Video verdeutlichen, aber erst sind die Abiturklausuren dran! Vielleicht magst du bis dahin mal auf diese Doppelstunde gucken, vielleicht zeigt das etwas besser, wie es funktioniert. Oh, und die Ergebnisse der Vergleichsarbeit sind ein weiteres Argument, das aber auch noch etwas warten muss.
Gesten wie Jochens Fingeranzeige sind übrigens Klasse. Am besten die Schüler machen die gleich mit. Die Forschung hat gezeigt, dass Neues so viel besser im Gedächtnis verankert wird.
Susann
Der Trend geht sicher momentan dahin, die Grammatik Grammatik sein zu lassen und das war’s dann…ich hatte dieses Jahr einen kanadischen Austauschschüler aus dem französischen Teil, der Englisch wirklich nur als Fremdsprache beherrschte, und er hat mir glaubhaft versichert, Grammatik spiele keine Rolle. Namen der Zeiten – völlige Fehlanzeige. Present perfect – großes Fragezeichen. Es scheint zu reichen, sich irgendwie verständlich machen zu können.
Mandy-Linn
Bzgl. Jochens Kommentar: Genau!
Allerdings ist „Dein Gehirn braucht mehr Zeit“ bei mir synonym mit „übe und wiederhole und übe wieder“ (Ksks … Peitschenknall ;)), – ernsthaft: man kann diese Zeit passiv verstreichen lassen (nicht sinnvoll) oder aktiv nutzen: Ich kenne keinen Pianisten, dessen Hirn und Finger allein durch Abwarten sowohl Koordination als auch Dynamik und Tempo (ganz zu schweigen von allem anderen) umsetzen könnten. Ähnlich wohl auch im Sport: von nix kommt nix! In der Schule ist vielleicht nicht viel Zeit, aber das heißt nicht, dass man nicht nach der Schule kurz, aber oft üben könnte. Viele meiner Schüler bewundern Können und Perfektion vermeintlicher Stars, aber die meisten wollen sich den Übe-Stress gar nicht erst antun: „Ach, das kostet aber viel Zeit. Das schreib ich dann gleich mal auf WhatsApp, damit die anderen Bescheid wissen, dass ich nämlich keine Zeit hab.“
Und „zu kompliziert“ ist heute ohnehin oft alles, was man nicht durch autistisch-anmutende Wischbewegungen auf den Schirm bekommt: Was ist bitte kompliziert an Grammatik, was kompliziert an drei simplen Grundsätzen nach dem einen (!) Muster: Steht im if-Satz Zeit A, dann setze ich im Hauptsatz Zeit B. Dazu sollte man die Zeiten kennen, klar. Ein Gymnasiast lernt das eben mal auswendig. Aber das ist wohl schon wieder zu viel verlangt. Wisch wisch.
Übrigens: es ist nicht die Vergangenheit, die man benutzt, um über die Zukunft zu sprechen, sondern der Konjunktiv II (der mit dem Umlaut!), um über Bedingungen zu sprechen: if I were … = wenn ich wääääre … if I had = wenn ich hätte … Ist halt doch nur ein germanischer Dialekt (grins), der noch die ein oder anderen Restbestände und damit Gemeinsamkeiten mit dem unseren hat … aber Vorsicht: das ist ja wieder grammatischer Ballast, mit dem man nur unnötig sein Hirn überfrachtet … schnell mit einer hastigen Wischbewegung wegmachen … wisch wisch …
Paul
Sehr richtig!
Wisch und weg, so wischen wir uns durchs Leben und katapultieren uns aus der Wirklichkeit …
Paul Davenport
Köstliche Retorte, stilsicher, substanziell!