Eine Ohnmacht vortäuschen oder sich einfach wegschleichen und eine sechs riskieren: Alles ist besser, als irgendwie über den Kasten kommen zu müssen. Sportunterricht, das ist für viele Kinder gleichbedeutend mit Angst.
Angst, sich zu blamieren, ausgelacht zu werden, sich zu verletzen. Klar, auch vor Mathe zittern viele. Doch beim Sport ist das empfundene Versagen umfassender und es findet vor aller Augen statt. Ist dieses Unbehagen die Quittung für das Übermaß an Fernsehen und Computerspielen?
Da gab es so ne Szene beim Bockspringen. Da sollte ich rüberspringen und dann konnte ich es nicht. und bin da seitwärts runtergefallen und bin erst mal liegengeblieben, weil ich mir total wehgetan hab.
Deshalb halte ich so wenig vom traditionellen Geräteturnen. Sport darf vor allem schlechteren Schüler nicht weh tun!
Ich versuche dann auch immer, Sportarten auszuwählen, wo auch die etwas kräftigen oder die unsportlichen Kinder Vorteile haben.
Aus diesem Grund mache ich z.B. Jonglieren, Tischtennis und Ringtennis.
Das gnadenlose Mannschaftswählen, bei dem die guten Sportler sich darüber streiten, wer von den beiden Letzten die größere Flasche ist …
Um das zu verhindern, teile ICH immer die letzten beiden Mannschaften ein. Ich habe z.B. 30 Kinder, das ergibt 6 Mannschaften à 5 Schüler. Zuerst wählen die zwei besten ihre Mannschaften 1 und 2. Danach geht’s wieder per Wahl weiter mit den Mannschaften 3 und 4. Die übriggebliebenen Schüler teile ich selber in den Mannschaften 5 und 6 ein.
Sabine
Au Mann, das Mannschaften wählen lassen, das ist wirklich besonders fies. Da kommen ja auch noch die außersportlichen Gemeinheiten dazu. Ganz pädagogisch sind die SportlehrerInnen, die dann auch noch rausgehen und Bälle sortieren (oder was Sportlehrer in diesen Geräteräumen eben so machen), während die zwei sportlichen Obermachos oder Chefzicken mal schnell die Rangordnung in der Klasse zementieren – so kriegen sie nicht mal mit, wer einen schweren Stand in der Klasse hat und wer wie mit wem umspringt.
Jochen
Aus diesen Zeilen sprechen viele Jahre des Leidens …
Auf der anderen Seite braucht man für ein Ballspiel halt nun mal irgendwelche Mannschaften. Und wenn ich von vorneherin alle Mannschaften einteile, dann wirft mir die Verlierermannschaft garantiert vor, dass ich die Mannschaften toootal ungerecht eingeteilt hätte, und dass ich die anderen ja sowieso viiiiel lieber hätte.
Feste Mannschaften machen zwar das Wählen überflüssig, aber zum Lernen im Sport gehört m.E. auch dazu („Sozialkompetenz“) mit Mitschülern, die man ggf. nicht besonders mag, zusammen spielen zu müssen. Außerdem gibt es wenig bzw. keine Fluktuation zwischen den Mannschaften. Ein schwacher Schüler kann sich also noch so sehr anstrengen, wenn er vom Lehrer in eine schlechte Mannschaft gesteckt wurde, kommt er da nur selten wieder raus. Schüler hingegen beobachten einander sehr genau und berücksichtigen Leistungssteigerungen bei der nächsten Wahl. Und das ist dann ein schönes Erfolgserlebnis, wenn man z.B. in eine der beiden „zweitbesten“ Mannschaften gewählt wird und nicht mehr bei den Pflaumen spielen muss. Ein anderer Schüler steigt natürlich entsprechend ab – Sportunterricht ist kein Ponyhof.
Während der Wahl rausgehen, finde ich allerdings auch völlig daneben. Ich reagiere z.B. ziemlich stinkig, wenn ein Schüler rummault, weil er nicht mit bestimmten anderen Herrschaften zusammen spielen will. Wenn sich das wiederholt, schaut er irgendwann mal erstmal 5 Minuten zu.
Was ich auch nicht leiden kann, ist die sadistische Methode erst jemanden zu wählen und ihn dann auf halbem Weg wieder zurückzuschicken („Ach nee, doch lieber den Max.“).
Susann
Nein, das Ganze hat mit Computerspielen usw. überhaupt nichts zu tun. Ich ging zur Schule, als der C64 gerade mal das Licht der Welt erblickte, und ich habe den Sportunterricht 12 Jahre lang leidenschaftlich gehasst. GEHASST.
Dabei war ich nicht unsportlich, ich ging gern wandern, rannte gern draußen durch die Wildnis und machte mit großer Begeisterung Ballett, mit freiwilligem Zusatztraining.
Aber dieser Massenalmauftrieb in stinkenden, lauten Turnhalle, mit schrillen Trillerpfeifen wie das Vieh herumgetrieben, diese demütigenden Wahlrituale, wo immer zwei übrigblieben, die keiner haben wollte, bescheuerte Sportarten, die direkt aus der Wehrertüchtigung vor 1939 stammten (Handgranatenweitwurf) – ich kann gar nicht ausdrücken, wie widerlich das war und wie sehr mir das den Sport organisierterer Prägung auf Jahrzehnte verleidet hat. Unästhetisch, ungemütlich, unsozial, einfach nur widerlich.
Ich war an englischen Schulen, wo die Schüler tatsächlich auch die Wahl hatten, Mannschaftssportarten, irgendwas mit Tanz oder aber klassisches Fitnessstudiogerätezeuchs zu betreiben. Wesentlich besser.
Jochen
> irgendwas mit Tanz oder aber klassisches Fitnessstudiogerätezeuchs zu betreiben.
Tja, und meine Jungs (zumindest die meisten) hassen leidenschaftlich alles was mit Musik zu tun hat („Weiberkram“) und maulen auch nur rum, wenn sie irgendwas für Sixpack, Knackpo oder Schultern machen sollen (Geräte haben wir keine). 😉
Susann
Das eine anbieten, das andere auch anbieten.
An dieser Schule konnten die Schüler unter mehreren Möglichkeiten wählen – ob halbjahresweise oder stundenweise, weiß ich nicht. Und die waren alle ganz eifrig bei der Sache. Let’s face it, wer Sport nur halbherzig betreiben will, wird eine Möglichkeit finden, das zu tun. Aber immerhin steigt die Chancen, etwas Adäquates zu finden, wenn mehrere Möglichkeiten geboten werden.
An meiner Schule finden 4 Sportstunden parallel statt. Man könnte ja Neigungsgruppen…aber natürlich wird alles guter Wille seitens der Lehrer nichts nützen, solange die Ministerialbürokratie glaubt, die Welt würde ein besserer Ort, wenn jeder einzelne Schüler eine Basketballnote o. Ä. erbringen muss. *facepalm
Herr Rau
Gehasst habe ich den Sportunterricht nie. Vermutlich nicht mal verachtet, sondern nur sehr, sehr gering geschätzt. Geräteturn war muffig, Mannschaftssportarten mochte ich nicht. (Ich war ein Snob, und teamfähig dann, wenn ich mir das Team aussuchen durfte, wie in meiner Freizeit.) Allerdings gehörte ich damals schon zur 64er-Generation.
Andererseits: Als ich in der Oberstufe zwei Semester Judo belegen konnte, hatte ich plötzlich 14 oder 15 Punkte. Das hat mir Spaß gemacht. Tanzen und Jonglieren wäre beides auch sehr schön gewesen. Man muss auch an die Jungs denken, die nicht in ihrer Freizeit eh schon im Fußballverein sind.
Sabine
Susann hat recht, die olfaktorische Zumutung der Turnhallen ist natürlich auch so eine Sache.
Man kann es vermutlich nie allen recht machen. Ich fand ja Stufenbarren eigentlich ziemlich gut, aber wem macht das sonst noch Spaß? Und außerdem kam es ja immer im Paket mit anderen, deutlich dämlicheren Sportgeräten, wie Schwebebalken oder dem grusligen Pferd. Fußball hätte ich viel lustiger als Volleyball gefunden, aber das gab es damals nicht für Mädchen.
Bei uns an der Schule sind die Jungs übrigens alle ganz wild auf Muskeln und Fitness, in einem Ausmaß, das ich erschreckend finde. Die geben dann in diversen Steckbriefen „Muskelaufbau und Fitnesslifestyle“ als Hobby an, echt jetzt. Und tragen Sixpacks spazieren (bei jeder Gelegenheit zur Schau gestellt), mit denen sie mühelos eine Rolle in 300 kriegen könnten. Auf Abifahrten haben sie dann jede Menge Pülverchen dabei, mit denen der richtige (?!?) Eiweißmix hergestellt wurde. Das gefällt mir nicht.
Sehr toll ist bei uns dafür die „Bewegte Pause“ – da haben die Sportkollegen sich einen Trupp verlässlicher OberstufenschülerInnen herangezogen, die in der Pause die Turnhalle aufsperren und die kleinen Duracell-Unterstufler, meist fast alles Jungs, beim Herumrasen und Ballspielen beaufsichtigen und gegebenenfalls anleiten. Ich habe einmal wöchentlich vor der Turnhalle Aufsicht, und die glücklichen Gesichter und trappelnden Füße sind eine wahre Freude.
Andreas
Lieber Jochen,
als Sport- und Englischkollege schätze ich dein unermüdliches Engagement für die Lehrerschaft außerordentlich, auch wenn, wie in diesem Fall, unsere Meinungen gelegentlich stark auseinander gehen. Die Demonisierung traditioneller Sportarten wie Turnen und Leichtathletik und die damit verbundene Leugnung ihres ohne Zweifel vorhandenen Mehrwerts, ist nur ein weiterer Schritt hin zu einer umsichgreifenden In-Watte-pack-Leistungsvermeidungsepedemie.
Die hier an anderer Stelle angestoßene Diskussion zum Thema Kugelstoßen ist bezeichnend und lässt dich auch rein argumentativ als Verlierer dastehen. Da ich deine Abneigung für Euphemismen kenne, teile und oft herzhaft lache, habe ich bewusst das Wort Verlierer gewählt. Es gibt in diesem Wettlauf um bessere Noten keine Gewinner. Akrobatik statt Turnen, Sprachmittlung statt Übersetzung, Kompetenzen statt Lehrplan, Gruppen- statt Einzelpräsentationen, diese Liste ließe sich fortführen und dient am Ende nur einem Ziel. Bessere Noten und ein besserer Zeugnisschnitt, um so viele Schüler wie möglich als studierfähig zu deklarieren und ihre Eltern in Sicherheit zu wiegen. Den Schülern nützt beim Abiturzeugnis eine eins vor dem Komma schon heute gar nichts mehr, denn wenn dies 30 Prozent eines Jahrgangs betrifft, ist auch dem letzten HR- Menschen klar, dass er seinen eigenen Test entwerfen muss, um die Notenlügerei zu entlarven. Was einem Schüler, der Zeit seines Lebens von dir in Gruppe 5 und 6 gewählt wurde, im Haifischbecken Leben wiederfährt, vermagst du dir selbst auszumalen. Unfähigkeit zur Selbstreflexion, Selbstüberschätzung und mangelnde Kritikfähigkeit sind vorprogramiert, wenn einen die Gleichaltrigengruppe nicht ab und zu unsanft in die Schranken weist. Ich sehe schon, dass wir mit diesem Vorgehen der ein oder anderen Diskussion mit Schülern, Eltern und Schulleitung aus dem Weg gehen, du bringst mit dieser „Jonglage“ jedoch auch deine Kollegen in Bedrängnis, wenn die Schüler der anderen Klassen mit Blick auf ihre Barrennote voller Neid die Akrobatikzwei der Übergewichtigen anzweifeln. Weitaus wichtiger ist an dieser Stelle, dass ihr den Prozess der Abschaffung der Gymnasien, die Enstehung von Privatschulen und die Abschaffung des Sportunterrichtes aus dem verpflichtenden Fächerkanon an sich beschleunigt. Wenn das Leben kein Ponyhof ist, dann müssen die Heranwachsenden auch mal auf einem Turnpferd reiten. Obermachos, Chefzicken und Rangordnungen gehören zu einer funktionierenden Klasse wie zu einer erfolgreichen Fussballmanschaft, Tanzgruppe oder einem Theaterensemble. Dann sind wünschenswerte gesellschaftliche Realitäten, die wir nicht im 45 min Takt ausblenden können, nach dem Motto: Machen wir die Mannschaftswinteilung heute mal mit einem Skatset, dann wird schon keiner diskriminiert werden. Ich werde weiterhin beim Mannschaftenwählen im Sportlehrerzimmer den Sitz meiner Frisur überprüfen und somit zur Charakterbildung der unfertigen Liebenswerten beitragen.
Turnbeutelvergesser
@Andreas
Im Haifischbecken Leben gelten diese ‚Tugenden‘:
„Unfähigkeit zur Selbstreflexion, Selbstüberschätzung und mangelnde Kritikfähigkeit sind vorprogramiert, wenn einen die Gleichaltrigengruppe nicht ab und zu unsanft in die Schranken weist. „, als ‚Tugenden‘ der Chefetagen und des Lehrerzimmers.
Du widersprichst dir also.
Mir scheint, deine Argumentation ist ebenso überholt, wie der zitierte 45-Minuten-Takt, dessen unreflektierte Beibehaltung vorallem die „Abschaffung der Gymnasien“ und die ‚Enstehung von Privatschulen‘ vorantreiben.
Ich würde die zitierten ‚Tugenden‘ noch um die Tatsache der Unflexibilität und mangelnden Fähigkeit der mentalen Fortentwicklung ergänzen.
Angst war schon immer ein schlechter Lehrmeister. Chronischer Stress erzeugt Depressionen und verhindert positive Leistungserfolge. Deshalb kann ich nur sagen, lieber Jochen, bestärke deine Schüler weiterhin positiv. Wer heute noch in diesen plumpen Konkurrenzkategorien argumentiert, kann unsere Schüler nicht wirklich auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Die Ereignisse in der Ukraine zeigen sehr gut, dass diese monomanischen ‚Siegermentalitätstypen‘ keine konstruktiven Fortschritte erzielen.
Andreas
Lieber Turnbeutelvergesser,
ich schließe mal aus ihrem Pseudonym, dass der von Ihnen erfahrene Sportunterricht beziehungsweise die sich anschließenden Berufsinstitutionen Sie stark „geturnbeutelt“ haben. Sie scheinen sowohl in der Institution Schule als auch im Berufsleben viele negative Erfahrungen gemacht zu haben. (Monomanische Sportlehrer, Lehrerzimmer und Chefetagen voller Selbstüberschätzung und mangelnder Kritikfähigkeit, depressive und von Angst geplagte Schüler)
Ihre Ausführungen klingen für mich wie die typische Außensicht (Elternsicht) auf Schule, in der stressgeplagte, überforderte Heranwachsende einem unerbittlichen Heer von fortbildungsunwilligen Monomanen unbewaffnet gegenüberstehen. Die Lösung dieses Ungleichgewichts sehen Eltern- und Schülerorganisationen und das hinterherhechelnde (manchmal auch ziellos vorauseilende) Ministerium in der Schaffung einer konkurrenzlosen Gegenwelt. (13 Jahre statt 12 Jahre zum Abitur, wer will auch gerne 12,5 Jahre oder 14, Abschaffung der Noten, Abschaffung des Sitzenbleibens, Verteufelung des Leistungsgedankens, deutliche Absenkung der Bewertungskriterien z.B. 40% für eine 4, Beliebigkeit der Leistungskriterien, bei einer Sprachmittlung ist heutzutage alles richtig, message before accuracy, Gesamtschulen etc.)
Nur als Randnotiz: In der Ukraine kämpfen Kriminelle gegen Kriminelle um zu verteilende Pfründe. Bitte glauben Sie nicht alles, was Ihnen unsere gleichgeschalteten Medien versuchen aufzutischen. In jeglicher Hinsicht.
Turnbeutelvergesser
Lieber Andreas,
für deine Klischeehuberei à la Sport/Deutsch/Englischlehrer, Lebensphilosophietyp „Berti Vogts“-Fussballmanschaftbuslyriker, hatte ich schon immer eine gewisse Schwäche.
Doch ganz im Gegensatz zu deinen leichtgewichtigen Vermutungen, war ich immer ziemlich gut im Sport. Die von dir präferierten „objektiven“ Leistungskriterien, von 20 bis 0 Klimmzügen/Liegestützen/etc. … abwärts gezählten und entsprechen benoteten, Körperertüchtigungs- und Klassifizierungsmaßstäbe, fand ich immer ziemlich lächerlich.
Fußball wurde für mich erst interessant, als dieser intelligent gespielt wurde. Das „F. Panzerfaust Magath“-Gebolze war mir immer zu uninspiriert. Auch das bei den schlichten Gemütern unter den Sportlehrern sehr beliebte, ich kann nicht mehr als drei Spielzüge voraus denken, Volleyball, hat mich eher gelangweilt.
Hier kann ich mich Herrn Rau anschliessen, obwohl ich nie schlechter als mit einer Zwei in Sport bewertet wurde, wären mir Tanz und Karate lieber gewesen.
Auch dem G8 kann ich durchaus Sympathie entgegenbringen, so es intelligent umgesetzt wird. Leider können das in Bayern weder Politik noch Lehrerschaft. Viele Schulen sind nicht einmal fähig einen intelligenten Stundenplan zu machen, geschweige denn nachhaltigen Unterricht anzubieten. Doppelstunde und Bayern, das geht überhaupt nicht zusammen. Dazu sind 90% der bayerischen Lehrer nicht fähig.
Und wer jetzt noch, die schon immer vorhandene „Beliebigkeit der Leistungskriterien“, leugnet, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.
Wer als bayerischer Lehrer glaubt, das Sitzenbleibe wäre zu etwas nütze, ausser seine eigene Unfähigkeit zu kaschieren, der möge sich die mangelten Erfolge der bayerischen Gymnasien ansehen und diesen Bildungsmisserfolg vernünftig erklären. Bisher konnte das keiner.
Randnotizergänzungsfrage: Welche bösen Medien haben uns das nur erzählt? Gibt es statt platter Behauptungen intelligente Erklärungen? Gibt es intelligentere und erfolgreichere Beschulungskonzepte als das bayerische Aussortierungssystem?
Turnbeutelvergesser
Fussballmannschaftbuslyriker
(mangelten ) mangelnden