Update November 2016: Der folgende Text ist leider nicht mehr aktuell. Aufgrund der unsäglich „kontextualisierten“ Wortschatzaufgaben kann man Wortschatz und Grammatik nicht mehr wie früher abprüfen und (Hintergrund-) Wissen darf auch nicht mehr verlangt werden.
Manchmal verstehe ich (meine) Kollegen einfach nicht. Auf der einen Seite jammern sie ständig, dass die Schüler immer weniger können bzw. überhaupt nicht(s) mehr lernen, auf der anderen Seite gestalten sie ihre Klausuren / Schulaufgaben (bei uns in Bayern „große Leistungserhebungen“) so, dass der Schüler gar keine Veranlassung sieht, etwas zu lernen.
Nehmen wir als Beispiel mal die 10. Klasse. Ich KANN für Klausuren das zweisprachige Lexikon zulassen, muss es aber Gottseidank (noch) nicht. Wenn ich das zweisprachige Lexikon zulasse, hat das vor allem zwei Folgen: Erstens macht ein Wortschatzteil (der bei mir immer mit grundlegender Grammatik kombiniert ist) normalerweise keinen Sinn mehr. Zweitens denken sich vor allem schlechtere Schülern „Ich brauche eh keine Wörter zu lernen, denn ich kann ja alles nachschlagen“. Wenn ich möchte, dass die Schüler ihren Lektionswortschatz lernen (und wer möchte das nicht?), dann muss ich ihn [Oje, ich trau mich kaum, so was Banales hinzuschreiben] ABPRÜFEN. Oder glaubst du im Ernst, dass deine Schüler „eigenverantwortlich“ und „aus Einsicht“ Wörter lernen, die sie dann in der Klausur gar nicht brauchen? Hast DU das in ihrem Alter gemacht? Oder falls deine Schulzeit schon weiter zurückliegt: Hast du an der Uni etwa freiwillig was „aus Einsicht“ gelernt, was dich nicht interessiert hat und von dem du wusstest, das es nicht abgeprüft wird? Na also, du hast, genauso wie deine Schüler, höchst ökonomisch analysiert bzw. versucht herauszufinden, was wahrscheinlich drankommt und genau diese Sachen gelernt und alles andere ignoriert.
Fies und völlig unakzeptabel ist es übrigens z.B. einen Wortschatzteil anzukündigen und ihn dann in der Klausur nicht zu bringen. Wenn du eine Woche vorher noch nicht sicher weißt, wie deine Klausur aussehen wird, dann musst du entsprechend vorsichtig formulieren: „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich gibt es einen kombinierten Wortschatz/Grammatik-Teil mit unserem Lektionswortschatz.“ Rechtzeitig vor der Klausur solltest du dann aber verbindlich festlegen, damit die Schüler wissen was sie erwartet.
Natürlich sollte sich die Bedeutung des Wortschatzes auch in der „Wertigkeit“ der Aufgabe widerspiegeln. Wenn es z.B. bei insgesamt 90 Punkte läppische 5 Punkte für Wortschatz gibt, wird das niemanden groß motivieren, dafür drei Seiten hinten im Buch zu lernen. In meinen Klausuren gibt es für den Vocab / Grammar Teil normalerweise 20 Punkte. Für schlechte Schüler ist das ein wirksamer Rettungsanker („Für (fast) ein Viertel aller Punkte lohnt es sich zu arbeiten“), und auch die guten bzw. ehrgeizigen Schüler erkennen, dass sie ohne diese Punkte niemals auf eine 1 oder 2 kommen werden.
Du möchtest, dass die Schüler sich die im Unterricht besprochenen Texte nochmal anschauen? Auch das werden sie nur machen, wenn es sich für sie lohnt, d.h. wenn sie in irgendeiner Form in der Klausur auftauchen. Am einfachsten geht das mit einer „background knowledge“ Frage. Lasse einen Text „in about x sentences“ zusammenfassen, eine Szene nacherzählen, eine Interpretation wiederholen und begründen usw.
Merke: Deine Schüler werden dann etwas lernen, wenn es sich aus ihrer Sicht auch „lohnt“. Wenn von vorneherein klar ist, dass die Klausur ausschließlich aus Mediation (in der Oberstufe: Translation), Listening Comprehension oder Reading Comprehension besteht, wird kaum ein Schüler etwas lernen, denn für diese Prüfungsformen kann man sich nicht gezielt vorbereiten (anderslautende Behauptungen von Lehrern sind schlichtweg falsch).
Fazit: Es muss sich für den Schüler deutlich erkennbar lohnen, etwas für eine Klausur zu lernen. Wenn etwas nicht drankommt, dann werden es auch die wenigsten lernen. Jammer deshalb nicht länger, sondern gestalte deine Prüfungen in Zukunft so, dass es sich für deine Schüler lohnt etwas zu tun. Für einen 20 Punkte Wortschatzteil braucht ein Schüler max. 10 Minuten (vor allem wenn du mein Tilden-System übernimmst), den kannst du immer zeitlich unterbringen.
Charlotte
Leider hat sich ja gezeigt, dass Vokabeln zu büffeln nicht besonders effektiv ist, um den Wortschatz zu erweitern… Ich glaube wir sollten als Lehrer lieber das Lesen als Hausaufgabe fördern und auch kontrollieren und abprüfen. Ich denke, dass das den Wortschatz weite mehr erweitert. Ich habe jedenfalls seit der 10. Klasse keine Vokabeln mehr gelernt und meinen Wortschatz vermutlich vervierfacht.
Ich habe hier auch eine aktuelle Studie dazu: http://www.netzwerktprs.de/2013/02/01/was-ist-doppelt-so-gut-wie-vokabeln-lernen/
Herr Rau
Möchte ja alles stimmen, aber ich würde es vermeiden, ein Experiment mit sieben Probanden als aktuelle Studie zu verkaufen.