Es gibt verschiedene Methoden zu entscheiden, welcher Schüler am Anfang einer Stunde mündlich geprüft wird; in Bayern benutzen wir für diese Prüfung übrigens noch das herrlich altmodische Wort „Rechenschaftsablage“ (= RA).
Eine beliebte Methode ist das „Auswürfeln“ des Kandidaten anhand der Klassenliste. Verbreitet ist auch die Methode, dass der Lehrer eine Klassenliste vor sich hat, irgendein (armer) Schüler eine Zahl sagen muss und dieser Schüler dann geprüft wird. Und dann gibt es noch die Lotterie-Methode: Alle Schülernamen werden auf Zettel geschrieben, diese kommen gefaltet in einen Behälter und zu Beginn der Stunde darf eine*r Losfee spielen.
Gemeinsam ist all diesen Verfahren, dass unbedingt der Eindruck erweckt werden soll, die RA sei rein zufällig und der Lehrer habe überhaupt keinen Einfluss darauf wer drankommt, ergo kann man ihm keinen „bösen Willen“ unterstellen, wenn ausgerechnet Schüler XY ausgequetscht wird.
Dieses zugrundeliegende Prinzip der Zufälligkeit ist m.E. vollkommen falsch, außerdem haben die einzelnen Methoden z.T. gravierende Nachteile. Beim Würfeln zeigt sich häufig die mangelnde mathematische Kompetenz von Sprachlehrern*innen. Wenn ich z.B. drei Würfel verwende, komme ich immerhin bis zu Schüler Nr. 18, aber die ersten zwei auf der Liste können nie drankommen. Das Nennen / Vorrufen einer Zahl ist eine ideale Gelegenheit, es sich mit einem Mitschüler für längere Zeit zu verderben bzw. andersrum einem verhassten „Opfer“-Mitschüler (ggf. wiederholt) eine reinzuwürgen. Man braucht dann lediglich abzusprechen immer wieder dieselbe Zahl zu nennen. Beim Lotterieverfahren weiß jeder, der schon mal dran war, dass er für den Rest des Halbjahres seine Ruhe hat, denn sein Zettel ist ja schon weg.
Meine RAs sind bewusst NICHT zufällig, sondern folgen einem transparenten System, das ich den Schülern zu Beginn des Schuljahres auch erkläre. Bevorzugt prüfe ich Schüler, die „kleine Leistungsnachweise“ (wie z.B. Vokabeltests) nicht mitgeschrieben bzw. verhauen haben. Selbstverständlich kommen diese Schüler nicht gleich in der nächsten Stunde dran, aber sie wissen, dass sie mit etwas zeitlicher „Verzögerung“ eine Chance zur „Wiedergutmachung“ bekommen. Danach kommen diejenigen dran, die sich nicht aktiv am Unterricht beteiligen und auch auf drängende Nachfragen (falls überhaupt) nur bits and pieces von sich geben. Die letzte Gruppe von RA-Kandidaten sind diejenigen, die vor dem Zwischen- bzw. Jahreszeugnis nur ganz knapp (z.B. mit 3,57) eine schlechtere Note bekommen würden. Nach der jeweils letzten Klausur bzw. dem letzten „großen Leistungsnachweis“ sage ich den Schülern – dank meiner Tabellen – auf die Kommastelle genau, wie es derzeit ausschaut („If there were reports tomorrow …“). Gleichzeitig betone ich, dass ich ungern jemand wegen ein paar blöden Zehnteln bzw. Hundersteln die schlechtere (Zeugnis-)Note gebe. Dieser Wink mit dem Zaunpfahl reicht dann wenigstens für die Schlaueren. Natürlich kommen die entsprechenden Kandidaten auch nicht gleich in der nächsten Stunde dran, allzu leicht soll es ihnen ja auch nicht gemacht werden. Auf diese Art gibt es bei mir niemals sog. “Korrekturfälle” und für die Schüler gibt es im Zeugnis keine bösen Überraschungen.
Wenn ich Schüler nach dem Zufallsprinzip prüfe, verzichte ich auf ein wirksames Mittel Schüler zu aktiver Mitarbeit zu motivieren. Von gut mitarbeitenden Schülern habe ich ja genügend mündliche Noten, da brauche ich keine zusätzliche RA-Note. Wenn ich den Eindruck habe, dass diese Regelung dazu führt, dass einige Leute keine mündlichen Hausaufgaben mehr machen, kann ich meine Regeln ja immer mal wieder brechen und ein bisschen unberechenbar bleiben 😉 Aus diesem Grunde kündige ich auch niemals zu Beginn des Schuljahres an, dass ich jeden Schüler mindestens einmal mündlich prüfen möchte. In kleinen Klassen / Kursen mag das noch gehen, in unseren üblichen 30+x Klassen führt das nur dazu, dass jeder, der schon mal dran war, ganz genau weiß, dass er für den Rest des Halb- bzw. Schuljahres seine Ruhe hat und seine Aktivitäten drosseln kann.
Ein Sonderfall von RA-Kandidaten sind Schüler, die ständig zu spät kommen. Der einzige Grund für das wiederholte Zuspätkommen kann natürlich nur sein, dass der Schüler sich so intensiv auf meine Stunde vorbereitet hat, dass er die Uhr ganz aus dem Blick verloren hat. Selbstverständlich gebe ich ihm dann gerne Gelegenheit das Gelernte zu präsentieren. 😉 Sehr wirksam ist diese Methode, wenn der Schüler, der eigentlich dran war, durch den Zuspätkommer abgelöst und damit „erlöst“ wird.
Anspielung in der Überschrift … Der Würfel soll NICHT geworfen werden.
Philipp
Rechenschaftsablage 🙂 m.E. immer noch besser als „Schulaufgabe AUS dem Englischen“ Was ist den da im Englischen drin???
Peter
Ich verfahre im Prinzip gerade gegen Ende eines Schuljahres genauso, dran kommen die, die ich „brauche“ (weil sie eben so oft gefehlt haben, nicht so mitarbeiten, dass man als Unterrichtsbeitrag auch was anderes als die 6 hergeben kann oder weil man eben noch den Schnitt um ein paar Zehntel „frisieren“ möchte).
Ganz anders sieht es bei mir am Schuljahresanfang aus, wenn ich beispielsweise in Stunde Nummer 3 die Vokabeln ausfragen möchte, die ich in Stunde Nummer 2 aufgegeben habe. Dann fällt mir beim besten Willen kein anderes Kriterium für die Kandidatenwahl ein als der reine Zufall…
Julian
>wenn der Schüler, der eigentlich dran war, durch den Zuspätkommer abgelöst und damit “erlöst” wird.
Aber was, wenn der Schüler eigentlich ganz angefangen hat? Oder umgekehrt, wenn es bei jemandem eher um 5 oder 6 geht und die RA schon kurz vor dem Ende ist?
>jemand wegen ein paar blöden Zehnteln bzw. Hundersteln die schlechtere (Zeugnis-)Note gebe.
>…Auf diese Art gibt es bei mir niemals sog. “Korrekturfälle”
Ich weiß, ich komm aus der Matheecke, aber manchmal ist das mit Grenzfällen nicht so einfach. Wenn jemand z. B. 3,66 schriftlich und 3,5 mündlich hat mit 6 mündlichen Noten, so ist das ja knapp (3,60). Nur, wenn der Schüler jetzt in der RA eine 2 hat, steht er dann mündlich auf 3,28, und insgesamt ist es dann 3,53, also immer noch 4, aber eben noch knapper.
Jochen
> Oder umgekehrt, wenn es bei jemandem eher um 5 oder 6 geht und die RA schon kurz vor dem Ende ist?
Dann natürlich nicht mehr. Nur wenn die Prüfung gerade erst begonnen hat.