„Lernerautonomie“ ist eine feine Sache:
Lernen wird als eine aktive Tätigkeit gesehen, die vom Lernenden selbständig durchgeführt werden muß. Der Lernende konstruiert sich sein Wissen aus den angebotenen Informationen – Lernen wird als „kreativer Konstruktionsprozeß“ gesehen. (Quelle)
Angefangen hatte alles im Januar, als wir (wieder mal) ein altes Abitur besprochen haben und die Schüler einen Aufsatz zu einem der Abitur-Themen schreiben sollten. Ein Großteil der Aufsätze war unter aller Sau nicht zielführend und aus handlungsorierentierter Sicht unbefriedigend. Daraufhin donnerte ich in der folgenden Stunde:
Most of your compositions were far below the expectations that I have now a few months before your Abitur. They are e.g. ridiculously short or have no (visible) paragraphs. I’m simply fed up with wasting my time with such rubbish.
From now on I will correct all kind of Abitur related homework only on a purely VOLUNTARY basis, but only until Fr. 20.4.07. Experience shows that many students panic a few weeks before the Abitur and flood their teachers with papers to correct. You will have to manage your time better.
Moreover I will correct your stuff only if you are willing to REVISE your work according to my revision rules. It is completely up to you e.g. if you revise your present Abitur composition. However if you do NOT want to work, then I won’t correct anything else from you in the future.
Seitdem habe ich von genau EINER Schülerin etwas bekommen. Meine Schüler haben also ganz autonom den „kreativen Konstruktionsprozess“ unter- bzw. abgebrochen, obwohl ich weiterhin „Informationen“ (in Form von Korrekturen) „anbiete“. Alles in allem eine feine Sache: Ich habe nichts zu tun und habe dabei auch noch ein pädagogisch reines Gewissen. Die Schüler lernen zwar nichts mehr und ich kann mir auch schon vorstellen, wie die Abitur-Aufsätze aussehen – aber das stört ja niemanden …
Gretchen
Sehr lustig! Vielleicht haben ihre Schüler sie nicht verstanden!?
Mit meinen kleinen Einsteins erlebe ich auch manchmal so witzige Sachen. Aber hauptsache alle Welt geht auf’s Gymnasium und macht Abitur.
Herzlichen Gruß von
Gretchen
Georg Werther
Ich kann diesem Verfahren nur zustimmen. Ich war früher so engagiert (= blöd), dass ich mich sogar in den Osterferien in die Schule begeben habe, um die Kursteilnehmer ein Probeabitur schreiben zu lassen. Viele haben das einafch nur so hingerotzt und dann auch noch kompetente Beratung erwartet.
Übrigens: ich finde, so kann man auch schon in Klasse 11 handeln. Die Schüler haben dann einen mittleren Schulabschluss, sind freiwillig hier. Ich sehe nicht ein, Texte zu korrigieren, bei denen schon vom 2. Satz ab sichtbar wird, dass sie nur pro Forma und ohne gedankliche Konzentration hingeschrieben wurden. Unleserliche Arbeiten lasse ich ohnehin zurückgehen.
Lupovia
Ich widerspreche recht heftig. Lehrer werden dafür bezahlt, dass sie Schülerinnen und Schüler zum Lernen motivieren. Wenn das nicht gelingt, versagen nicht die Schüler, der Lehrer hat versagt! Die Verpflichtung besteht, weil es Geld dafür den Lehrer gibt, auch bei Schülerinnen und Schülern, die freiwillig da sind.
Aus den Kommentaren spricht klare Selektionsmentalität.
Georg
Also was das mit der Bezahlung zu tun haben soll, wie Lupovia meint, erschließt sich mir nicht. Da werden Äpfel und Birnen aber ganz gewaltig vermischt!
Max
Schüler der Oberstufe werden sicher nicht zur _Studierfähigkeit_ hingeführt, wenn ein Lehrer Arbeiten akzeptiert, die nicht gewissen Mindestanforderungen genügen. Jochen tut gerade dadurch den Job, für den er bezahlt wird, indem er dafür sorgt, dass die Schüler _nicht_ erst im Proseminar oder am Arbeitsplatz diese schmerzhafte Lektion lernen müssen.
Richard
Puh… gleich vom Versagen zu sprechen, dass ist eine große Sache. Jochens Vorgehen kann, so finde ich sehr motivierend sein, enthält es doch das Angebot zu kompetenter Beratung.
Aber da wir das Thema an anderer Stelle hatten: Ich wage die These, dass am Rechner geschriebene Texte eher überarbeitet werden als handschriftliche. Da gibt es wohl auch Untersuchungen zu, aber ich bleib mal beim Eindruck und ergänze: Dann muss aber auch das Schreiben am Rechner im Unterricht „Tradition“ haben.
Sorry, falls ich nerve! 😉
Jochen
> Dann muss aber auch das Schreiben am Rechner im Unterricht “Tradition” haben.
Traditionen lassen sich ja auch „etablieren“, indem einer mal anfängt und hofft, dass die lieben Kollegen … 😉 Reicht ja schon, wenn es bei bestimmten Lehrern „Tradition“ ist.
Richard
Das würde bedeuten, man würde auf methodische Vielfalt setzen und den einzelnen Lehrer in seiner Professionalität ernst nehmen.
Jeep! Da bin ich ganz bei dir. Und wenn dann irgendwann doch alle mal mit dem Laptop… dann ist das auch … ok! 😉
Stephan
Einfach nur gut! 🙂 Du sprichst mir aus der Seele. Ähnliches wende ich bei Hausübungen an. Wenn SchülerInnen diese nicht zeitgerecht abgeben, sondern mir haufenweise (abgeschrieben) vor Schulschluss hinfetzen (in der Hoffnung, an der Note noch etwas zu ändern), werden diese Arbeiten weder korrigiert (wozu soll ich meine Zeit verschwenden?) noch finden sie übermäßig großen Eingang in die Beurteilung …
lupovia
Nur auf die Idee, dass es auch etwas mit seiner Leistung als Lehrer zu tun haben könnte, wenn die Schüler unleserlich schreiben, kommt er nicht. -
Jedes Schülerversagen ist auch eine Anfrage an die Leistung des Lehrers; in diesem Beruf muss man sich immer selbst kritisch befragen. Das Ergebnis kann dann sehr wohl sein, dass die Grenzen der Möglichkeiten, die man als Lehrer hat, erreicht sind.
Jochen
> Nur auf die Idee, dass es auch etwas mit seiner Leistung als Lehrer zu tun haben könnte, wenn die Schüler unleserlich schreiben, kommt er nicht.
Stimmt, auf so einen Quatsch bin ich bisher noch nicht gekommen.