Vor kurzem ging es bei EnPaed um das Thema Unterrichtsstörungen. Wolfgang Alkewitz hat folgendes „Sammelsurium aus der Praxis für die Praxis“ zu bieten:
Lege dir ein persönliches, berufliches Tagebuch, ein Lehr-Portfolio, an. Reflektiere deine pädagogischen Grundwerte, deine Praxis, schreibe deine Gedanken und Gefühle auf, deine konkreten Ziele und was daraus geworden ist. Sei kreativ. Es ist nur für dich allein, denn Schreiben hilft oftmals beim Denken.
Die Störer stören nicht nur dich und deinen Unterricht, sondern auch die Mehrheit der anderen Mitschüler und ihren Unterricht: Sei nett zur dieser Mehrheit, und zu der Minderheit der Störer sei höflich-bestimmt.
Es gibt genau genommen keine „Störer“, sondern Schüler, die sich in ihrer jeweiligen Entwicklungsphase auffällig verhalten, so dass es dir negativ auffällt. In einem anderen Kontext bzw. auch eine gewisse Zeit später sind sie ’normale‘ Menschen. Reagiere nicht auf den „Störer“, sondern auf sein Stören und erkenne dabei den jungen Menschen, für den dieses Verhalten gerade dran ist. Lerne es, Störungen zu ‚lesen‘.
Überprüfe deine Vorstellungen von einem guten Unterricht: Gequatsche *kann* ein Zeichen dafür sein, dass jeder thematisch engagiert ist; in einem solche Falle kannst du aus der Not eine Tugend bzw. einen eigenen Unterrichtschritt machen: Jeder tausche sich mit seinem Tischnachbarn über die Aufgabe „…“ aus (und du gehst durch die Klasse und zeigst mit Daumen und Zeigefinger, welche zwei du meinst). „Nach 30 Sek. (60 Sek., 2 Min. …) frage ich einige, was sie herausbekommen haben.“
Tausche dich mit den Klassen- bzw. anderen Fachlehrern über die Störungen bzw. die Störenden aus. So kannst du wertvolle Hinweise für dein weiteres Vorgehen bekommen und Verbündete finden für ein gemeinsames Vorgehen, z.B. gemeinsame Klassenregeln, Aufsicht von Sonderstunden usw.
Besorge dir die Telefonliste der Klasse und rufe Eltern an. Auch Eltern von negativ-auffälligen Schülern interessiert (meist) das Ergehen ihrer Kinder in der Schule. Wenn allerdings eine Bemerkung kommt wie: „Rufen Sie ruhig an, wenn er wieder gestört hat. Dann schlage ich ihm eine.“ – dann sei vorsichtig mit dem, was du wem kundtust.
Nimm dir die Zeit (!) und rede mit auffälligen Schülern; vielleicht haben sie ja nachvollziehbare Gründe (ADHS, Scheidung der Eltern, jemand Neues in der Klasse, etc.) Erarbeite mit ihnen individuelle, operationalisierte Zielverträge („Ich will im Englischunterricht bei Frau Sowieso bis zum … folgende Verhaltensweisen einüben: Ich melde mich in jeder Stunde x‑mal. Ich achte darauf, dass ich nicht quatsche, wenn jemand anders spricht.“ etc.) und rede dann mit dem Schüler nach dem eingeplanten Stichtag darüber: was hat er aus seiner Sicht /nicht/ erreicht, was aus deiner Sicht; was ist jetzt dran. Für manch einen Schüler ist es allein diese Zuwendung von dir, welche Wunder wirkt.
Baue dir Unterrichtsstunden, die Methodenwechsel ‑und vielfalt incl. ein paar interessanter Bonbons beinhalten (einen Song hören, ein paar jokes lesen / erzählen, ein Kreuzworträtsel lösen oder erstellen etc.). Aber sei behutsam damit, alles auf einmal völlig umzukrempeln – jede Stunde eine Änderung ist wirkungsvoller und von dir beherrschbarer.
Entwickle im Laufe der Zeit Routinen, die die Schüler von alleine, d.h. ohne dein wiederholtes Mahnen durchführen und fordere sie auch ein – z.B. zu Beginn der Unterrichtsstunde alle relevanten Materialien auf dem Tisch haben („the golden hand“: book, exercise book, … – und nichts anderes); schreibe Lexik und anderes immer an denselben, jeweiligen Tafelbereich, und die Schüler müssen dann die Vokabeln etc. immer unaufgefordert abschreiben etc.
Es gibt etliche Gründe, die zu Unruhe in einer Klasse führen: Streit in der Pause, eine Klassenarbeit vor oder nach deiner Stunde, Unterricht bei einem Chaos-Kollegen in der Stunde vorher etc. Es ist halt (in der Stunde erst einmal) so, das hat nichts mit dir als Person zu tun.
Besorge dir ein akustisches Signal für die Klasse; wenn du es anschlägst, müssen sie (lernen) still (zu) sein. Es bietet sich besonders dann an, wenn Paare / Gruppen gearbeitet haben und du diese Phase beendest. Besorge dir desweiteren einen Timer (beispielsweise eine Backuhr): „Für die folgende Aufgabe habt ihr x Minuten Zeit ( und nicht länger); dann klingelt die Uhr und wir besprechen die Ergebnisse.“ (Falls du falsch kalkuliert hast, kannst du sie zwischendurch in die Hand nehmen und ein wenig nachkorrigieren …). Schreibe Aufgaben – die immer ein konkretes Ergebnis haben sollten („Find 5–7 adjectives which show that …“) und die geschätzte Zeitvorgabe.
Letzteres ist Teil eines umfassenderen methodischen Konzepts, dem „Kooperativen Lernen“ und beinhaltet noch viel, viel mehr, z.B. auch Einzelarbeitsphasen. Setze dich überhaupt mit verschiedenen Unterrichtsmethoden und ‑konzepten auseinander und übernehme das (für dich gerade) Beste daraus.
Verteile Lob, wenn es angebracht ist (natürlich *nicht* grundlos): mündlich oder schriftlich (z.B. in Form von reward stickers, die in der 5. und 6. Klasse sehr gefragt sind).
Übe deine verbale Schlagfertigkeit: reagiere auf Schülerbemerkungen so, dass du die Lacher auf deiner Seite hast. Das ist allerdings eine hohe Kunst, die unter Stress nicht so gut gelingt. Unterlasse es auf jeden Fall, ätzende Botschaften in die Klasse zu senden („Ihr seid alle …“). Deine Kritik sei berechtigt, wohlwollend, konkret, sachlich und persönlich.
Mache dein „Produkt“, die englische Sprache, für die Schüler attraktiv: Man kann mit ihr Songs verstehen, Filme im Original schauen, Bücher im Original lesen, englische Internetseiten im Original lesen, mehr Geld im Beruf später verdienen, mit einem Jugendlichen von einem anderen Kontinent chatten etc. Mit der englischen Sprache haben wir es da glücklicherweise viel einfacher getroffen als andere Fachkollegen (z.B. Latein).
Nutze Pausenaufsichten u. ä., um mit Schülern – gerade auch mit denen aus schwierigen Klassen – locker und ‚außerunterrichtlich‘ ins Gespräch zu kommen.
Mache einen informierenden Unterrichtseinstieg mit Stichworten: das und das machen wir heute (kann ruhig was Interessantes dabei sein); am Ende der Stunde ein Rückblick zum Abhaken: das und das haben wir geschafft – das und das haben wir nicht geschafft – weil … (ich zu viel geplant, ihr zu laut, etc. => 2 Minuten Klassengespräch für diese Reflexion anberaumen; nicht zuviel, da sie sonst lieber labern als lernen …) – Später lässt sich das von dir erweitern: das und das haben wir nicht geschafft, weil ihr zu wuselig / unruhig war, also müsst ihr das als Hausaufgabe zusätzlich bearbeiten).
Stelle deinen Schülern das Problem („Es ist sehr oft zu laut hier, so dass viele weniger lernen, als es eigentlich möglich wäre, deshalb habe ich mir überlegt, dass wir hier etwas ändern müssen.“ ) und deine Ideen für Sanktionen und dein ‚Notierungssystem‘ (z.B. Klassengesprächs-Regeln, Störer an eine bestimmte Tafel zu schreiben) den Schülern vor („Deshalb habe ich mir gedacht, das ich folgendes mache: …“). Dann frage sie, ob sie weitere („noch bessere“) Ideen haben und integriere diese, wenn sie sinnvoll sind.
Bei Störungen, Disziplinierungen und Reflexionen darüber mit der Klasse rede auch in Englischunterrichtsstunden deutsch, denn in einer Fremdsprache kann man Schüler meist nicht so tief erreichen wie in der Muttersprache. Das Ideal der (aufgeklärten) Einsprachigkeit betrifft den eigentlichen Englischunterricht – und selbst da nicht immer.
Erarbeite mit der und für die Klasse zu allererst „Gesprächsregeln für den Klassenunterricht“ und ggf. auch für andere Sozialformen – lass sie auf ein großes Plakat schreiben (Tapete o.ä.) und hänge sie auf. („Wer etwas sagen will, meldet sich. Wer sich meldet wartet, bis er dran genommen wurde. Wenn jemand drangenommen wurde, gibt er seinen Beitragt. Wenn einer etwas sagt, hören die anderen so zu, dass sie darauf antworten könnten.“ usw.). Da solltest du ruhig über mehrere Stunden bzw. Wochen immer wieder machen, 1. damit sich das bei den Schülern einprägt, 2. damit du ggf. mit Hilfe der Schüler weitere Ideen bekommst. Nimm die jeweilige Klasse in den Veränderungsprozess hinein, gib dir und der Klasse Zeit für die Veränderung.
Schrei nicht in der Klasse, sonst steigt als Echo der allgemeine Lärmpegel. Installiere dir einen Disziplinierungsplatz im Klassenraum (z.B. in der Mitte vorne, aber nicht direkt vor der Tafel (das kann der Erklärungsplatz sein) und mache ggf. eine Geste dazu (eine beruhigendes Hände-nach-unten-halten): „Immer, wenn ich hier stehe, möchte ich, dass ihr sofort aufhört zu sprechen. Das mache ich immer dann, wenn …“). Wenn du in der Klasse disziplinierst, dann ggf. laut (nicht: hysterisch, sondern aus dem Unterbauch heraus, wie beim Singen) anfängst und in ein paar Sekunden immer leiser sprichst.
Erarbeite dir eine Sanktionsleiter: je öfter ein Schüler stört, desto mehr Zeit muss er am Nachmittag für eine Sonderaufgabe aufwenden; das können einfache Abschreibaufgaben sein, aber auch komplexere, bei denen man ‚denken‘ muss (z.B. die Gesprächsregeln abschreiben / jeweils erläutern / Beispiele dafür finden / eine Erzählung einer super Englischstunde erfinden, etc., Plakat erstellen zum Thema XY). Regel: für jede nicht gemachte Aufgabe gibt es eine weitere dazu.
Mache deine Sanktionen transparent („Wen ich einmal an die Tafel schreibe, bekommt eine extra Aufgabe; bei weiteren Störungen, die ich in Form von Strichen an der Tafel aufzeichne – damit ich das nicht vergesse und jeder andere das überprüfen kann – gibt es eine weitere Aufgabe dazu.)
Sei konsequent. Wenn du was ankündigst, führe es auch durch, damit kein unschöner Teufelskreis beginnt. ABER sag den Störern nicht sofort, was sie tun müssen (es sei denn, du willst deine Ruhe vor ihnen haben: dann können sie gleich anfangen, Seite x abzuschreiben), sondern: „Komm bitte nach der Stunde zu mir ans Pult. Dort besprechen wir dein Verhalten.“
Entwickle dir eine zeitökonomische Methode, nicht gemachte Aufgaben zu notieren und ggf. zu erweitern.
Gehe zu Beginn der Stunde jedesmal durch die Klasse, um zu überprüfen, dass jeder die Hausaufgaben gemacht hat (Sichtprüfung). Für nicht gemachte oder dahingeschmierte HA machst du dir jeweils einen Strich zur Erinnerung, bei x nicht gemachte Aufgaben folgt eine zusätzliche Sanktion.
Einigen Schülern kannst du sagen, was du willst – deswegen sei auch mal ‚handlungsorientiert‘ in deinem Sanktionsrepertoire: Verdonnere den / die Störer zu einer Zwangsnachhilfe bei dir in der Schule. (Notfalls musst du eine Stunde dabei sitzen, in deiner Freizeit – ein kurzfristiger Einsatz, damit es langfristig besser wird.)
Auch effektiv: sammle bei jeder Störung an der Tafel die Anzahl der Minuten, in denen Unterricht nicht möglich ist. Nach x Minuten entfällt ein besonderes Unterrichts-Bonbon. Oder: Nach (30-)45 Minuten beraume eine Nachholstunde für alle ein.
Stelle Erfolg fest, den du in einer Klasse bewirkt hast und mache ihn ‚dingfest‘: erzähle deiner besten Freundin / Kollegin / in Enpaed davon … Lobe dich für das Erreichte und belohne dich dafür.
Suche insb. auch privat deine Kraftquelle(n) auf. Nur ein wohlgemuter, ungestresster Lehrer ist ein guter Lehrer.
Glaube nicht daran, dass das Befolgen von Ratschlägen dir weiterhilft. Alles, was anderen hilft, muss dir nicht helfen, kann aber gleichwohl Anregungen dafür geben, dass du deine (Disziplinierungs-) Methode weiterentwickelst. In der NLP sagt man: „Wenn etwas nicht funktioniert, probiere etwas anderes.“
Claudia Boerger
Danke für diese schöne Ideensammlung!
Silvia Moritz
Es ist spät am Abend und ich sehe, dass es wohl überall dieselben Baustellen gibt – und viele verschiedene Lösungen. Hier gefallen mir viele! Danke.