Die Mediation hat uns das große, „sinngemäße“ Wischi-Waschi gebracht. Hauptsache, der Schüler hat „die Kernaussage erfasst“ („getting the gist“), dann noch ein bisschen „summarising“ und „paraphrasing“ – passt schon. Also bitte, Herr Kollege, so genau muss das doch alles bei der Sprachmittlung nicht sein – Details und sprachliche Feinheiten sind nebensächlich – die schlechteste Note ist meistens eine 4. Die Schüler werden auf dem Papier besser und alle freuen sich.
Einen großen Vorteil hat die Mediation trotzdem: Neben E – D darf man jetzt auch wieder D – E mitteln. D – E war ja jahrzehntelang ganz bäh. In meiner eigenen Schulzeit war es selbst in der Oberstufe ganz normal anspruchsvolle deutsche Texte ins Englische zu übersetzen. Man war tatsächlich davon überzeugt, dass man dafür solide Grammatikkenntnisse benötigte und dass es die englische Ausdrucksfähigkeit schulen würde. Aber dann kam der große Umschwung und seitdem hatten wir in Bayern nur noch die unselige E – D Translation. Deutsch-englische Übersetzungen gab es noch in der Unter- und gelegentlich in der Mittelstufe, aber keinesfalls in der Oberstufe.
Vielleicht kommt der Wunsch ja auch mal von (guten) Schülern, die es leid sind, immer nur „sinngemäß“ zusammenzufassen und die stattdessen mal nachbohren und wissen wollen, wie man denn nun etwas „richtig gut“ übersetzen könnte.
Nehmen wir als Beispiel einen Satz aus einem Artikel in der heutigen SZ (30./31.5./1.6., S. 17 „Nutzlos, dumm, promisk“), in dem es um das britische Klassensystem geht. In Hinblick auf die „white working class“ schreibt der Independent: „Generationen werden in verlotterten Sozialsiedlungen aufgezogen, im Sumpf von Sozialhilfeabhängigkeit, Drogenmissbrauch und einer Kultur der Arbeitslosigkeit.“
Was machen wir mit diesem Satz bei der Sprachmittlung? Irgendwas Läppisches in der Art von: „Generations will live under bad living conditions.“
Wenn ich den Satz hingegen übersetzen will, muss ich deutlich mehr leisten. Das erste Problem ist schon mal ‚aufziehen‘. Wenn ich bei LEO nachschaue, bekomme ich eine lange Liste von (in diesem Zusammenhang) völlig blödsinningen Wörter wie ‚banter‘, ‚josh‘, ’spin‘ etc. Ein Blick ins Große Oxford Wörterbuch zeigt mir jedoch, dass die beste Übersetzung hier offenbar ‚bring sb. up‘. Daraus könnte man schon etwas lernen …
Matthias Heil
Bei aller Zustimmung zu Bedeutung und Wert präziser Übersetzungsarbeit bin ich mit dem „mehr lernen“ nicht so sicher: zügige E‑D-Mediation ist doch auch das, was unsere Lernenden beim Genuss englischer Musik, Lyrics, TV und nicht selten auch im Unterricht leisten müssen um überhaupt etwas zu verstehen – und damit eine Schlüsselfähigkeit, die zu Recht in den Bereich der schriftlichen Überprüfung gehört – so ganz unzumutbar ist die Bewertung von Mediation Tasks auch nicht, sie erfordert halt nur ein anderes Maß. Ich bekomme da nicht selten auch recht geschickte (und auch witzige) Umsetzungen vorgelegt, die dann durchaus auch Sprachgefühl und ‑kreativität signalisieren, die sonst nicht so klar wahrnehmbar werden. Dazu kommt, dass „sorgfältig und genau anspruchsvolle Texte ins Englische (zu) übersetzen“ gewisse Motivationsprobleme schafft und meist keine oder doch arg künstliche Kommunikationssituationen schafft – was mit meinem Ideal eines auf „RealLife-Performanz“ hin orientierten Unterrichts nicht gut zusammenpasst.
Zu LEO: That’s exactly why I don’t like (and, to my students‘ utmost astonishment, cannot really recommend) it… da steckt zwar ganz viel Mühe und Liebe drin, die Zahl der Fallstricke durch abenteuerliche Sortierung exotischer, manchmal auch non-existenter Wortbedeutungen ist jedoch nicht unerheblich. Für Grundkurse tut’s schon das spartanische pons.eu
Herr Rau
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Mediation und summary? Dass Quell- und Zieltext in verschiedenen Sprachen sind?
Matthias Heil
…ja, und der – evtl. Anpassungen erforderlich machende – situative Rahmen: http://share.xmind.net/matthiasheil/mediation‑1/ (unten rechts)
Jochen
@ Matthias
> zügige E‑D-Mediation ist doch auch das, was unsere Lernenden beim Genuss englischer Musik, Lyrics, […] leisten müssen
Stimmt, nur möchte da ein guter Schüler eben oft auch wissen, worum es genau geht und nicht nur „sinngemäß“, dass es ein Liebeslied ist. Und dann wären wir wieder bei einer genauen Übersetzung.
Ich fände es schon einen großen Fortschritt, wenn sowohl Sprachmittlung als auch Übersetzung in BEIDEN Richtungen gleichberechtigt nebeneinander stünden.
> Dazu kommt, dass “sorgfältig und genau anspruchsvolle Texte ins Englische (zu) übersetzen” gewisse Motivationsprobleme schafft
Und in der anderen Richtung? Meine Schüler hassen nichts mehr als einen Text „eigentlich“ zu verstehen, aber ihn nicht angemessen im Deutschen wiedergeben zu können.
@ Herr Rau
Diese Frage habe ich auch schon bei diversen Fortbildungsveranstaltungen gestellt und NIE eine vernünftige Antwort bekommen. Auch in den neuesten Lehrbüchern wie „Green Line Oberstufe Bayern“ (pp. 298–299 „Translating, mediating, interpreting“) wird der Unterschied nicht deutlich. Ergo: Sprachmittlung = Summary in der jeweils anderen Sprache.
Matthias Heil
> worum es genau geht und nicht nur “sinngemäß”,
> dass es ein Liebeslied ist
Das wäre mir in der Mediation einer lyrischen Vorlage zu ungenau; auch deine zugespitzte Independent-Mediation im Beitrag würde ich nicht als geglückt einschätzen, da zu viel Prägendes der Vorlage verloren geht.
> Meine Schüler hassen nichts mehr…
Das ist doch schön. Es hindert dich ja auch nichts daran, im Unterricht bei Bedarf auch gründlich zu übersetzen. – Als Klausurbestandteil, fürchte ich, ist diese präzise Übersetzungstätigkeit unter Zeitdruck nicht unproblematisch (da zu fehleranfällig) – nicht zuletzt angesichts der Sprachkompetenz, die wir auch nach 7–8 Lernjahren bei unseren Schülerinnen und Schülern realistischerweise voraussetzen dürfen.
> Ergo: Sprachmittlung = Summary in der jeweils anderen Sprache.
Ich wiederhole mich: Ja, UND/ABER unter Berücksichtigung eines in der Aufgabenstellung evtl. vorgegebenen situativen Filters, der grammatikalische Anpassungen, stilistische Veränderungen und Auswahlkriterien erforderlich machen kann – Beispiel: GK 12 – Poster auf http://www.donau-uni.ac.at/de/department/bildwissenschaft/appliedgamestudies/index.php (Box unten rechts sollte ignoriert werden) – Aufgabenstellung dazu: „Mediation: You are a tech-friendly German teacher responsible for a class of English teenage students. They really want to know what the attached poster „Die 11 Kernkompetenzen…“ is all about. Summarize it for them [in no more than 80 words]! (25%)“ – Trotz des „Summarize“ in der Aufgabenstellung ist bei diesem Design m.E. mehr erforderlich als das, was ich üblicherweise zur „Summary“ unterrichte.
Jochen
> UND/ABER unter Berücksichtigung eines in der Aufgabenstellung evtl. vorgegebenen situativen Filters
Der mit Abstand häufigste „situative Filter“ für E – D Mediation, der mir ständig begegnet, ist die Großmutter/der Großvater, der/der kein Englisch kann 😉
Matthias Heil
Stimmt, der ist ein echter Frühklassiker!-) – Im aktuellen Green Line gibt es manchmal auch ein bisschen spannendere Aufgabenstellungen, die dann zumindest Mitdenken hinsichtlich der Personalpronomina verlangen – ist schon mal ein Anfang… – Aber es wird uns niemand verbieten kreativ zu sein und herausforderndere Settings zu entwickeln um Mediation spannender zu machen!)