Abiturfeier – Verabschiedung der LK Lehrer. Der Kurs hat sich auf der Bühne versammelt. Nach längerem Getuschel ergreift eine Schülerin das Mikrofon: „Äh, das ist jetzt ein bisschen peinlich [verdruckstes Kichern], aber ich habe mein Skript vergessen. Na ja, sag ich halt spontan was …“ Es folgt ein hilfloses Gestammel, ohne erkennbaren Zusammenhang, kaum ein Satz, der ordentlich zu Ende geführt wird. Gottseidank sind es nicht meine Schüler, aber ich möchte aus Scham am liebsten im Erdboden versinken.
Der zweite Kurs hat immerhin ein Lied vorbereitet, man schöpft Hoffnung – doch dann: „Leider hatten wir keine Zeit das vorher zu üben, aber bekanntlich zählt ja der gute Wille [verlegenes Kichern].“ Es folgt ein schauerlicher Singsang, von dem man kaum etwas versteht.
Der dritte Kurs hat es offensichtlich nicht mal geschafft sich vorher zu einigen WER überhaupt was sagen soll. Das muss jetzt erstmal auf der Bühne ausdiskutiert werden. Endlich erbarmt sich jemand: „Äh, ich hab jetzt natürlich nichts vorbereitet, ich sag jetzt halt mal spontan was …“
Dass Schüler bei solchen Gelegenheiten nervös sind – geschenkt. Jeder darf sich mal verhaspeln, versprechen, einen Satz nochmal anfangen usw. aber solche jämmerlichen Auftritte … Was denkt z.B. der Vater neben mir? Wie der aussieht, kommt der sicher „aus der Wirtschaft“. Wie wird er in Zukunft unser ganzes Präsentations-Gedöns beurteilen? Vielleicht sollten wir (mehr) üben, wie man vor Leuten einen ca. 2 Minuten langen Text einfach nur halbwegs flüssig VORLIEST (freies Sprechen erwarte ich ja gar nicht).
Warum sind solche Auftritte den Schülern nicht fürchterlich peinlich? Schließlich sitzen doch da Eltern und vielleicht Verwandte. Will man sich normalerweise nicht von seiner besten Seite zeigen?
Und warum stehen da so oft die „sprachlich Herausgeforderten“, die Rumdruckser, Stammler, Nuschler und verlegenen Kicherer? Warum nicht die Eloquenten, Witzigen, Geistreichen und spontanen Improvisationskünstler?
Und wenn man sich DANN noch überlegt, was mal die letzten zwei Jahre gemacht hat: „How does the author try to make his text more interesting?“ – „Comment on the author’s use of humour.“ – „What effect do the various images have on the reader?“ – „Analyse the author’s choice of language.“ usw.
Ach ja, der Höhepunkt der zwei Jahre war natürlich fast immer das gemeinsame Eis- / Pizza- / Kuchenessen. Wow, wie motivierend. WAS ich im Unterricht mache und vor allem WIE ich das mache, interessiert offensichtlich niemanden, Hauptsache es gibt oft genug Kaffee und Kuchen.
Wie kommen solche „Verabschiedungen“ bei den betroffenen Lehrern an? Die meisten spielen brav mit, lächeln tapfer und tun so als ob sie sich über die oft geistlosen Geschenke freuen würden. ICH denke mir allerdings: Was ihr hier bietet ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Vielleicht hattet ihr Probleme mit eurem Lehrer und es lief nicht alles hundertprozentig, aber jeder, der zwei Jahre lang einen LK unterrichtet hat, hat ein Recht darauf, dass sich wenigstens EIN Schüler mal rechtzeitig hinsetzt, ein paar Zeilen zu Papier bringt, dieses Papier NICHT am Tag X vergisst und diese läppischen paar Zeilen so oft geübt hat, dass er sie auch vor Publikum halbwegs flüssig vorlesen kann. Und wenn euch diese Ansprüche schon zu hoch sind, dann lasst bitte die Verabschiedung ganz.
Und ich will NICHT für gekauften bzw. von meiner Frau gebackenen Kuchen gelobt werden …
sije
Gäbe es denn eine Möglichkeit, derartige Zeilen der versammelten Gesellschaft direkt via Mikro vorzutragen. Wäre eine nette Lektion, nämlich eine authentische Reaktion, und das fehlt ja unseren Küken immer öfter. Dann könnten sie sich eine neue Abifeier überlegen, was sie wahrscheinlich machen würden, und endlich selbst gestalten, und das Programm in ihre Hände nehmen.
Herr Rau
Richtig schlampige und lieblose Abifeiern habe ich noch nicht erlebt. Dieses Jahr hat eine kleine Technikgruppe für einheitliches Design und Auftreten gesorgt. Aber witz- und geistlose Beiträge kenne ich auch. Manchmal sind die Abireden der Schüler gut (ich bitte dann auch ums Manuskript, zeige Schülern in der Kollegstufe auch Beispiele, in vager Hoffnung), manchmal fragt man sich aber, warum nicht andere Leute die Rede gehalten haben.
Etwas Enttäuschung ist meist dabei. In der Abizeitung (zwei Seiten DIN A 4 pro Schüler) nennen Schüler ihre liebsten Erinnerungen an die Schule. Zu oft: Partys. Saufen. Einmal Vandalismus.
Darcie Bramlette
Toller Artikel ich habe, mir den Blog, direkt meinen Bookmarks hinzugefuegt. Ich bin gespannt was es hier noch gutes zu lesen gibt.