Schon seit ein paar Jahren ist „schüleraktivierend“ das didaktische Zauberwort. Alles was Schüler „aktiviert“ ist von vorneherein positiv, wozu sie aktiviert werden und wie sinnvoll diese Aktivität ist, wird hingegen nur selten thematisiert.
Häufig bedeutet „aktivierend“ einfach „Es rührt sich was“: Schüler füllen, ggf. an verschiedenen Orten im Klassenzimmer, Arbeitsblätter aus, malen bzw. gestalten „Lernposter“ oder laufen durchs Klassenzimmer um sich etwas anzuschauen oder um irgendwas zu finden und zusammenzusetzen. Was bringen diese Aktivitäten/Methoden eigentlich?
Machen wir zunächst einen kleinen Ausflug zum Sport. Das entscheidende Kriterium für die Bewertung einer Sportstunde ist (hoffentlich): Wie lange und wie intensiv haben sich die Kinder bewegt? Eine Stunde, in der sie sich viel bewegt haben, ist per se besser als eine, in der sie die meiste Zeit nur rumgesessen sind. Das zweite Kriterium ist die Qualität der Bewegung. Man kann sich vorstellen, dass Kinder 35 Minuten lang in einer Halle herumtoben und durcheinander laufen. Dann haben sie sich zwar lange und intensiv bewegt, es war aber sicher keine gute Sportstunde, weil der Bewegung Qualität, also Sinn und Zweck, gefehlt hat.
Der Bewegungszeit im Sport entspricht im Sprachunterricht die Sprechzeit. Es mag viele andere Dinge geben, die wir im Fremdsprachenunterricht auch vermitteln möchten (kooperatives Lernen, interkulturelle Kompetenz etc.), aber dass das Sprechen an erster Stelle kommt, ist wohl unstrittig. Eine Stunde in der viele Schüler viel sagen, ist also per se besser, als eine, in der wenig (oder gar nichts) gesprochen wird.
Der Bewegungsqualität entspricht die Qualität des Gesagten. Unabhängig davon, worum es gerade geht, geht es zunächst einmal immer um sprachliche Qualität. Eine Idee soll nicht nur (very) good sein, sondern brilliant, allgegenwärtige Werbung ist ubiquitous und nicht nur eine which you can see in many places. Darüber hinaus gibt es die kommunikative bzw. inhaltliche Qualität. Spricht der Schüler zum Thema und wird klar, wie sich das, was er sagt, zu dem verhält, was sein Vorredner gesagt hat oder bekommen wir nur ein Sammelsurium an unzusammenhängenden Äußerungen, die alle nur „irgendwie“ was mit dem eigentlichen Thema zu tun haben?
Nehmen wir als Beispiel das US education system. Es soll darum gehen, welche Vor- und Nachteile das (zumindest in der Theorie) non-selective amerikanische System und das gegliederte Schulsystem in Bayern haben. Zur sprachlichen Qualität gehört entsprechender Wortschatz wie (highly) gifted student (und nicht nur good students), underachiever (und nicht nur bad students), streaming, advanced classes usw. Inhaltliche Qualität entsteht, wenn das eigentliche Thema im Fokus bleibt: Nein, es soll jetzt nicht um die Rolle des Sports gehen – Über die unterschiedlich langen Schultage können wir nachher sprechen – Bullying ist ein interessanter Aspekt, darum geht’s jetzt aber nicht usw.
Wenn man sprachliche und inhaltliche Qualität als die beiden entscheidenden für Sprachunterricht akzeptiert, hatte man auch klare Kriterien für die Evaluierung von Methoden. Den höchsten Score in Hinblick auf sprachliche und inhaltliche Qualität hat danach das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch, denn hier kann der Lehrer am besten steuerend und verbessernd eingreifen. Den höchsten Score in Hinblick auf Sprechzeit hat, zumindest in der Theorie, die Partnerarbeit. Schon in Kleingruppen sinkt die Sprechzeit vor allem der schlechteren Schüler erheblich. In der Praxis sprechen die Schüler allerdings oft nicht Englisch und bleiben auch nicht beim gegebenen Thema. Nur wenn der Lehrer gefährlich nah kommt, tun sie so als ob, sobald er sich wieder entfernt, geht’s oft auf Deutsch wieder um etwas völlig anderes.
Alle (angeblich) „schüleraktivierenden“ Methoden müssen sich an diesen beiden Methoden messen lassen. Sie müssen m.E. mindestens so gut wie eine der beiden sein, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Nehmen wir als Beispiel mal die „Fishbowl“ Methode. Als erstes braucht man für den Umbau des Klassenzimmers am Anfang und am Ende der Stunde Zeit. Bei undisziplinierten Klassen kann es schnell chaotisch werden. Je nach Raumgröße sitzt man u.U. sehr nahe beisammen und stört sich gegenseitig. Was bringt das „Beobachten“ des Außenkreises bzw. beobachten die außen sitzenden Schüler überhaupt irgendwas oder beschäftigen sie sich anders. Falls ja, kann man es ihnen verdenken? Wie spannend ist es, anderen beim Reden zuzuschauen? Steht der „Ertrag“ dieser Methode in einem sinnvollen Verhältnis zur aufgewendeten Zeit und zur entstehenden Unruhe?
Natürlich gibt es auch noch andere Kriterien, die für eine Methode sprechen können. Nehmen wir Volleyball. In Hinblick auf Bewegungszeit bzw. ‑intensität schneidet es miserabel ab (die meiste Zeit stehen die Schüler nur rum), Spaß macht es oft/meistens (?) auch nicht, weil kein vernünftiges Spiel zustande kommt und für schlechte Schüler ist es die Hölle, weil sie permanent im „Scheinwerferlicht“ stehen, wenn sie zum x‑ten Mal versagen und den Ball nicht treffen bzw. ihn ins Netz, an die Decke oder ins Aus donnern. Trotzdem kann man Volleyball wichtig finden, weil man im „richtigen Leben“ nach der Schule oft spielt. Am Strand in Italien und im heimischen Park spielt man nun mal Fußball oder Volleyball und nicht Handball, Hockey oder Basketball.
So könnte man z.B. das Anfertigen von „Lernpostern“ (bei dem normalerweise überhaupt nicht gesprochen wird) nur damit rechtfertigen, dass dabei ganz großartige (non-verbale) Lernprozesse stattfinden (was ich stark bezweifele). Auch die zunehmende Flut von Arbeitsblättern (gerne verziert mit „individueller Förderung“) führt automatisch zu einer Reduzierung von Sprechzeit. Und last but not least ist auch „digitalisierter“ Unterricht häufig „stumm“. Es muss also ganz massive, konkret benennbare Vorteile haben, wenn Schüler „sprachlos“ irgendwo rumklicken oder ‑wischen. Dass sie einfach nur „was mit Computern machen“ ist zu wenig.
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