Viele Lehrer ärgern sich darüber, bzw. jammern, dass ihre (Oberstufen-) Schüler schlampig oder auch überhaupt nicht im Unterricht mitschreiben. Da hat man sich in stundenlanger Vorbereitung ein wunderbares Tafelbild mit vielen Pfeilen ausgedacht und die Schüler nehmen das Ganze freundlich-indifferent zur Kenntnis und bequemen sich nur sporadisch mal etwas aufs Papier zu schmotzeln.
Die allerwenigsten Lehrer fragen sich allerdings WOZU der Schüler überhaupt mitschreiben soll. Braucht er das Ganze irgendwann nochmal und falls ja, wann? Für das mündliche Ausfragen in der nächsten Stunde? Solange kann sich das fast jeder Schüler mit einem durchschnittlichen Gedächtnis, der in der Stunde aufgepasst hat, ohne große Aufzeichnungen merken. Und später? Braucht er es (wenn er schriftliches Abitur macht), zumindest bei uns in Bayern, nie wieder.
In Bundesländern mit einem Lektürekanon schaut es anders aus, da muss der Schüler vor dem Abitur gezielt bestimmte Bücher wiederholen und dafür braucht er wahrscheinlich seine Aufzeichnungen. In Bayern hingegen ist das schriftliche Abitur eine völlig isolierte Angelegenheit, bei der keinerlei Bezug auf das genommen wird, was in den zwei Jahren davor behandelt wurde.
Auch Oberstufen-Klausuren werden von den meisten Kollegen als völlig isolierte Aufgabe konzipiert. Die Schüler bekommen irgendeinen unbekannten Text, zu dem sie Fragen beantworten müssen. Außerdem müssen sie vielleicht eine Mediation machen und einen (lächerlich kurzen) Aufsatz schreiben. Vorbereiten kann man sich auf solchen Schulaufgaben so gut wie gar nicht und selbst die sorgfältigste Mitschrift nützt überhaupt nichts, denn es kommt ja nichts dran von dem, was man im Unterricht gemacht hat. Nur ganz selten entdecke ich in den Schulaufgaben, die mir von Kollegen geschickt werden, z.B. eine „background knowledge“ Frage, die sich gezielt auf den vorangegangenen Unterricht bezieht.
„Repetitio mater omnium“ (Wiederholung ist die Mutter aller Dinge) gilt nach meiner Beobachtung leider nur höchst selten für die Oberstufe. Wenn es hochkommt, wird vielleicht mal Wortschatz oder Grammatik wiederholt, TEXTE hingegen werden so gut wie nie wiederholt. Wenn ein Text „abgeschlossen“ ist, geht die Schublade normalerweise zu und was man zu einem Text herausgefunden hat, interessiert nicht mehr. Ergo besteht auch keinerlei Notwendigkeit im Unterricht so mitzuschreiben, dass man mit den Aufzeichnungen auch noch nach ein paar Wochen etwas anfangen kann.
Erst wenn Schüler nach ein paar Wochen Texte wiederholen und die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse vor den anderen (oder in einer mündlichen Prüfung) referieren müssen und sie in Klausuren „background knowledge“ Fragen beantworten müssen, werden sie im Unterricht vernünftig mitschreiben.
Voraussetzung für eine solche Wiederholung ist natürlich, dass überhaupt handfeste Ergebnisse (an der Tafel) erarbeitet wurden. Wenn über Texte nur munter geplaudert wird, ohne dass etwas Konkretes dabei herauskommt, gibt es auch nichts zum Wiederholen.
uhck
Auch hier würde ich gerne wie zum Thema „Mitschreiben“ (https://www.jochenlueders.de/?p=1020) betonen, dass es mir beim Mitschreiben nicht um stupide Wiederholung geht, sondern eigene Auseinandersetzung mit den Inhalten (inkl. z.B. Fragezeichen, Ausrufezeichen, eigenen Zusatznotizen). Das sollte dann den Schülern auch klar gemacht werden, was ich bisher vernachlässigt habe – also trotzdem „Danke“ für die Gelegenheit zur Auseinandersetzung -> Lerneffekt… 😉
Meine „Mitschrift“ besteht jetzt aus einem Verweis auf meine Auseinandersetzung bei mir http://gres.ni.lo-net2.de/uhck/?155 (bisher zum Thema Melden, jetzt ergänzt). Wenn Schüler nicht mitschreiben, sondern sich schriftlich anders mit mir auseinandersetzen würden (Art Schreibgespräch) würde ich das auf jeden Fall noch höherwertiger einstufen. Wenn ich das mitbekomme kann ich es wiederum in meinen Unterricht, einfließen lassen, so dass es auch für andere/den Unterricht etwas Konstruktives beiträgt, was mir auch enorm wichtig ist.