… frage ich mich immer wieder, wenn Schüler mit geöffnetem Notebook vor mir sitzen. Im herkömmlichen paper-based Unterricht können sie vor sich hindösen, malen, mit dem Nachbarn quatschen und (falls sie geschickt sind) unter der Bank mit einer Hand SMS schreiben. Liebesbriefe werden ja heutzutage leider offenbar nicht mehr geschrieben, jedenfalls habe ich schon seit vielen Jahren keine derartigen Aktivitäten mehr beobachtet (vielleicht habe ich sie aber auch einfach nicht mitgekriegt).
Mit Notebooks steigen die Möglichkeiten digitaler Ablenkung leider sprunghaft an. Mit einem FON Zugang kommt man problemlos und ohne dass der Lehrer irgendwas merkt ins Internet, mit Hilfe von Ad-hoc Netzen und einem Programm wie EtherPad kann man wunderbar zusammenarbeiten, aber halt auch fachfremd quasseln. Durch diese Technik könnte ja vielleicht auch der Endlos-Liebesbrief meiner eigenen Schulzeit eine Renaissance erleben. Dabei haben wir in winziger Fuzzelschrift immer gleich im Anschluss an die Ausführungen der Angebeteten unseren eigenen Kommentar geschrieben, eine Art analoger Chatroom. 😉
Aber auch YouTube Videos, Spiele, Webseiten – alles kein Problem, solange der Schüler nicht allzu auffällig ständig auf den Bildschirm starrt, sondern immer mal wieder mit freundlich-interessiertem Gesichtsausdruck nach vorne schaut. Ein Schüler hat mir sogar mal gezeigt, wie er unter seine Mähne seine Ohrstecker versteckt (Kabel werden am Körper „verlegt“), so dass er während des „Unterrichts“ ungestört auf einem Ohr Musik hören kann (das geht aber natürlich auch mit einem MP3-Player).
Verhindern könnte man all diese Nebenbeschäftigungen nur, wenn man ständig durchs Klassenzimmer tigern würde um von hinten einen Blick auf den Bildschirm bzw. die Taskleiste zu bekommen. Aber erstens ist das lächerlich und zweitens gibt es Tools, die geöffnete Programme per Shortcut so verstecken können, dass sie nicht mal mehr in der Taskleiste angezeigt werden. Und wenn der Lehrer nicht gerade nach hinten hechtet ist jedes (Windows-) Programm mit simplen Alt+F4 längst geschlossen, bis das strenge Lehrerauge den Bildschirm überprüft.
Insgesamt denke ich aber, dass die Vorteile von Notebooks deutlich überwiegen. Wenn die Preise für die schnuckeligen Netbooks in nächster Zeit noch weiter sinken (und die Akkus noch länger halten), werden wir uns m.E. einfach damit abfinden müssen, dass immer mehr Schüler diese Geräte auch im Unterricht benutzen wollen. Der Preis des Fortschritts ist dann einfach, dass wir uns immer häufiger fragen „Was macht der da eigentlich?“. Vielleicht wird es ja dann zumindest etwas leiser in unseren Klassenzimmern, weil nicht mehr laut mit dem Nachbarn gequatscht wird … 😉
Tobias Grasse
Prinzipiell bietet „digitales Mitschreiben“ durchaus Vorteile, aber ich sehe z.B. bei mir im Studium eher die negativen Auswirkungen:
- von 30 Seminarteilnehmern haben ~10 den Laptop offen, davon sind aber mindestens 5 „fachfremd“ im Netz unterwegs (StudiVZ oder noch sinnfreier).
– selbst die, die aufpassen (wollen), driften bei etwas langatmigeren Vorträgen öfter ab als ohne Rechner – bei mir lief z.B. im Hintergrund der Mailclient, oder willkürliche Wikipedia-Suchen nach erkenntnistheoretischen Begriffen.
– die Nachbearbeitung bzw. Strukturierung schon beim Mitschreiben ist deutlich aufwändiger als beim „händischen“. Ich hatte mir versuchsweise mal einen TabletPC geholt; aber auch mit Digital Ink ist das nicht so das Wahre. Klar, praktisch wenn man z.B. mal „live“ am Beamer was aufzeichnen will (die Tafel ist ja out) oder Verknüpfungen der Mitschrift mit Texten, Netzlinks etc. setzen will. Trotzdem hab ich den Tablet wieder abgeschafft, da die Generierung des „Mehrwertes“ einfach im Verhältnis zu aufwändig ist.
Dieses Semester schreibe ich wieder klassisch analog auf Papier mit, mein Macbook bleibt in der Tasche und wir höchstens zum Zitieren aus der behandelten Seminarlektüre rausgeholt – ehrlich ^^
Jochen
> die Nachbearbeitung bzw. Strukturierung schon beim Mitschreiben ist deutlich aufwändiger als beim “händischen”.
Komisch, verstehe ich überhaupt nicht. Hervorhebungen durch Fettdruck, größere Schrift, Einrücken etc. geht doch mit Notebook viel schneller als händisch.
> Ich hatte mir versuchsweise mal einen TabletPC geholt
War das einer mit Touchscreen? Falls ja, davon verspreche ich mir auch nicht viel, obwohl ich es selber noch nie ausprobiert habe.
> mein Macbook bleibt in der Tasche
Kaum zu glauben 😉 Fast alle, die ich bislang in dieser Richtung gefragt habe, schwärmen von Macbooks gerade auch für Schule und Uni.
Florian
> Komisch, verstehe ich überhaupt nicht. Hervorhebungen durch Fettdruck, größere Schrift, Einrücken etc. geht doch mit Notebook viel schneller als händisch.
Einrücken per Hand: Ich bewege meine Hand nach rechts und hab wirklich exakt was ich will.
Einrücken am PC: Ein Gefummel mit Tabs und Einzügen bis alles so sitzt, wie ich es will. Und weiter unten im Dokument hat das obige wieder alles zusammen
.peter
Mir als unordentlicher, unorganisierter Typ hilft das Notebook ungemein. Seit 2004 benutze ich inzwischen mein zweites, und dank Volltext-Suche un rudimentärer Ordnerstruktur, plus Fotohandy, ist alles digital. Kann gar nicht verstehen, wo da im Studium die Nachteile sind?!
Aber in der Schule … hm. Naja, gut für den einzelnen Schüler, aber leider kann der Lehrer schlecht anknüpfen, da ja selten alle Schüler über sowas verfügen.
Dabei sind die Netbooks bald günstiger als die Bücher und Hefter eines Schuljahres.
Max
„Das Aufschieben notwendiger Arbeit, Prokrastination genannt, wird meist als modernes Krankheitsbild beschrieben. Im Universitätsalltag ist es längst zur Hauptsache geworden.“
FAZ, 28.6.16, http://goo.gl/EUdK5K